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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 10

Ärztestreik

Zweiter Anlauf

Erst hat er gezuckt: Der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund (MB), Ulrich Montgomery, hatte bereits angekündigt, an den kommunalen Krankenhäusern den Streik auszurufen, da schreckte ihn ein Gerichtsurteil, das letzteren als illegal bezeichnete. Daraufhin sagte Montgomery, laut Gerichtsschelte betreibend, den Streik ab — aber jetzt nimmt der MB einen neuen Anlauf.

Die Zustimmung zu den Streikplänen war gewaltig: 98% der MB-Mitglieder stimmten für den Streik und die Krankenhausträger waren «not amused». Für die erwachte Kampfbereitschaft der Ärzte gibt es eine ganze Reihe von Gründen, an erster Stelle der schon immer hohe und in den letzten Jahren noch gestiegene Arbeitsdruck, aber auch die realen Einkommensverluste (siehe SoZ 11/05). Umso größer die Enttäuschung, als buchstäblich in letzter Minute — am 12.Dezember erging das Urteil, am 13. sollten die ersten Streiks beginnen — ihr Verbandschef einen Rückzieher machte. Und so sah sich die MB-Führung plötzlich von zwei Seiten unter Druck.

Die Hintergründe

Was in den Medien nicht erscheint und auch Montgomery nicht erwähnt: Formal gesehen hat das Kölner Gericht, das den Ärztestreik für illegal erklärte, Recht: Für die Ärzte gilt tatsächlich offiziell noch der BAT oder aber der neue TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst), den Ver.di ausgehandelt und auch unterschrieben hat.
Das Problem ist, dass der MB, der ursprünglich mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft in Tarifgemeinschaft verbunden war und den Ver.di nach der Fusion mit der DAG sozusagen geerbt hat, im Sommer das Ergebnis eben dieser Tarifverhandlungen im kommunalen und Bundesbereich nicht akzeptierte und aus der Tarifgemeinschaft mit Ver.di ausstieg. Formalrechtlich wäre das aufgrund der Kündigungsfristen erst Ende dieses Jahres möglich gewesen, Ver.di akzeptierte die Kündigung seinerzeit allerdings schon zu Ende September. Da der MB die neue TVöD-Regelung nicht unterschrieben hat, gilt für ihn der alte BAT weiter (wobei, nebenbei gesagt, ein juristisch interessanter Punkt darin besteht, dass u.U. aufgrund der nicht eingehaltenen Kündigungsfrist eventuell sogar der TVöD für den MB verbindlich ist).
Der Kölner Richter war jedenfalls der Meinung, dass der MB, wenn er denn streiken wolle, zunächst einmal den für ihn immer noch gültigen BAT kündigen müsse. Der neue Tarifvertrag sei nämlich nur für die Parteien gültig, die ihn unterschrieben hätten — und das hat der MB nicht getan. Das nun wiederum wollte Montgomery nicht, weil er dann «Risiken» für die Ärzte sah. Also wurde der Streik abgesagt, und die MB-Führung ließ sich erst einmal beraten.
Am 19.Dezember hatte der MB sich entschlossen: Man werde den BAT kündigen und für den Beginn nächsten Jahres erneut zum Streik aufrufen. Etwas anderes wäre auch nicht möglich gewesen — von daher war eigentlich nur die Frage, ob die traditionell eher streikfaulen Ärzte sich stark genug fühlen würden, den sicher harten Arbeitskampf auch durchzuhalten. Denn es geht ihnen um einen besonderen Vertrag für die Ärzte — eine Möglichkeit, die das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 14.12.2004 einräumte, als es dekretierte, dass Arbeitnehmer mit einer «Spezialfunktion» einem anderen Tarifvertrag unterliegen dürfen als die Mehrheit der anderen Arbeitnehmer. Und darauf stützt sich das Vorgehen des MB, der insgesamt 30% mehr Lohn für die Ärzte fordert.

