SoZSozialistische Zeitung |
Erst hat er gezuckt: Der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund
(MB), Ulrich Montgomery, hatte bereits angekündigt, an den kommunalen Krankenhäusern den Streik
auszurufen, da schreckte ihn ein Gerichtsurteil, das letzteren als illegal bezeichnete. Daraufhin sagte
Montgomery, laut Gerichtsschelte betreibend, den Streik ab aber jetzt nimmt der MB einen neuen
Anlauf.
Die Zustimmung zu den Streikplänen war gewaltig: 98% der MB-Mitglieder stimmten für den
Streik und die Krankenhausträger waren «not amused». Für die erwachte Kampfbereitschaft
der Ärzte gibt es eine ganze Reihe von Gründen, an erster Stelle der schon immer hohe und in den
letzten Jahren noch gestiegene Arbeitsdruck, aber auch die realen Einkommensverluste (siehe SoZ 11/05).
Umso größer die Enttäuschung, als buchstäblich in letzter Minute am 12.Dezember
erging das Urteil, am 13. sollten die ersten Streiks beginnen ihr Verbandschef einen Rückzieher
machte. Und so sah sich die MB-Führung plötzlich von zwei Seiten unter Druck.
Was in den Medien nicht erscheint und auch Montgomery nicht erwähnt: Formal gesehen hat das
Kölner Gericht, das den Ärztestreik für illegal erklärte, Recht: Für die
Ärzte gilt tatsächlich offiziell noch der BAT oder aber der neue TVöD (Tarifvertrag
öffentlicher Dienst), den Ver.di ausgehandelt und auch unterschrieben hat.
Das Problem ist, dass der MB, der
ursprünglich mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft in Tarifgemeinschaft verbunden war und den
Ver.di nach der Fusion mit der DAG sozusagen geerbt hat, im Sommer das Ergebnis eben dieser
Tarifverhandlungen im kommunalen und Bundesbereich nicht akzeptierte und aus der Tarifgemeinschaft mit
Ver.di ausstieg. Formalrechtlich wäre das aufgrund der Kündigungsfristen erst Ende dieses Jahres
möglich gewesen, Ver.di akzeptierte die Kündigung seinerzeit allerdings schon zu Ende September.
Da der MB die neue TVöD-Regelung nicht unterschrieben hat, gilt für ihn der alte BAT weiter
(wobei, nebenbei gesagt, ein juristisch interessanter Punkt darin besteht, dass u.U. aufgrund der nicht
eingehaltenen Kündigungsfrist eventuell sogar der TVöD für den MB verbindlich ist).
Der Kölner Richter war jedenfalls der
Meinung, dass der MB, wenn er denn streiken wolle, zunächst einmal den für ihn immer noch
gültigen BAT kündigen müsse. Der neue Tarifvertrag sei nämlich nur für die
Parteien gültig, die ihn unterschrieben hätten und das hat der MB nicht getan. Das nun
wiederum wollte Montgomery nicht, weil er dann «Risiken» für die Ärzte sah. Also wurde
der Streik abgesagt, und die MB-Führung ließ sich erst einmal beraten.
Am 19.Dezember hatte der MB sich
entschlossen: Man werde den BAT kündigen und für den Beginn nächsten Jahres erneut zum
Streik aufrufen. Etwas anderes wäre auch nicht möglich gewesen von daher war eigentlich
nur die Frage, ob die traditionell eher streikfaulen Ärzte sich stark genug fühlen würden,
den sicher harten Arbeitskampf auch durchzuhalten. Denn es geht ihnen um einen besonderen Vertrag für
die Ärzte eine Möglichkeit, die das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 14.12.2004
einräumte, als es dekretierte, dass Arbeitnehmer mit einer «Spezialfunktion» einem anderen
Tarifvertrag unterliegen dürfen als die Mehrheit der anderen Arbeitnehmer. Und darauf stützt sich
das Vorgehen des MB, der insgesamt 30% mehr Lohn für die Ärzte fordert.
Da reibt sich der gestandene IG Metaller, der gerade eine Forderung von 5% beschlossen hat, die Augen.
