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Sieben Tage nach der Bundestagswahl vom 21.September 2005 trat der Bundestag
noch einmal zu einer Sondersitzung zusammen. Es ging wie bei den meisten Sondersitzungen um
die Verlängerung eines Bundeswehreinsatzes, des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Der
geplante Bundestagsbeschluss wurde im Eilverfahren gefasst. Das Bundeswehr-Mandat «drohte» am
13.Oktober auszulaufen, 5 Tage vor der Konstituierung des neuen Bundestags. So machte man schnellen
Prozess: Nach zwei Blitz-Lesungen verlängerte der Bundestag schlussendlich mit 535 gegen 14 Stimmen
bei 4 Enthaltungen das Mandat der Bundeswehr-ISAF-Truppe in Afghanistan um ein weiteres Jahr. Dabei wurde
die Obergrenze für die Zahl der dort stationierten Soldaten von 2250 auf 3000 erhöht.
Kurz nach der Verlängerung des ISAF-
Mandates wurde am 14.November 2005 ein Bundeswehrsoldat bei einem Sprengstoffattentat in Afghanistan
getötet. Schon im Juni 2003 wurden bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bundeswehr-Bus in Kabul vier
deutsche Soldaten getötet und 29 weitere verletzt. Offiziell sind bisher 18 deutsche Soldaten beim
Afghanistan-Einsatz ums Leben gekommen.
Die NATO, in deren Rahmen der Einsatz
stattfindet, beschloss am 9.Juni 2005 eine erhebliche Ausweitung des ISAF-Einsatzes und plant bereits eine
dritte Stufe der Ausweitung. Hikmet Cetin, der sog. «Hochrangige Zivile Repräsentant der NATO in
Afghanistan», gab in einem Gespräch mit Abgeordneten des Auswärtigen Ausschusses im
Europäischen Parlament derweil offen zu, dass es erhebliche Probleme bei dieser Phase 3 gebe. Die
Gebiete, in denen die NATO dann agiere, seien sehr viel unsicherer als die bisher kontrollierten Gebiete,
aber auch dort gebe es erhebliche Probleme. Dies wurde bei einem Gespräch des Autors im
Einsatzführungskommando Potsdam-Geltow bestätigt. Die Lageeinschätzung für diese
Regionen durch die Bundeswehr lautet: «Nicht ruhig und nicht stabil.»
Der neue Bundestag beschloss am 8.November 2005, die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring
Freedom um ein weiteres Jahr fortzusetzen. 519 Abgeordnete stimmten mit ja, 67 mit Nein bei 3 Enthaltungen.
An «Enduring Freedom» beteiligt
sich auch die Bundeswehr. Mit mindestens 100 Soldaten der Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte
(KSK). Offiziell weiß niemand, was das KSK in Afghanistan gemacht hat und macht. Ein KSK-Soldat machte
einmal dem Autor gegenüber die Angabe, dass sie an «vorderster Linie gekämpft»
hätten. Ein kleinerer Teil des KSK soll die ISAF-Truppen im Norden Afghanistans unterstützen,
während ein größeres Kontingent im Südwesten die US-Truppen beim Kampf gegen
Aufständische im Grenzgebiet zu Pakistan verstärken soll. Besonders dort hat sich die Lage in der
letzten Zeit zugespitzt.
Unter völkerrechtswidrigem Hinweis auf
das «Selbstverteidigungsrecht» wird seit vier Jahren in Afghanistan Krieg geführt. Dieser
Krieg hat Tausenden von Zivilisten das Leben gekostet und hält Deutschland in einem permanenten
Kriegszustand. Es handelt sich um einen enormen Vorratsbeschluss: Derzeit sind im Rahmen von Enduring
Freedom nach Bundeswehrangaben 260 (!) Soldaten eingesetzt, zukünftig sind 2800 Einsatzkräfte
vorgesehenen, eine enorme Diskrepanz. Die Öffentlichkeit wird weder informiert, was die KSK-Soldaten
dort tun, noch wie viele Gefangene sie gemacht oder anderen Truppen überstellt haben, noch wie viele
Menschen durch ihre Aktionen schon umgekommen sind und auch ob es Todesopfer unter den Bundeswehrsoldaten
gegeben hat.
