SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 19

Arbeit

Mehr als eine Beschäftigung, die Geld einbringt

«Arbeit ist eine Beschäftigung, für die man Geld bekommt, und hat man keine Arbeit, so hat man auch kein Geld.»* Dies ist keineswegs «nur» die verkürzte Sichtweise einer neunjährigen Schülerin. Auch nach den gängigen Arbeitstheorien, die sich fast alle auf Lohnarbeitstätigkeiten in Industrie und Verwaltung beschränken, gehören Arbeiten, die außerhalb bezahlter Lohnarbeit stattfinden, in den «Restbereich», der für die Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft zuständig ist.

Es ist also danach zu fragen, was eigentlich Arbeit ist, und warum der «enge» Arbeitsbegriff wenig taugt. Es gilt, Kriterien für einen erweiterten Arbeitsbegriff zu entwickeln und Abgrenzungen vorzunehmen, weil nicht alles, was Menschen in ihrer wachen Zeit tun, Arbeit sein kann.
Arbeit ist sowohl selbstständige Arbeit als auch abhängig geleistete, bezahlte Erwerbsarbeit. Diese ist zu unterteilen in ungeschützte (meist sozialversicherungsfreie) Erwerbsarbeit, Teilzeitarbeit (mit und ohne tarifliche Absicherung), tariflich abgesicherte «Normal»-Arbeit. Arbeit ist auch Haus- und Sorgearbeit, Erziehungsarbeit, Pflegearbeit für Alte, Kranke und Behinderte, unbezahlte Konsumarbeit, Subsistenzarbeit, ehrenamtliche politische und kulturelle Arbeit, bürgerschaftliches Engagement, «freiwillige» unbezahlte soziale Arbeit, unbezahlte Arbeit in Selbsthilfegruppen und neuerdings auch Arbeit in «Arbeitsgelegenheiten» im Sinne von 1-Euro-Jobs.
Die Diskussion darüber, wie Arbeit und Leben in der Zukunft gestaltet sein sollen, muss von einem umfassenden Arbeitsbegriff ausgehen, der (jetzt) bezahlt und (jetzt) unbezahlt geleistete Arbeit einschließt und auch die verschiedenen Arbeitsorte in die geschlechtsspezifischen Analysen einbezieht. Bei den meisten Diskussionen um die Zukunft der Arbeit geht es um die Zukunft jenseits der (tarifvertraglich bezahlten) Erwerbsarbeit, meist im Niedriglohnsektor und meist auf Kosten von Frauen. Die Argumentationen über die Wichtigkeit der Arbeit jenseits von Markt und Staat ideologisieren die Unbezahltheit und scheinbare Unbezahlbarkeit der Arbeit, nicht selten auf Kosten von Frauen. Zudem sind die Arbeiten, die unbezahlt und ehrenamtlich oder mit 1-Euro-Jobs ausgeführt werden, meist Reparaturarbeiten für die sozialen, gesundheitlichen, psychischen und ökologischen Schäden, die im Sektor der Erwerbsarbeit aber auch in Familien und anderen Zusammenlebensformen verursacht wurden.
Eine Neubewertung und Neuverteilung der Arbeit setzt voraus, dass die Frage gestellt wird, welche Arbeiten in den verschiedenen Arbeitsbereichen wünschenswert, sinnvoll und gesellschaftlich nützlich sind. Daher sind Tätigkeiten, die der Zerstörung der Umwelt und der zwischenmenschlichen Beziehungen sowie kriegerischen Auseinandersetzungen dienen, nicht im Arbeitsbegriff zu verankern. Wenn der Anspruch, die Lebensqualität für alle Menschen und die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu sichern, ernst genommen wird, wird ein Umdenken in breitem Umfang dringend notwendig.

Zielsetzungen einer «Arbeitspolitik»

In Zukunft muss es darum gehen, die herkömmliche Trennung von ökonomisch und außerökonomisch determinierten Arbeitsbedingungen sowie deren geschlechterspezifische Zuordnung grundsätzlich in Frage zu stellen. Daraus kann dann abgeleitet werden, welcher institutioneller Änderungen es in Beruf, Gemeinwesen und Haushalt bedarf, damit Frauen und Männer die dort anfallenden Arbeiten ebenbürtig erledigen können, geschlechts- und schichtsspezifische Differenzen abgebaut und neuen Unterschichtungen (auch) zwischen Frauen verschiedener Herkunft und verschiedener Ethnien vermieden werden. Es gilt, Menschenrechte für alle einzufordern, «illegale» Verhältnisse zu legalisieren und die eigenständige Existenzsicherung aus möglichst selbstbestimmter Arbeit für alle zu ermöglichen. Es geht um eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die alle Menschen als eigenständige Individuen behandelt und Mindestarbeitsbedingungen, Mindestlöhne und weltweite Ethikcodes gesetzlich festlegt.
Für die gewerkschaftliche Arbeitspolitik ergibt sich für die Zukunft die Notwendigkeit, sich dem ungeheuer weiten Feld der Arbeit als Ganzem zuzuwenden. Menschen aus großen und kleinen Fabriken, aus Verwaltungen, «neue Selbstständige», Ich- und Familien-AGs, die meist weder Produktionsmittel besitzen, noch andere für sich arbeiten lassen, Menschen aus Schatten- und Alternativwirtschaft und lokaler Ökonomie wie auch aus Hauswirtschaft, bürgerschaftlichem Engagement und ehrenamtlicher Arbeit müssen in die Entwicklung von Konzepten und in Handlungsstrategien zur «Zukunft der Arbeit» einbezogen werden. Das gilt auch für gewerkschaftliche Strategien, Handlungskonzepte und Aktionen. Ohne Allianzen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Kräften wie Politik, Gewerkschaften, Unternehmen, sozialen Bewegungen und Frauenverbänden und ohne die Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren werden Veränderungen im Sinne einer Aufhebung der rassistischen und sexistischen Ungleichheiten schwer zu erreichen sein.
Für Gewerkschaftsfrauen reicht es nicht, undifferenziert die Forderung «Her mit der Hälfte des Kuchens» zu stellen, denn das hieße, die Hälfte vom verschimmelten Kuchen zu fordern. Wir müssen über Konzepte und Gestaltung der ganzen Bäckerei nachdenken. Es wird auch nicht reichen, einfach nur mehr Frauen in politische Positionen und Führungspositionen in Wirtschaft und Verwaltung zu bringen. Es braucht Frauen und Männer, die mit den herrschenden Verhältnissen nicht einverstanden sind. Menschen, die Macht nicht mit Unterdrückung verbinden, sondern für die Macht heißt, «etwas hervorzubringen: eine andere Lebensweise, eine andere Welt, einen inspirierenden Sinn» (Rossana Rossanda).
Gegen-Macht im Mahlwerk der neoliberalen Globalisierung wird ebenso notwendig wie Mit-Macht. Es gilt, konkrete Utopien für das viel zitierte «gute Leben» oder für die andere Welt, von deren Möglichkeit immer mehr Menschen überzeugt zu sein scheinen, zu entwickeln und dann auch für deren Durchsetzung zu kämpfen. In einer globalisierten Welt werden sich solche Zukunftsvorstellungen allerdings nicht auf einen Nationalstaat, auch nicht auf Europa beschränken lassen. Weltweite Arbeit an konkreten Utopien ohne Unterdrückung von Menschen durch Menschen ist eine Aufgabe für die Zukunft.

Gisela Notz

*Aussage einer neunjährigen Schülerin bei einem IG Metall-Wettbewerb zumThema «Arbeit» 1986.



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