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Innenpolitisch betrachtet war das Jahr 2005 ein durchaus turbulentes Jahr: Der Wahlerfolg der WASG,
die Abdankung von «Rot-Grün», die Formierung einer neuen Linkspartei und ihr Einzug in den
neuen Bundestag, schließlich die Regierungsübernahme der Großen Koalition unter Merkel und
Müntefering. Arno Klönne zieht Bilanz, die Fragen für die SoZ stellte Christoph
Jünke.
Am Ende dieses turbulenten Jahres steht nicht das Ende der neoliberalen Demontage des
Sozialstaates, der Militarisierung der Außenpolitik und der zunehmenden Aushöhlung der
bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Man könnte eher von einer Verschärfung sprechen,
oder?
Die politische Jahresbikanz scheint mir zwiespältig. Eindeutig ist: Einen Kurswechsel bei der
herrschenden politischen Klasse hat es nicht gegeben, lediglich einen Wandel im Arrangement des Regierens.
Die Demontage von Sozialstaatlichkeit wird weiter betrieben, die auf weltweiten Interventionismus
ausgerichtete Militärpolitik auch. Und es bleibt auch ein Regierungsstil, der das, was mit
parlamentarischer Demokratie grundgesetzlich gemeint ist, durch die Kraft des Faktischen schubweise
wegräumt.
Demgegenüber ist allerdings ein
Störfaktor aufgetaucht: Im Parlament ist nun eine oppositionelle Partei vertreten, die Linkspartei.
Und FDP wie auch Grüne müssen, um sich öffentlich bemerkbar zu machen, wenigstens in
bestimmten Fragen oppositionell gegenüber der CDU/CSU/SPD-Bundesregierung auftreten.
Außerdem wirkt das Ergebnis der
vorgezogenen Bundestagswahlen für den sog. Neoliberalismus irritierend: Die forsche Linie von
Merkel/Westerwelle bekam keine Mehrheit bei den Wählerinnen und Wählern, und die SPD konnte sich
wieder aufrappeln, weil sie sich so gab, als mache sie nun Opposition gegen die eigene Agendapolitik. Nicht
wenige im Wahlvolk fielen auf diese Inszenierung herein, was aber offenbarte: Mehrheitlich ist keine
Zustimmung vorhanden für eine unverhohlene und ungehemmte Interessendurchsetzung des großen
Kapitals beim Regierungsbetrieb. Auch bei CDU und CSU ist man nach dieser Erfahrung ein bisschen
bemüht, sich sozial zu verkleiden.
Ausdruck dieser Stimmung von unten ist natürlich nicht zuletzt die neue Linksfraktion im
Bundestag. Die Vorsicht, mit der nicht wenige Linke im letzten Jahr, u.a. auch du, auf diese Neuformierung
reagiert haben, hat sich nach dem Wahlerfolg scheinbar eher verstärkt. In der Linksfraktion gibt es,
wie du es jüngst ausgedrückt hast, «einen Überhang an Konventionalismus, was die Formen
und Methoden parteipolitischer Betätigung angeht». Was meinst du damit?
Es ist sicherlich der Proteststimmung gegen die Sozialdemontage zu verdanken, dass jetzt eine
ansehnliche linke Fraktion im Bundestag wirken kann. Und das Auftreten der vornehmlich westdeutsch
geprägten WASG und ihre Unterstützung für die unter dem Label «Linkspartei»
geöffnete PDS-Liste hat wesentlich dazu beigetragen, auch der PDS in den neuen Bundesländern
wieder Auftrieb zu geben. So weit so gut aber damit ist eben noch keine attraktive und
handlungsfähige neue linke Partei in die Welt gesetzt.
