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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2006, Seite 20

Bücherkiste - Stalin, Luxemburg, Trotzki

Fritz Keller/Stefan Kraft (Hrsg.): Rosa Luxemburg. Denken und Leben einer Revolutionärin. Eine Auswahl aus ihren Schriften, Wien (Promedia) 2005, 173 Seiten, 12,90 Euro.

Rosa Luxemburg, Leo Trotzki — zwei herausragende revolutionäre Gestalten, beide ermordet, sie 1919 von der Schergen der deutschen Reaktion, er 1940 durch einen Agenten Stalins. In beider Wirken und Schriften finden sich — trotz nicht zu verkleisternder Unterschiede — viele Berührungspunkte, ja Gemeinsamkeiten.
Denken und Leben einer Revolutionärin nennen die Herausgeber der Schriften Rosa Luxemburgs nicht zufällig ihr Buch. Nicht nur die radikale Aktivistin, die Hand anlegt an den Gang der Geschichte, wird gezeigt, sondern ebenso die «mitfühlende» Rosa. Durchaus in ihrem Selbstverständnis: «Rücksichtsloseste revolutionäre Tatkraft und weitherzigste Menschlichkeit — dies allein ist der wahre Odem des Sozialismus. Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, ist eine Anklage, und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch, der aus roher Grausamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen.»
Luxemburg war Zeit ihres Lebens eine schöpferische «Querdenkerin»: In der Auseinandersetzung mit dem sozialdemokratischen Gradualismus, der friedlich in den Sozialismus hineinwachsen wollte; im Kampf gegen den Militarismus und den heraufdämmernden (Welt-)Krieg begriff sie «als erste klar und systematisch die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung der Strategie und Taktik der Arbeiterbewegung … angesichts der veränderten objektiven Faktoren und des beginnenden imperialistischen Zeitalters» (Ernest Mandel).
Aber auch dass Fehltritte, die eine wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung begehe, geschichtlich unermesslich fruchtbarer und wertvoller seien als die Unfehlbarkeit des allerbesten Zentralkomitees.
Analytische Schwächen Rosa Luxemburgs werden nicht unter den Teppich gekehrt, vor allem ihr ziemliches Unverständnis der nationalen Frage — auch ihres Geburtslands Polen. Und vor dem Kampf ihrer Geschlechtsgenossinnen, «der fundamentalen Ausbeutung ihres eigenen Geschlechts verschloss sie die Augen».
Für Stalin war die «rote Rosa» schlicht eine «Abweichlerin»: Luxemburg ersann «ein utopisches und halbmenschewistisches Schema, das der permanenten Revolution, durchdrungen von einer durch und durch menschewistischen Verneinung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft. Im weiteren wurde dieses halbmenschewistische Schema der permanenten Revolution von Trotzki aufgegriffen und zu einer Waffe im Kampf gegen den Leninismus gemacht». Helmut Dahmers Schriften-Auswahl zeigt dagegen die enorme Vielschichtigkeit des theoretischen und praktischen Wirkens Trotzkis.
Der Abschnitt «Historische und politische Analysen» dokumentiert den scharfen Analytiker Trotzki, der bereits in der Revolution 1905 erkannte, dass der Sturz des Zarismus nicht vor den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen halt machen wird und die Revolution eine «permanente» (Marx ) sein wird.
Das Kapitel «Faschismus und Stalinismus» erweist Trotzki als einen der herausragenden Faschismustheoretiker und gleichzeitig als revolutionären Praktiker, der um eine linke Antwort auf die braune Flut ringt. Während sich die stalinisierte Kommunistische Internationale in geistigem Schablonentum und Ultralinkstum übte und damit — ebenso wie die Sozialdemokratie — die bitter benötigte «Arbeitereinheitsfront» hintertrieb (um später in einer 180-Grad-Kehre via «Volksfront» bei der «demokratischen» Bourgeoisie anzudocken), war Trotzki bemüht, Punkt für Punkt gangbare Vorschläge zu machen, damit die politische Spaltung der Arbeiterklasse aufgehoben und damit die Basis gelegt wird, den Vormarsch des mörderischen Faschismus zu stoppen.
Der Abschnitt «Perspektiven des Sozialismus» beleuchtet Trotzki als revolutionären Programmatiker, der sich gegen die von Sozialdemokraten und Stalinisten praktizierte Trennung von «Minimal»- und «Maximalprogramm» wendet. «Sofern die alten partiellen ‹Minimal›-Forderungen der Massen mit den destruktiven und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus in Konflikt geraten — und das geschieht auf Schritt und Tritt —, schlägt die IV.Internationale ein System von Übergangsforderungen vor, deren Sinn darin besteht, dass sie immer offener und entschiedener gegen die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft selbst gerichtet sind.»
Helmut Dahmers Einleitung zu den Texten macht aus Trotzki — Marx sei Dank — keinen Säulenheiligen. Trotzki hat — ebenso wie Rosa Luxemburg — des öfteren theoretisch wie praktisch kräftig daneben gehauen. Insbesondere in seiner «jakobinischen Phase» (1918—1921/22). Aber das Plus bei Trotzki überwiegt bei weitem.
Wer Bausteine für einen Marxismus des 21.Jahrhunderts sucht, wird sie in den Schriften Rosa Luxemburgs und Trotzkis finden.

Hermann Dworczak

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