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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 16

Schöne Grüße aus dem Mesozoikum

Ein Arbeiterbewegungsmarxist wird 85: Jakob Moneta

Der heutigen politischen Jugend, die eine Zeit vor Helmut Kohl nicht kennengelernt hat, muss der engagierte Gewerkschafter und politische Aktivist Jakob Moneta wie ein Dinosaurier aus dem erdgeschichtlichen Mittelalter, dem Mesozoikum, vorkommen. Seine ersten Erinnerungen sind Weltkriegserinnerungen. Erinnerungen nicht an den Zweiten, sondern noch an den Ersten Weltkrieg, an die Zeit, als die schönen Ideale der bürgerlichen Gesellschaft in Trümmer zerfielen.
Der 1914 im damals noch österreichisch-ungarischen Ostgalizien Geborene wurde am Ende des Krieges nicht nur Zeitzeuge des revolutionären Zusammenbruchs dreier Monarchien (Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn). Er musste 1918 auch erleben, wie seine nun polnische Heimatstadt Blasow die neue Unabhängigkeit nicht besser zu feiern wusste als mit einem Judenpogrom. Sozialismus und Barbarei - diese beiden Pole des 20.Jahrhunderts sollten Jakob Monetas Schicksal und Denken fortan prägen.
Seine Familie flüchtete 1919 nach Köln, die Heimatstadt seines Vaters, eines Textilfabrikanten; dort durchlief er die Schule und bestand 1933 das Abitur. Er schloss sich dem Sozialistischen Jugendverband, der Jugendorganisation der aus einer linksoppositionellen Strömung der SPD hervorgegangen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), an und engagierte sich im Arbeitersport.
Ende 1933 verließ der junge Jude und Sozialist das faschistische Deutschland und ging nach Palästina, um in einem Kibbuz zu (über)leben. "Würde man mich fragen, woher meine unverrückbare Zuversicht stammt, dass Menschen Habsucht, Jagd nach Geld, Konkurrenzneid, Selbstsucht, Unterwürfigkeit - jene zum großen Teil vom Kapitalismus mühsam anerzogenen ‚menschlichen‘ Eigenschaften - ablegen können; würde man mich fragen, wo die tiefste Wurzel meines Glaubens daran liegt, dass Menschen ohne jeden äußeren Zwang als Gleiche und Freie im Kollektiv ihr Leben selbst gestalten können, ich würde antworten: Das hat mir meine Erfahrung in der Praxis des damaligen Kibbuz bewiesen."
In Palästina organisierte er gewerkschaftliche Streiks für den 8-Stunden-Tag und arbeitete mit nichtjüdischen Arabern zusammen. Dies brachte ihm den Ausschluss aus dem Kibbuz und 27 Monate Internierung 1939 ein. "Hier [im Gefängnis] gab es zwischen Juden und Arabern keine Unterschiede mehr, ebensowenig wie zwischen Politischen und Kriminellen." Nach seiner Freilassung wurde er Journalist und ging 1948 als überzeugter Internationalist und Trotzkist nach Köln zurück: "In der falschen Hoffnung, die Geschichte würde dort weitergehen, wo sie nach der Revolution von 1918 unterbrochen worden war."
Er wurde zwar Redakteur der von Willi Eichler und Heinz Kühn geführten sozialdemokratischen Rheinischen Zeitung und Mitglied der SPD, doch im Geiste und hinter vorgehaltener Hand blieb er als Trotzkist ein heimatloser Linker jenseits von stalinistischem Bürokratismus und sozialdemokratischem Reformismus. Noch vor dem Tod Stalins veröffentlichte er sein erstes Buch, eine Kritik jener stalinistischen "Bibel", die "Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) - Kurzer Lehrgang" hieß. Ende 1953 ging er als Sozialreferent an die bundesdeutsche Botschaft nach Paris, wo er fast zehn Jahre leben und arbeiten sollte. Neben dieser offiziellen Arbeit engagierte er sich, von seinen Arbeitgebern unbemerkt, v.a. für die algerische Befreiungsfront.
Er hielt zwar den Kontakt in die Heimat, doch das Westdeutschland, in das er zurückkehren sollte, hatte sich entscheidend verändert. Große Teile seiner Generation der heimatlosen Linken waren nach langen Kämpfen gegen die Godesbergisierung der SPD enttäuscht und zermürbt. Es wuchs eine neue Generation Linker v.a. an den Universitäten heran, die von der ersten Generation der Neuen Linken nicht mehr viel wissen wollte - was zu tiefgreifenden gegenseitigen Vorbehalten führte. Kam es andernorts, bspw. in England, zu einer zwar auch nicht problemlosen, aber doch sehr fruchtbaren und für die Zeit nach 68 folgenreichen Zusammenarbeit von alter und neuer "Neuer Linker", so leidet die westdeutsche Linke darunter, dass hier der Brückenschlag der Generationen nicht gelang.