Beim angezielten Zusammenschluss von PDS
und WASG hakt es an vielen Stellen, von der angekündigten Öffnung der «Linkspartei in
spe» auch für andere linke Gruppierungen oder Milieus ist kaum etwas zu merken, es gibt keine in
der Öffentlichkeit wahrnehmbare Einladung der Führungen von PDS und WASG an sozial und
demokratisch engagierte Bürgerinnen und Bürger, sich am Prozess der Herausbildung einer neuen
linken Partei gleichberechtigt zu beteiligen. PDS und WASG sind derzeit vorwiegend mit sich selbst
beschäftigt, die Fraktion der Linkspartei im Bundestag konzentriert sich auf konventionelle
parlamentarische Aktivitäten. Von außen hat man das Gefühl, manche Repräsentanten der
Fraktion bzw. des Parteiapparats der Linkspartei seien vor allem von dem Bedürfnis angetrieben, im
Routinegeschehen der herrschenden Politik, also bei den Fraktionsvorständen der anderen Parteien, den
massenmedialen Moderatoren usw. Akzeptanz zu finden.
Diese Fixierung auf die Parlamentsarbeit wird jedoch gespiegelt durch das prinzipielle
Desinteresse der außerparlamentarischen Linken. Die sogenannte APO-Konferenz im November wurde von
vielen als Enttäuschung erlebt.
Das ist in der Tat ein Problem. Bei den außerparlamentarisch-oppositionellen Gruppierungen auf
der Linken gibt es derzeit leider keine auch nur einigermaßen systematische Auseinandersetzung mit den
Chancen und den Fragwürdigkeiten im Entstehungsprozess einer linken Partei. Die Reaktionen schwanken
hier zwischen Desinteresse und einer unreflektierten Hoffnung, dass die Matadoren der Linkspartei ja doch
vielleicht etwas Effektives zustande bringen würden. Nicht einmal das historische Exempel der
Parteibildung und der Anpassung oder Systemintegration bei den Grünen wird aufgearbeitet. Der
Linkspartei kann es aber nur schaden, wenn die vielgestaltige außerparlamentarische Opposition sie
ohne öffentliche, entschiedene und doch solidarische Kritik vor sich hinwerkeln lässt.
Ziemlich sonderbar ist dabei auch das
Verhalten vieler linker Intellektueller, die sich über die Existenz einer linken Fraktion im Bundestag
zwar erfreut zeigen, die für eine linke Partei auch ihre Stimme geben, ansonsten aber einem solchen
Unternehmen gegenüber Skepsis und Passivität an den Tag legen damit ist ja nichts
erreicht.
Die meisten der von dir Angesprochenen dürften dies mit einer grundsätzlichen Kritik
des Parlamentarismus begründen. Du selbst hast jüngst in einem Beitrag für die Zeitschrift Z
geschrieben, dass der Parlamentarismus sich verflüchtige. Ist das ein Plädoyer, denselben einfach
rechts liegen zu lassen?
Nein. Die Geschichte bietet häufig Ironisches. So etwas steckt auch in dem Erfolg der
Linkspartei bei den Wahlen im September 2005: Die linke Fraktion ist zu einem Zeitpunkt in den Bundestag
gekommen, wo die realen Einflussmöglichkeiten des Parlaments schon massiv reduziert waren und wo die
klassische repräsentative Demokratie weiterhin an Stellenwert verliert. Stattdessen gewinnt ein
demokratisch nicht legitimiertes Netzwerk von Spitzenpolitikern, Koalitionsmachern, Beiräten,
Kommissionen, Stiftungen und direkten Kapitalvertretern immer mehr die Regierungsmacht.
Daraus aber die Konsequenz zu ziehen,
Wahlen und Parlamenten sollte man sich als Linker schlicht fernhalten, wäre nichts weiter als
Hilflosigkeit, Sichabfinden mit der eigenen Ohnmacht. Das Auftreten der Linken bei Wahlen und im Parlament
kann durchaus seinen Sinn haben und dazu beitragen, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu
verändern aber eben nur dann, wenn der Bedeutungsverlust des Parlamentarismus, die
Verschiebungen in der Politikregulierung, der Machtzuwachs selbstherrlicher Politikeliten kurzum:
wenn die Vorgänge einer Entdemokratisierung der politischen Institutionen selbst zum Thema gemacht
werden, auch wahlpolitisch und parlamentspolitisch. In dieser Hinsicht besteht ein schwerwiegendes
thematisches Defizit der Linkspartei.
