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«Wir sind besorgt darüber, dass unverhältnismäßig
viele Nichtregierungsorganisationen, die der Globalisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung feindlich
gegenüberstehen, von Regierungen und europäischen Institutionen wie der Europäischen
Kommission finanziell unterstützt werden», heißt es in einer schriftlichen Erklärung
des Europaparlaments, verfasst von der liberalen Abgeordneten Silvana Koch-Mehrin. Bisher haben 70
Abgeordnete diese Erklärung unterzeichnet. Die Frist läuft am 26.Dezember aus. Unmittelbare
Sanktionen wird diese Erklärung keine zur Folge haben. Aber sie ist Teil einer propagandistischen
Offensive, die neoliberale Netzwerke derzeit gegen missliebige Organisationen betreiben.
Silvana Koch-Mehrin sitzt seit 2004 im Europaparlament und ist dort stellvertretende Vorsitzende
der liberalen Fraktion. Sie gilt als das «europäische Gesicht» der FDP. Schon
frühzeitig hat sie sich etwa für ein Verfassungsreferendum in allen EU-Mitgliedstaaten stark
gemacht. Es sei «ganz wichtig, dass wirklich alle Europäer selbst entscheiden können, ob sie
diese Verfassung wollen», so Koch-Mehrin, denn nur dann entstehe ein «Wir-Gefühl», eine
«gemeinsame europäische Identität».
Nun zeichnete sich schon Ende 2004 ab, dass
die Chancen für ein positives Referendum in Frankreich schlechter, aber nicht besser wurden. Das
globalisierungskritische Netzwerk Attac und französische Gewerkschaften hatten eine wirksame Kampagne
gegen den Verfassungsentwurf angestoßen, die vor allem dessen neoliberalen und unsozialen Charakter
kritisierte.
Im März 2005 wetterte Koch-Mehrin
lautstark gegen die Kritiker. Sie hatte entdeckt, dass z.B. die europäischen Attac-Verbände
zwischen 2001 und 2003 knapp 60000 Euro an EU-Zuschüssen erhalten haben. Prompt forderte Koch-Mehrin,
solchen Organisationen, die den «Grundprinzipien der EU klar entgegenstehen», kein Geld mehr zu
geben. Koch-Mehrin begründete ihre Haltung schriftlich: «Die EU hat sich auf klare
wirtschaftspolitische Grundprinzipien geeinigt, prioritär die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der
Welt. Einige Nichtregierungsorganisationen stehen der Ausgestaltung dieser Grundprinzipien feindlich
gegenüber.»
Nach den gescheiterten Referenden in
Frankreich und den Niederlanden änderte Koch-Mehrin ihren Haltung zur Frage der Referenden. Sie lobte
ausdrücklich die britische Entscheidung, das geplante Referendum auszusetzen und empfahl den anderen
EU-Mitgliedstaaten, dem britischen Beispiel zu folgen. Sie wolle sich weiter engagieren, wenn der
Verfassungsvertrag 2007, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, wieder auf die
Tagesordnung kommt.
Bis dahin verstärkt sie ihren Kurs
gegen die Kritiker des Neoliberalismus: In einem vor wenigen Wochen verbreiteten offenen Brief an alle
Mitglieder des Europäischen Parlaments greift sie erneut die Geldvergabe der Kommission an
französische Gewerkschaften und Attac an. Mit einer Unterschriftensammlung unter EU-Parlamentariern
will Koch-Mehrin die Stimmung gegen kritische NGOs anheizen, denen sie mangelnde Transparenz unterstellt.
Eine der Organisationen, die Koch-Mehrin in
ihrem offenen Brief angreift, ist Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED). Die Mitarbeiter
sind profunde Analytiker der Weltwirtschaft und Kritiker ihrer neoliberalen Ausrichtung. Wie die meisten
NGOs begrüßen sie die Initiative für mehr Transparenz bei der Geldvergabe der Kommission. In
ihrem jährlichen Rechenschaftsbericht, der auf der WEED-Homepage veröffentlicht ist, weisen sie
nach, wofür sie Geld ausgeben und von wem sie Geld bekommen unter anderem 102884 Euro von der
EU-Kommission.
Solche Transparenz lassen andere
Organisationen, denen Silvana Koch-Mehrin nahe steht, vermissen. Das Lisbon-Council, eine Lobbyorganisation
in Brüssel, die sich für neoliberale Politik stark macht, nennt keine Geldgeber. Und die
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), deren Botschafterin Koch-Mehrin ist, bezieht zwar kein Geld
von der EU-Kommission, bedient sich aber unlauterer Mittel. Die INSM erhält jährlich 9 Millionen
Euro vom Unternehmerverband Gesamtmetall. Ihre Botschafter dazu gehört der Grüne Oswald
Metzger ebenso wie Randolf Rodenstock, Präsident der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft
treten für die neoliberale Agenda ein.
Um der Botschaft nachzuhelfen, kaufte die
INSM auch Dialoge in populären Fernsehsendungen. Zitat aus einem gekauften «Marienhof»-
Dialog: «Mit ein bisschen Eigeninitiative werde ich schon irgendetwas finden! Wenn man was wirklich
will, dann klappt das schon, früher oder später.» Und siehe da: Die Protagonistin Jenny
findet Arbeit bei einer Zeitarbeitsfirma. Die INSM warb in «Marienhof» nicht nur für die
private Arbeitsvermittlung und die vielbeschworene Eigeninitiative der Bürger, die künftig den
Sozialstaat ersetzen soll, sondern auch noch für marktgerechten Schulunterricht und niedrige Steuern
und Abgaben.
Journalisten, die diese Manipulation
aufgedeckt hatten, versuchten die PR-Profis der INSM in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, ihre
Glaubwürdigkeit anzukratzen. «Blaming» heißt diese aggressive Lobbystrategie aus den
USA. Eine Methode, die Koch-Mehrin auf ihr unliebsame NGOs und Gewerkschaften anwendet. «Unseren
Finanz- und Tätigkeitsbericht kann jeder auf unserer Homepage einsehen», sagt Professor Markus
Krajewski, Vorsitzender der NGO Weed, «denn anders als für viele Wirtschaftslobbyisten ist
Transparenz für WEED kein Fremdwort». Der Vorstoß von Koch-Mehrin offenbare ein
«vordemokratisches und antiliberales Verständnis über die Verwendung öffentlicher
Gelder», so Krajewski. Dies sei «Ausdruck einer Gesinnung, die sich gegen ein pluralistisches
Europa der Bürger und Bürgerinnen wendet».
Reinhard Hermle, Leiter der Abteilung
Entwicklungspolitik bei Misereor und Vorsitzender des Dachverbands entwicklungspolitischer
Nichtregierungsorganisationen, VENRO, sieht den Vorstoß von Koch-Mehrin als Teil einer
«ideologischen Schlacht». Eine Schlacht, die mit der offensichtlichen Krise der neoliberalen
Politikkonzepte an Schärfe zunehmen wird.
Gerhard Klas
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