Nur wenige derjenigen, die in den 50er Jahren politisch führend aktiv waren, sehen wir nach 68 auf der neuen politischen Bühne wieder. Einer dieser wenigen war Jakob Moneta, der sich seinen Optimismus und seine Tatkraft im französischen "Exil" und seit seiner Rückkehr 1962 als Vorstandsmitglied der IG Metall und Chefredakteur der beiden einflussreichen Zeitungen metall und Der Gewerkschafter bewahren konnte.
Spielte er bis zu seiner Pensionierung 1978 im Gestrüpp der sozialistisch-revolutionären Kleinorganisationen eine gewisse Rolle als graue Eminenz der Gruppe Internationale Marxisten (GIM), so konnte er bald danach sein leicht kokettes, aber sympathisch-bezeichnendes Pseudonym "Anna Armand" lüften. Er wurde regelmäßiger Kolumnist der linkssozialistischen Zeitschriften Was tun und ab Mitte der 80er Jahre der Sozialistischen Zeitung (SoZ).
Trotz seines lebenslangen Engagements in linken Kleingruppen abseits des politischen Mainstreams wurde er nie dessen organischer Teil. Zuerst in der SPD und v.a. in der ehemals mächtigen westdeutschen Gewerkschaftsbewegung, seit der "deutschen Wende" in der überwiegend ostdeutschen PDS - immer versuchte er parallel zu seiner Herzenstätigkeit den Kopf nicht zu vergessen und sich da einzubringen, wo er einen Zipfel der Weltgeschichte greifen konnte, ohne sich unendlich krumm biegen zu müssen. Seine gefestigte Lebenserfahrung erlaubte ihm den aufrechten Gang in solch "fremdem" Gebiet.
Die meisten seiner zumeist deutlich jüngeren politischen Freunde wollten und konnten ihm da nicht folgen. Die Substanz zum Einzelkämpfer haben bekanntlich nur wenige. Und um in unseren zeitgenössischen Stürmen aufrecht zu bestehen, muss man wahrscheinlich auf ein vergleichbar gelebtes Leben zurückblicken. Was ist schon die heutige linke Orientierungskrise verglichen mit der praktischen Erfahrung von Faschismus und Stalinismus?
Was Rudi Dutschke vor über zwanzig Jahren über den westdeutschen Gewerkschaftslinken Heinz Brandt und den tschechoslowakischen Altkommunisten Frantisek Kriegel schrieb, gilt genauso für Jakob Moneta: "Alle jüngeren Generationen können, wenn sie versuchen sich über das Verhältnis von Demokratie und Sozialismus Klarheit zu verschaffen, von der Lebens- und Kampf-Geschichte von F.Kriegel und H.Brandt exemplarisch lernen." Monetas sozialistischer Humanismus nahm zeitlebens die Versprechen frühbürgerlicher Aufklärung ernst und klagte sie für die Ohnmächtigen dieser Welt aktiv ein. Demokratie und Menschenrechte konsequent umsetzen, das vermochte bisher nur eine sozialistisch selbstbewusste, an die Wurzeln von Ausbeutung, Entfremdung und Erniedrigung die Axt anlegende kämpferische Arbeiterbewegung. Sich von dieser demokratischen Aufgabe nicht bürgerlich vereinnahmen zu lassen vermögen nur jene, die die bitter bezahlte Lehre nicht vergessen, dass demokratische Fortschritte im 20.Jahrhundert nur gegen jene bürgerliche Klasse durchzusetzen sind, die vermeintlich als deren natürlicher Exponent angesehen wird. Ein radikaler Demokrat muss auch heute noch und ganz entgegen der zeitgenössischen Meinung auch vieler Linker ein konsequenter Sozialist sein. So wie kein Sozialist Glaubwürdigkeit verdient, der nicht verstanden hat, dass demokratische Freiheiten eine unhintergehbare Errungenschaft sind, die man für keine noch so schön gemeinte Erziehungsdiktatur auch nur vorübergehend suspendieren kann.
Jakob Moneta hat diese alte Lehre des heute abfällig betitelten "Arbeiterbewegungsmarxismus" zutiefst eingeatmet. Er hat sich bei all diesem nicht immer unproblematischen Sich-Einlassen auf das politische Hier und Jetzt in demselben nie hoffnunglos verfangen. Sozialistische Utopie war und ist kein abstraktes Ziel für ihn, sondern vor allem ein so weit als möglich auch persönlich gelebtes Ethos.
Wer zwischen solchen weltgeschichtlichen Stürmen, wie sie Jakob Moneta erlebt hat, aufrecht hindurch gesegelt ist, ohne seinen humanistischen Optimismus zu verlieren, der hat nicht nur etwas zu erzählen. Der hat etwas einzubringen - gerade auch in heutige Kämpfe. Der am 11.November 85 werdende Jakob Moneta erfreut sich, seine Familie und uns noch immer mit guter Gesundheit. Möge es noch lange so bleiben. Menschen wie er werden zunehmend kostbarer.
Christoph Jünke
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