Du selbst hast in dem besagten Beitrag in Z mehr Volkssouveränität eingefordert. Wie
lässt sich eine solche denn aneignen?
«Aneignung der
Volkssouveränität» ist zu verstehen als stetige Konfliktaustragung, die mit dem konsequenten
Aufdecken der Prozesse beginnen muss, in denen gegenwärtig die Bürgerinnen und Bürger um
ihre noch vorhandenen Mitbestimmungschancen in der Gestaltung von Gesellschaft gebracht werden.
Zugewinn an demokratischen
Eingriffsmöglichkeiten für die Bevölkerungsmehrheit ergibt sich nur aus eigenem Handeln, und
da gibt es ja ermunternde Beispiele, etwa dort, wo Raubzüge von Großunternehmen nicht hingenommen
werden (Preisverweigerung gegenüber den Energiekonzernen und Forderung nach Rekommunalisierung), wo
Bürgerbegehren und Bürgerentscheid vor Ort die Kommerzialisierung öffentlicher Einrichtungen
und Dienste verhindern.
Auf die zentrale Ebene von Politik hin
gedacht könnte Wiederaneignung von Demokratie auch bedeuten: Als Bürgerinnen und Bürger
nehmen wir die Entwicklung einer Partei, deren politische Weichenstellungen und Politikmethoden, selbst in
die Hand, überlassen das nicht Profipolitikern und Massenmedienredaktionen. Ich weiß: Darin liegt
viel Zukunftsmusik. Aber ohne weitreichende Wünsche kommt in die Politik nichts Alternatives. Boshaft
gesagt: Für das Ziel, einer Linkspartei im Bundestag einen Vizepräsidentenstuhl zu verschaffen,
lassen sich die meisten Menschen nicht in Bewegung bringen.
Du selbst bist schwerpunktmäßig aktiv in einer von WASG und PDS unabhängigen
kommunalen Initiative in Ostwestfalen. Solche Gruppen gibt es ja mittlerweile häufiger. Meinst du auch
diese mit deinem Plädoyer?
Ja, auch. Auf kommunaler oder regionaler Ebene ist die linke Opposition in vielen Fällen
weiter und besser entwickelt, als sich das derzeit bei der Herausbildung der Linkspartei widerspiegelt. Das
hat seinen Grund darin, dass «unten», vor Ort, parteiorganisatorische Konventionen nicht so
wichtig sind; sie helfen dort sowieso nicht weiter. Und politische Ideen, um nicht zu sagen Theorien,
kommen vor Ort in die heilsame Verlegenheit, sich vor Mitbürgerinnen und Mitbürgern in ihrer
Praxis ausweisen müssen, politische «Ideengeber» werden überprüfbar, was ihnen
nicht schaden kann, auch nicht ihren Ideen.
Selbstverständlich kann linke
Opposition sich nicht in die Kommunen zurückziehen, aber sie gewinnt Nachhaltigkeit und
Eigenständigkeit gegenüber der riskanten, auch kapitalgelenkten Massenmediatisierung von Politik
nur durch gesicherte Strukturen politischer Verständigung und Aktion vor Ort. Alles andere wäre
«Zuschauerdemokratie», also Vortäuschung politischer Partizipation und die gibt es
zur Genüge in vielen Varianten denen muss eine scheinbar linke Spielart nicht hinzugefügt
werden. «Vor Ort» heißt dabei für die Linke auch: in den Betrieben und in den
Berufsfeldern. Da lässt sich heute viel lernen, methodisch, im Rückblick auf jene Zeiten und
Erfahrungen, in und mit denen die Arbeiterbewegung einst zu einem gesellschaftlichen Faktor wurde.