Frieden und Ruhe in Afghanistan? Nein. Selbst die FAZ (14.11.05) schreibt, dass «Stabilität
nur auf dem Papier» bestehe. In Afghanistan ist Krieg. Die US-geführten Truppen von Enduring
Freedom betreiben einen erbarmungslosen Angriffskrieg, bei dem ständig unbeteiligte Bevölkerung
als Kolletaralschaden in Mitleidenschaft gezogen wird.
In dieser gefährlichen Situation
vermischt die NATO, und damit die Bundeswehr den Einsatz ISAF weiter mit dem Einsatz Enduring Freedom. So
heißt es im NATO-Beschluss, dass «Maßnahmen zu ergreifen (sind), um die Synergie-Effekte
zwischen ISAF und der Operation ‹Enduring Freedom› (OEF) zu steigern.» Die US-Regierung
und in der Folge der heutige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Christian Schmidt forderten
immer wieder eine engere Verzahnung von ISAF und Enduring Freedom.
Schmidt meinte am 7.10.05: «Wer weiter
auf einer strikten Trennung beharrt, übersieht, dass bei einer Ausdehnung von ISAF auf ganz
Afghanistan sich schon zwangsläufig ISAF und OEF als parallele Einsätze eng abstimmen
müssen. Die Kämpfer der Taliban und andere Terroristen halten sich vermutlich an keine
Unterscheidung in ISAF und OEF, sondern bedrohen alle ausländische Soldaten und eigene Landsleute ohne
Rücksicht.»
In der Sitzung vom 6.10.05 der NATO-
Delegation des EU-Parlaments bestätigte Chris Riley vom NATO-Hauptquartier auf Nachfrage, dass die
afghanische Bevölkerung selbstverständlich nicht zwischen dem ISAF-Einsatz und dem Enduring
Freedom-Einsatz unterscheiden könnte. Eine formale Trennung beider Einsätze gebe es im Prinzip
aus politischen Gründen etwa wegen der öffentlichen Meinung in Deutschland. Auf die
Situation in Usbekistan angesprochen, bezeichnete er diese als schwierig. Die Bundeswehr unterhalte
weiterhin die Militärbasis Termez in einem Land, gegen das jetzt die EU Sanktionen verhängt hat.
Dieser Stützpunkt würde aber, obwohl keine NATO-Basis, auch für den Nachschub der NATO-
Truppen genutzt.
Die EU wiederum hält weiterhin an
ihrer finanziellen Unterstützung für den Aufbau afghanischer Polizei- und Militärstrukturen
fest, die oft nichts als fortgesetzte Warlord-Strukturen sind und unterstützt den NATO-Einsatz mit
«zivilen Mitteln». Der EU-Rat hat im Übrigen in einer gemeinsamen Sitzung mit der
afghanischen Regierung am 16.11.05 eine «EU-Afghanistan-Erklärung» beschlossen, dass die EU
alle EU-Mitgliedstaaten dazu auffordert, «ihre substantielle Rolle bei der Zur-Verfügung-Stellung
von militärischen und zivilen Ressourcen für die NATO-geführte Internationale Security
Assistance Force beizubehalten». Außerdem hat der EU-Rat offen «zur Unterstützung der
von den USA geführten Operation Enduring Freedom» angehalten. Damit ruft der EU-Rat dazu auf,
einen völkerrechtswidrigen Militäreinsatz in Afghanistan weiterhin militärisch und zivil zu
unterstützen.
Die Hauptschlagader des deutschen ISAF-Kontingents in Kabul und Kunduz läuft direkt über den
Flugplatz der 114000-Einwohner-Stadt Termez im südlichsten Zipfel von Usbekistan und heißt im
Bundeswehr-Amtsdeutsch seit dem 4.Juni offiziell «Einsatzgeschwader Termez». Über den
früheren «Lufttransportstützpunkt 3» wird der gesamte Nachschub nach Afghanistan
organisiert.
