SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 15

WTO

Rambo-Diplomatie

Same procedure as every year. In Hongkong ging dieser Tage die 6.Ministerkonferenz der WTO zu Ende. Wieder boxten USA und EU ihre Interessen rücksichtslos gegen die Staaten des Südens durch, lockten, drohten, schmeichelten — alles hinter einer Nebelwand aus Entwicklungsrhetorik und scheinbar hehren Versprechen für die ärmsten Länder.

Erleichtert werden die propagandistischen Manöver durch die Komplexität der Materie und die Faulheit der Journalisten aller Länder, die am liebsten nur mit ihren eigenen Regierungsvertretern sprechen und weder die zahlreichen protestierenden Organisationen noch die Vertreter der zahlreichen Entwicklungsländer befragen — oder gleich die Regierungserklärungen abschreiben und als Produkt ihrer Recherche ausgeben. Für den Laien ist es da nicht immer einfach durchzublicken, weder in den Tausenden von Detailfragen noch bei den großen Linien.
Dabei ist der Sachverhalt im Grunde sehr simpel.
Erstens: Die großen Industriestaaten wollen in aller Welt möglichst freien Marktzugang für alle ihre Produkte. Zölle sollen gesenkt und «nichttarifäre Handelshemmnisse» beseitigt werden. Letzteres sind z.B. auch gesetzliche Verbote für die Einfuhr gentechnisch veränderter Nahrungsmittel.
Die Entwicklungsländer haben hingegen in sehr unterschiedlichem Maße ein Interesse daran, die Möglichkeit von Schutzzöllen zu behalten, denn nur mit diesen können neue heimische Industrien gegen die übermächtige Konkurrenz aus dem Norden aufgebaut werden.
Zweitens haben die Industriestaaten, insbesondere die EU, die Angewohnheit, ihre überschüssige Agrarproduktion zu Spottpreisen auf den Weltmarkt zu werfen. Finanziert wird das aus unseren Steuergeldern, bezahlt wird das vor allem im westlichen Afrika mit dem Ruin zahlreicher Bauern, die gegen die Konkurrenz belgischer Hühnerfleischabfälle oder italienischer Tomaten nichts ausrichten können. Die EU ließ sich in Hongkong bestätigen, dass sie diese Praxis noch mindestens acht Jahre fortsetzen darf.
Drittens wollen die EU und die USA Zugang zu den Dienstleistungsmärkten in aller Welt. Dienstleistung ist im Zweifelsfall alles, womit sich Geld machen lässt: Bildung, Wasser, Abwasser, ÖPNV, Banken, Versicherungen. Besonders die beiden letzten Branchen sind in den aufstrebenden Schwellenländern tendenziell sehr lukrativ.
Viertens verlangt die EU aggressiv die Öffnung der «Beschaffungsmärkte». Die europäischen Konzerne wollen in den WTO- Verträgen gerne festgehalten sehen, dass öffentliche Aufträge ab einer bestimmten Größe ausgeschrieben werden müssen, und zwar international. Deutsche Baukonzerne hätten dann sozusagen einen Rechtsanspruch, in Argentinien oder Indien Aufträge zu bekommen. Die Interessen der dortigen Unternehmen oder gar der Beschäftigten spielen hingegen keine Rolle.
Fünftens verlangen viele Entwicklungsländer und soziale Bewegungen, dass erst die Auswirkungen der bisherigen Regelungen untersucht werden müssen, bevor über eine weitere Liberalisierung gesprochen wird. Insbesondere das Abkommen über Handelsspezifische Aspekte des Intellektuellen Eigentums (TRIPS) muss überarbeitet werden, fordern die afrikanischen Staaten seit langem. In seiner bisherigen Form fördert es die Biopiraterie, d.h. die Patentierung von Pflanzen und Tieren, die seit Jahrhunderten von den Menschen in bestimmten Regionen genutzt werden und auf einmal zum geistigen Eigentum zahlungskräftiger Konzerne erklärt werden können. Außerdem verhindert das Abkommen in vielen Fällen, dass Entwicklungsländer teure Medikamente nachmachen können, um ihre BürgerInnen zu versorgen.
Ein großer Berg Konfliktstoff also. Mehrere WTO-Ministerkonferenzen sind daran bereits gescheitert, aber in Hongkong gab es diesmal einen minimalen Kompromiss, d.h. eine Einigung über den Fortgang der Verhandlungen, der aber für die Entwicklungsländer manchen Pferdefuß beinhaltet. Nach Informationen von Attac soll sich diesmal vor allem die Bundesregierung mit einer aggressiven Verhandlungsstrategie hervorgetan haben. Das wundert eigentlich nicht weiter, denn die Exportindustrie ist so ziemlich das einzige, womit das deutsche Kapital gute Gewinne macht. Sie hat traditionell in Deutschland ein größeres Gewicht, als in den meisten anderen Industriestaaten.
Same procedure auch in Sachen Protesten. Die Ministerkonferenz war wieder von einer Unzahl von Demonstrationen begleitet, auch wenn die dezentralen globalen Aktionen diesmal in Deutschland etwas blass waren. In Hongkong selbst stachen vor allem die koreanischen Organisationen — hauptsächlich der Bauernverband — durch ihre faszinierende disziplinierte Militanz hervor. Die staatlichen Behörden reagierten erwartungsgemäß: mit massiver Hetze im Vorfeld und mit brutalen Polizeieinsätzen. Demokratie und Freihandel vertragen sich nun mal nicht, und in China gibt man ganz wie in den USA oder der EU letzterem den Vorzug.

Wolfgang Pomrehn

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