Allerdings heißt «aus der Geschichte lernen» gewiss nicht, Vergangenes einfach zu kopieren.
Hier sind natürlich auch die Gewerkschaften angesprochen. Doch auch deren kämpferische
Teile reagieren zur Zeit eher vorsichtig und verhalten. Gewerkschaften stellen die herrschende
Standortlogik nur selten wirklich in Frage und führen wenn, dann noch immer vor allem Teilkämpfe.
Es sei nicht die Zeit des Straßenprotests, sagt selbst Horst Schmitthenner in der SoZ.
Unstrittig ist sicherlich, dass die internationale Flexibilität der großen Unternehmen
und zudem die hohe Arbeitslosigkeit hierzulande die Gewerkschaften in die Defensive bringen. Aber es
existieren Handlungsfelder, in denen sie offensiv werden könnten: Es sind nicht die
«objektiven» Umstände, die dazu führen, dass von den Gewerkschaften bei den Konflikten
um den kapitalistischen Zugriff auf bisher öffentliche Güter wenig zu hören ist. Kein
«objektives» Hemmnis führt dazu, dass die Gewerkschaften kaum irgendwo aktiv werden bei den
lokalen Auseinandersetzungen um Sozialstandards, um sozial ausgerichtete kommunale Infrastrukturen. Und
wenn die Gewerkschaften in solchen Zusammenhängen offensiv würden, hätte das keineswegs
weitere Mitgliederverluste zur Folge, im Gegenteil, das würde sich vertrauensbildend auswirken.
Nach meiner Auffassung ist es an der Zeit,
offen über die inneren Lähmungen der gewerkschaftlichen Politik zu reden über die
nach wie vor hemmende personelle Verschränkung mit dem Apparat der SPD, über die
Eigenmächtigkeit von Großbetriebsräten, die nichts mit «Belegschaftsdemokratie» zu
tun hat, auch über die ideologische Sogwirkung, die von neoliberalen Denkstätten auf den
Beratungsnachwuchs bei Gewerkschaftsvorständen ausgeht. Darüber kritisch zu diskutieren,
heißt nicht, das gewerkschaftliche Nest zu beschmutzen. Die offene Debatte darüber, was denn
eigentlich innerverbandliche Demokratie meint, ist bei den Gewerkschaften überfällig.
Im Frühjahr hattest du Hoffnungen auf eine neue linke Publizistik. Doch dein in der SoZ
erschienenes Plädoyer für eine sich entsprechend publizistisch niederschlagende kommunikative
Linke (SoZ 4/05) ist weitgehend ignoriert worden. «Die ‹alte Linke› in der
Bundesrepublik» schriebst du damals in der SoZ, «hat es bisher nicht geschafft, ihre Erfahrungen
und Fähigkeiten dafür zu nutzen, einer gruppenübergreifenden Öffentlichkeit der neuen
Opposition voranzuhelfen, einen ‹kommunikativen Raum› für oppositionelle Ideen und
Aktivitäten heranzubilden.» Auch hier wieder dieselbe Frage: Wie kann man diese
Kommunikationsunfähigkeit überwinden?
Ich bin da zuversichtlich. Es braucht immer etwas Zeit, sich von überflüssigen
Gewohnheiten hier: die der linken Selbstabschottung zu trennen. Vielleicht vermehren sich
erst einmal, im nächsten Schritt, gemeinsame regionale publizistische Auftritte der Opposition, im
Internet und als Printmedien. Und auch bundesweit wird der Gedanke an mehr linke Kooperation und
Öffnung «nach außen hin» bei der publizistischen Arbeit nicht verschwinden. Dafür
sorgt auch der gesellschaftliche Problemdruck.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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