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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 13

Kampfplatz EU

Kein Geld mehr für kritische NGOs?

«Wir sind besorgt darüber, dass unverhältnismäßig viele Nichtregierungsorganisationen, die der Globalisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung feindlich gegenüberstehen, von Regierungen und europäischen Institutionen wie der Europäischen Kommission finanziell unterstützt werden», heißt es in einer schriftlichen Erklärung des Europaparlaments, verfasst von der liberalen Abgeordneten Silvana Koch-Mehrin. Bisher haben 70 Abgeordnete diese Erklärung unterzeichnet. Die Frist läuft am 26.Dezember aus. Unmittelbare Sanktionen wird diese Erklärung keine zur Folge haben. Aber sie ist Teil einer propagandistischen Offensive, die neoliberale Netzwerke derzeit gegen missliebige Organisationen betreiben.

Silvana Koch-Mehrin sitzt seit 2004 im Europaparlament und ist dort stellvertretende Vorsitzende der liberalen Fraktion. Sie gilt als das «europäische Gesicht» der FDP. Schon frühzeitig hat sie sich etwa für ein Verfassungsreferendum in allen EU-Mitgliedstaaten stark gemacht. Es sei «ganz wichtig, dass wirklich alle Europäer selbst entscheiden können, ob sie diese Verfassung wollen», so Koch-Mehrin, denn nur dann entstehe ein «Wir-Gefühl», eine «gemeinsame europäische Identität».
Nun zeichnete sich schon Ende 2004 ab, dass die Chancen für ein positives Referendum in Frankreich schlechter, aber nicht besser wurden. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac und französische Gewerkschaften hatten eine wirksame Kampagne gegen den Verfassungsentwurf angestoßen, die vor allem dessen neoliberalen und unsozialen Charakter kritisierte.
Im März 2005 wetterte Koch-Mehrin lautstark gegen die Kritiker. Sie hatte entdeckt, dass z.B. die europäischen Attac-Verbände zwischen 2001 und 2003 knapp 60000 Euro an EU-Zuschüssen erhalten haben. Prompt forderte Koch-Mehrin, solchen Organisationen, die den «Grundprinzipien der EU klar entgegenstehen», kein Geld mehr zu geben. Koch-Mehrin begründete ihre Haltung schriftlich: «Die EU hat sich auf klare wirtschaftspolitische Grundprinzipien geeinigt, prioritär die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt. Einige Nichtregierungsorganisationen stehen der Ausgestaltung dieser Grundprinzipien feindlich gegenüber.»
Nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden änderte Koch-Mehrin ihren Haltung zur Frage der Referenden. Sie lobte ausdrücklich die britische Entscheidung, das geplante Referendum auszusetzen und empfahl den anderen EU-Mitgliedstaaten, dem britischen Beispiel zu folgen. Sie wolle sich weiter engagieren, wenn der Verfassungsvertrag 2007, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, wieder auf die Tagesordnung kommt.
Bis dahin verstärkt sie ihren Kurs gegen die Kritiker des Neoliberalismus: In einem vor wenigen Wochen verbreiteten offenen Brief an alle Mitglieder des Europäischen Parlaments greift sie erneut die Geldvergabe der Kommission an französische Gewerkschaften und Attac an. Mit einer Unterschriftensammlung unter EU-Parlamentariern will Koch-Mehrin die Stimmung gegen kritische NGOs anheizen, denen sie mangelnde Transparenz unterstellt.
Eine der Organisationen, die Koch-Mehrin in ihrem offenen Brief angreift, ist Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED). Die Mitarbeiter sind profunde Analytiker der Weltwirtschaft und Kritiker ihrer neoliberalen Ausrichtung. Wie die meisten NGOs begrüßen sie die Initiative für mehr Transparenz bei der Geldvergabe der Kommission. In ihrem jährlichen Rechenschaftsbericht, der auf der WEED-Homepage veröffentlicht ist, weisen sie nach, wofür sie Geld ausgeben und von wem sie Geld bekommen — unter anderem 102884 Euro von der EU-Kommission.
Solche Transparenz lassen andere Organisationen, denen Silvana Koch-Mehrin nahe steht, vermissen. Das Lisbon-Council, eine Lobbyorganisation in Brüssel, die sich für neoliberale Politik stark macht, nennt keine Geldgeber. Und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), deren Botschafterin Koch-Mehrin ist, bezieht zwar kein Geld von der EU-Kommission, bedient sich aber unlauterer Mittel. Die INSM erhält jährlich 9 Millionen Euro vom Unternehmerverband Gesamtmetall. Ihre Botschafter — dazu gehört der Grüne Oswald Metzger ebenso wie Randolf Rodenstock, Präsident der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft — treten für die neoliberale Agenda ein.
Um der Botschaft nachzuhelfen, kaufte die INSM auch Dialoge in populären Fernsehsendungen. Zitat aus einem gekauften «Marienhof»- Dialog: «Mit ein bisschen Eigeninitiative werde ich schon irgendetwas finden! Wenn man was wirklich will, dann klappt das schon, früher oder später.» Und siehe da: Die Protagonistin Jenny findet Arbeit bei einer Zeitarbeitsfirma. Die INSM warb in «Marienhof» nicht nur für die private Arbeitsvermittlung und die vielbeschworene Eigeninitiative der Bürger, die künftig den Sozialstaat ersetzen soll, sondern auch noch für marktgerechten Schulunterricht und niedrige Steuern und Abgaben.
Journalisten, die diese Manipulation aufgedeckt hatten, versuchten die PR-Profis der INSM in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, ihre Glaubwürdigkeit anzukratzen. «Blaming» heißt diese aggressive Lobbystrategie aus den USA. Eine Methode, die Koch-Mehrin auf ihr unliebsame NGOs und Gewerkschaften anwendet. «Unseren Finanz- und Tätigkeitsbericht kann jeder auf unserer Homepage einsehen», sagt Professor Markus Krajewski, Vorsitzender der NGO Weed, «denn anders als für viele Wirtschaftslobbyisten ist Transparenz für WEED kein Fremdwort». Der Vorstoß von Koch-Mehrin offenbare ein «vordemokratisches und antiliberales Verständnis über die Verwendung öffentlicher Gelder», so Krajewski. Dies sei «Ausdruck einer Gesinnung, die sich gegen ein pluralistisches Europa der Bürger und Bürgerinnen wendet».
Reinhard Hermle, Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik bei Misereor und Vorsitzender des Dachverbands entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen, VENRO, sieht den Vorstoß von Koch-Mehrin als Teil einer «ideologischen Schlacht». Eine Schlacht, die mit der offensichtlichen Krise der neoliberalen Politikkonzepte an Schärfe zunehmen wird.

Gerhard Klas

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