Allerdings herrscht in Usbekistan eine
Diktatur unter Präsident Islam Karimow. Am 13.5.05 metzelten sog. «Sicherheitskräfte»
im Massaker von Andischan mindestens 500 Menschen nieder, wenn nicht mehr. Seither sind die Beziehungen
zwischen westlichen Staaten und der Diktatur in Usbekistan offiziell gestört. Die Regierungen der USA
und der EU forderten eine, von Usbekistan abgelehnte, unabhängige internationale
Untersuchungskommission. Die USA mussten daraufhin ihre Militärbasis Chanabad in Usbekistan
räumen, Russland und Usbekistan unterzeichneten einen neuen Freundschaftsvertrag, der vorsieht, dass
im Falle einer Destabilisierung Russland Truppen in das Land schicken kann.
Die damalige rot-grüne deutsche
Regierung kritisierte das Regime in Taschkent kaum. Doch trotz Widerstand der deutschen Regierung kam es zu
EU-Sanktionen gegen Usbekistan. Im Beschluss des EU-Rats vom 14.12.05 heißt es: «Es ist
untersagt, a) technische Hilfe im Zusammenhang mit militärischen Aktivitäten und mit der
Bereitstellung, Herstellung, Wartung und Verwendung von Rüstungsgütern und damit verbundenem
Material aller Art, einschließlich Waffen und Munition, Militärfahrzeugen und -ausrüstung,
paramilitärischer Ausrüstung und entsprechender Ersatzteile, unmittelbar oder mittelbar für
natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Usbekistan oder zur
Verwendung in Usbekistan zu gewähren; b) finanzielle Mittel oder finanzielle Hilfe im Zusammenhang mit
militärischen Aktivitäten, einschließlich insbesondere Zuschüsse, Darlehen und
Ausfuhrkreditversicherungen, für den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr von
Rüstungsgütern und damit verbundenem Material oder für die Erbringung von damit verbundener
technischer Hilfe und anderen Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar natürlichen oder
juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Usbekistan oder zur Verwendung in Usbekistan
bereitzustellen.» Die deutsche Bundesbank vergibt allerdings Ausnahmegenehmigungen, die, laut
Bundesbank-Homepage, im Servicezentrum Finanzsanktionen der Deutschen Bundesbank zu stellen seien.
Und am 9. und 10.Dezember hat der
Verteidigungsstaatssekretär Friedbert Pflüger (CDU) mit der Regierung unter dem Präsident
Karimow einen für die NATO und die Bundeswehr zentralen Deal gemacht: Trotz der gegen das usbekische
Regime verhängten EU-Sanktionen darf die Bundeswehr den Stützpunkt Termez weiter nutzen, und
somit auch alle anderen NATO-Staaten.
Der usbekische Innenminister Sakir Almatow
ließ sich daraufhin kurz vor Weihnachten in einer Klinik in Hannover (dem Herkunftsort des
Staatssekretärs Friedbert Pflüger) medizinisch behandeln, obwohl er wohl einer der
Hauptverantwortlichen des Massakers von Andischan ist und für alle usbekischen Regierungsmitglieder
ein Visaverbot besteht.
Deutschland vergibt an Usbekistan
umfangreiche Militärhilfe, zuletzt wurde Sanitätsmaterial aus Beständen der Bundeswehr in
Höhe von 280000 Euro an Usbekistan verschenkt. Die Schenkung sei «Ausdruck der guten
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Usbekistan auf militärischem Gebiet», so der deutsche
Botschafter Joachim Kinderlen.
Bei dem Deal zwischen Friedbert
Pflüger und der Diktatur in Usbekistan wurde vereinbart, den «Dialog in Bezug auf internationale
Terrorismusbekämpfung, Wirtschaftsbeziehungen sowie Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit zu
beleben». Außerdem wolle die Bundesregierung, so Pflüger, die Sichtweise Karimows zum
Massaker in Andischan in der EU «fair» berücksichtigen.
Die Bundeswehr-Homepage sagt es klar:
«Gäbe es die Nachschub-Basis der Bundeswehr im usbekischen Termez nicht, dann könnten die
deutschen Soldaten in Afghanistan in kürzester Zeit einpacken.» Gut, wir wollen, dass sie
einpacken. Damit ist die Forderung für Friedens- und Antikriegsbewegung klar: «Abzug der
Bundeswehrtruppen aus Afghanistan. Als erster Schritt: Sofortige Schließung des
Bundeswehrstützpunkts in Termez!»
Tobias Pflüger
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