Wie kommt es zu dieser Zahl? Zum einen wurden vor über zehn Jahren, zu einer Zeit, als es mehr als
genug Bewerber an den Krankenhäusern gab, die Eingangsgehälter für Assistenzärzte um
eine ganze Stufe abgesenkt. Zum zweiten hat der MB den Reallohnverlust der allerdings nicht exklusiv
die Ärzte getroffen hat durch zu niedrige Lohnabschlüsse bzw. die Inflationsrate
hinzugerechnet.
Aber da ist noch ein dritter Grund. Wenn
tatsächlich, wie vom MB richtigerweise gefordert, die Europäische Arbeitszeitrichtlinie auf die
Ärzte angewendet würde, wäre ein erheblicher Lohnverlust die Folge. Denn ein nicht
unerheblicher Anteil der Ärztegehälter an den Kliniken speist sich heute aus den Zuschlägen
für Nacht- und Wochenendarbeit und den Vergütungen für Bereitschaftsdienste, die zum Teil
wegfallen würden, wenn die Bereitschaft in Zukunft als Arbeitszeit gerechnet würde. Und somit ist
diese Forderung auch eine Vorsorge für den Fall, dass die Bundesregierung das europäische Recht,
auf das sie sich immer so gern beruft, umsetzt.
Dass Montgomery erst (zurück)zuckte,
kommt nicht von ungefähr. Die derzeitige Welle von Lohndrückerei im Gesundheitsbereich hängt
eng mit der in den letzten Jahren lawinenartig angeschwollenen Privatisierungswelle im Krankenhausbereich
zusammen. So will die Stadt Hamburg auch ihre restlichen Krankenhäuser endgültig verkaufen (49%
sind schon verkauft). Damit die Braut für den privaten Investor das ist einer der in den
letzten 20 Jahre Privatisierungspolitik entstandenen Krankenhauskonzerne aber noch angehübscht
wird, sollen die Häuser im vorauseilenden Gehorsam profitabel gemacht werden. Und das geht im
Klinikbereich, wo 70% der Kosten Personalkosten sind, nur über die Löhne alles andere ist
zumeist schon outgesourct oder heruntergespart.
Und dort, wo die Häuser schon verkauft
sind, wie in Berlin, will der neue nun Inhaber endlich Rendite sehen. Gegen diese gemeinsame Front aus
öffentlichen und privaten Klinikbetreibern anzustreiken, die noch dazu ständig mit weiteren
Krankenhausschließungen drohen, dazu gehört Mut und ein langer Atem. Und der ist den Ärzten
auch zu wünschen, denn 1700 Euro netto für einen Assistenzarzt mit sechs bis sieben 24-Stunden-
Diensten im Monat sind wahrlich nicht üppig. Die einhellige Zustimmung zu den
Arbeitskampfmaßnahmen signalisiert denn auch, dass die nötige Kampfkraft da ist.
Zu wünschen wäre allerdings auch,
dass die Gewerkschaft Ver.di, die jetzt wenn auch inhaltlich teilweise zu Recht versucht, den
Streik der Ärzte als ständische Vertretung von Partikularinteressen abzuqualifizieren, im immer
noch nicht entschiedenen Kampf um den Tarifvertrag für die Beschäftigten der Länder nur halb
soviel Konsequenz sowohl in der Forderungsstruktur wie auch in der Mobilisierung der Beschäftigten
bewiese wie ihr Ex-Partner Marburger Bund. An den Kolleginnen und Kollegen liegt es jedenfalls nicht, wenn
im laufenden Tarifkampf ein ähnlich schlechtes Ergebnis herauskommt wie bei Bund und Kommunen
das beweisen die Streiks an den Unikliniken in Baden-Württemberg, an den Hamburger Krankenhäusern
und an der Charité in Berlin.
Am besten wäre es natürlich, die
Beschäftigten im Gesundheitssektor zögen gemeinsam gegen die Phalanx der Lohndrücker,
Privatisierer und Abzocker in den Streik. Aber dafür müssten sich sowohl Ver.di wie auch der
Marburger Bund ganz erheblich ändern.
Ernst A. Kluge
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04