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Same procedure as every year. In Hongkong ging dieser Tage die
6.Ministerkonferenz der WTO zu Ende. Wieder boxten USA und EU ihre Interessen rücksichtslos gegen die
Staaten des Südens durch, lockten, drohten, schmeichelten alles hinter einer Nebelwand aus
Entwicklungsrhetorik und scheinbar hehren Versprechen für die ärmsten Länder.
Erleichtert werden die propagandistischen Manöver durch die Komplexität der Materie und die
Faulheit der Journalisten aller Länder, die am liebsten nur mit ihren eigenen Regierungsvertretern
sprechen und weder die zahlreichen protestierenden Organisationen noch die Vertreter der zahlreichen
Entwicklungsländer befragen oder gleich die Regierungserklärungen abschreiben und als Produkt
ihrer Recherche ausgeben. Für den Laien ist es da nicht immer einfach durchzublicken, weder in den
Tausenden von Detailfragen noch bei den großen Linien.
Dabei ist der Sachverhalt im Grunde sehr
simpel.
Erstens: Die großen Industriestaaten
wollen in aller Welt möglichst freien Marktzugang für alle ihre Produkte. Zölle sollen gesenkt
und «nichttarifäre Handelshemmnisse» beseitigt werden. Letzteres sind z.B. auch gesetzliche
Verbote für die Einfuhr gentechnisch veränderter Nahrungsmittel.
Die Entwicklungsländer haben hingegen in
sehr unterschiedlichem Maße ein Interesse daran, die Möglichkeit von Schutzzöllen zu behalten,
denn nur mit diesen können neue heimische Industrien gegen die übermächtige Konkurrenz aus dem
Norden aufgebaut werden.
Zweitens haben die Industriestaaten,
insbesondere die EU, die Angewohnheit, ihre überschüssige Agrarproduktion zu Spottpreisen auf den
Weltmarkt zu werfen. Finanziert wird das aus unseren Steuergeldern, bezahlt wird das vor allem im westlichen
Afrika mit dem Ruin zahlreicher Bauern, die gegen die Konkurrenz belgischer Hühnerfleischabfälle oder
italienischer Tomaten nichts ausrichten können. Die EU ließ sich in Hongkong bestätigen, dass
sie diese Praxis noch mindestens acht Jahre fortsetzen darf.
Drittens wollen die EU und die USA Zugang zu
den Dienstleistungsmärkten in aller Welt. Dienstleistung ist im Zweifelsfall alles, womit sich Geld machen
lässt: Bildung, Wasser, Abwasser, ÖPNV, Banken, Versicherungen. Besonders die beiden letzten Branchen
sind in den aufstrebenden Schwellenländern tendenziell sehr lukrativ.
Viertens verlangt die EU aggressiv die
Öffnung der «Beschaffungsmärkte». Die europäischen Konzerne wollen in den WTO-
Verträgen gerne festgehalten sehen, dass öffentliche Aufträge ab einer bestimmten
Größe ausgeschrieben werden müssen, und zwar international. Deutsche Baukonzerne hätten
dann sozusagen einen Rechtsanspruch, in Argentinien oder Indien Aufträge zu bekommen. Die Interessen der
dortigen Unternehmen oder gar der Beschäftigten spielen hingegen keine Rolle.
Fünftens verlangen viele
Entwicklungsländer und soziale Bewegungen, dass erst die Auswirkungen der bisherigen Regelungen untersucht
werden müssen, bevor über eine weitere Liberalisierung gesprochen wird. Insbesondere das Abkommen
über Handelsspezifische Aspekte des Intellektuellen Eigentums (TRIPS) muss überarbeitet werden,
fordern die afrikanischen Staaten seit langem. In seiner bisherigen Form fördert es die Biopiraterie, d.h.
die Patentierung von Pflanzen und Tieren, die seit Jahrhunderten von den Menschen in bestimmten Regionen
genutzt werden und auf einmal zum geistigen Eigentum zahlungskräftiger Konzerne erklärt werden
können. Außerdem verhindert das Abkommen in vielen Fällen, dass Entwicklungsländer teure
Medikamente nachmachen können, um ihre BürgerInnen zu versorgen.
Ein großer Berg Konfliktstoff also.
Mehrere WTO-Ministerkonferenzen sind daran bereits gescheitert, aber in Hongkong gab es diesmal einen minimalen
Kompromiss, d.h. eine Einigung über den Fortgang der Verhandlungen, der aber für die
Entwicklungsländer manchen Pferdefuß beinhaltet. Nach Informationen von Attac soll sich diesmal vor
allem die Bundesregierung mit einer aggressiven Verhandlungsstrategie hervorgetan haben. Das wundert eigentlich
nicht weiter, denn die Exportindustrie ist so ziemlich das einzige, womit das deutsche Kapital gute Gewinne
macht. Sie hat traditionell in Deutschland ein größeres Gewicht, als in den meisten anderen
Industriestaaten.
Same procedure auch in Sachen Protesten. Die
Ministerkonferenz war wieder von einer Unzahl von Demonstrationen begleitet, auch wenn die dezentralen globalen
Aktionen diesmal in Deutschland etwas blass waren. In Hongkong selbst stachen vor allem die koreanischen
Organisationen hauptsächlich der Bauernverband durch ihre faszinierende disziplinierte
Militanz hervor. Die staatlichen Behörden reagierten erwartungsgemäß: mit massiver Hetze im
Vorfeld und mit brutalen Polizeieinsätzen. Demokratie und Freihandel vertragen sich nun mal nicht, und in
China gibt man ganz wie in den USA oder der EU letzterem den Vorzug.
Wolfgang Pomrehn
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