Ein harter Kampf steht bevor

Da reibt sich der gestandene IG Metaller, der gerade eine Forderung von 5% beschlossen hat, die Augen. Wie kommt es zu dieser Zahl? Zum einen wurden vor über zehn Jahren, zu einer Zeit, als es mehr als genug Bewerber an den Krankenhäusern gab, die Eingangsgehälter für Assistenzärzte um eine ganze Stufe abgesenkt. Zum zweiten hat der MB den Reallohnverlust — der allerdings nicht exklusiv die Ärzte getroffen hat — durch zu niedrige Lohnabschlüsse bzw. die Inflationsrate hinzugerechnet.
Aber da ist noch ein dritter Grund. Wenn tatsächlich, wie vom MB richtigerweise gefordert, die Europäische Arbeitszeitrichtlinie auf die Ärzte angewendet würde, wäre ein erheblicher Lohnverlust die Folge. Denn ein nicht unerheblicher Anteil der Ärztegehälter an den Kliniken speist sich heute aus den Zuschlägen für Nacht- und Wochenendarbeit und den Vergütungen für Bereitschaftsdienste, die zum Teil wegfallen würden, wenn die Bereitschaft in Zukunft als Arbeitszeit gerechnet würde. Und somit ist diese Forderung auch eine Vorsorge für den Fall, dass die Bundesregierung das europäische Recht, auf das sie sich immer so gern beruft, umsetzt.
Dass Montgomery erst (zurück)zuckte, kommt nicht von ungefähr. Die derzeitige Welle von Lohndrückerei im Gesundheitsbereich hängt eng mit der in den letzten Jahren lawinenartig angeschwollenen Privatisierungswelle im Krankenhausbereich zusammen. So will die Stadt Hamburg auch ihre restlichen Krankenhäuser endgültig verkaufen (49% sind schon verkauft). Damit die Braut für den privaten Investor — das ist einer der in den letzten 20 Jahre Privatisierungspolitik entstandenen Krankenhauskonzerne — aber noch angehübscht wird, sollen die Häuser im vorauseilenden Gehorsam profitabel gemacht werden. Und das geht im Klinikbereich, wo 70% der Kosten Personalkosten sind, nur über die Löhne — alles andere ist zumeist schon outgesourct oder heruntergespart.
Und dort, wo die Häuser schon verkauft sind, wie in Berlin, will der neue nun Inhaber endlich Rendite sehen. Gegen diese gemeinsame Front aus öffentlichen und privaten Klinikbetreibern anzustreiken, die noch dazu ständig mit weiteren Krankenhausschließungen drohen, dazu gehört Mut und ein langer Atem. Und der ist den Ärzten auch zu wünschen, denn 1700 Euro netto für einen Assistenzarzt mit sechs bis sieben 24-Stunden- Diensten im Monat sind wahrlich nicht üppig. Die einhellige Zustimmung zu den Arbeitskampfmaßnahmen signalisiert denn auch, dass die nötige Kampfkraft da ist.
Zu wünschen wäre allerdings auch, dass die Gewerkschaft Ver.di, die jetzt — wenn auch inhaltlich teilweise zu Recht — versucht, den Streik der Ärzte als ständische Vertretung von Partikularinteressen abzuqualifizieren, im immer noch nicht entschiedenen Kampf um den Tarifvertrag für die Beschäftigten der Länder nur halb soviel Konsequenz sowohl in der Forderungsstruktur wie auch in der Mobilisierung der Beschäftigten bewiese wie ihr Ex-Partner Marburger Bund. An den Kolleginnen und Kollegen liegt es jedenfalls nicht, wenn im laufenden Tarifkampf ein ähnlich schlechtes Ergebnis herauskommt wie bei Bund und Kommunen — das beweisen die Streiks an den Unikliniken in Baden-Württemberg, an den Hamburger Krankenhäusern und an der Charité in Berlin.
Am besten wäre es natürlich, die Beschäftigten im Gesundheitssektor zögen gemeinsam gegen die Phalanx der Lohndrücker, Privatisierer und Abzocker in den Streik. Aber dafür müssten sich sowohl Ver.di wie auch der Marburger Bund ganz erheblich ändern.

Ernst A. Kluge

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