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Die Geschichte von Buenos Aires steht im Telefonbuch geschrieben.» Mit
diesen Worten beginnt der Dokumentarfilm 12 Tangos des Kölner Filmemachers Arne Birkenstock. Im
Telefonbuch von Buenos Aires kann man Namen finden, die verraten, dass die Vorfahren der Bewohner der La-
Plata-Metropole aus allen Ländern Europas kamen.
Zwischen 1880 und 1930 war Argentinien
eines der reichsten Länder der Welt, 6 Millionen Europäer strömten in dieser Zeit in das
Land. Damals entstand auch der Tango, Argentiniens bekanntestes musikalische Exportgut, der es sogar bis
nach Finnland geschafft hat. Dort erhielt er eine besonders eigentümliche Ausprägung, die in den
Filmen des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki eine Hauptrolle spielt.
Doch zurück nach Argentinien. Seit der
Wirtschaftskrise von 2001, die in eine Staatskrise mündete, hat der Tango in Argentinien wieder
Konjunktur. Damals gingen die Menschen unter dem Motto «¡Que se vayan todos!» (Alle sollen
abhauen) auf die Straße, um gegen ihre korrupten Politiker zu protestieren. Es entwickelten sich in
Nachbarschaftsversammlungen, besetzten Fabriken und Erwerbslosenkollektiven Ansätze zu einer
basisdemokratischen Selbstverwaltung. In letzter Zeit ist es aber in den deutschen Medien auch in
den linken still um Argentinien geworden.
Der Film von Birkenstock ist zwar kein
reiner Musikfilm, er füllt aber auch nicht die Lücke in der Berichterstattung über
Argentinien. Es versucht, die Geschichte und Gegenwart Argentiniens anhand des Tangos zu beschreiben. Dabei
werden die Proteste gegen die Regierung zwar eindrucksvoll aber auch sehr kurz ins Bild gebracht. Es
dominiert jedoch eine melancholisch-resignative Stimmung, wie sie ja auch ein Element des Tangos ist.
Porträtiert werden Auswanderer. Denn aus dem Einwandererland ist ein Auswandererland geworden. Viele
sehen in Argentinien keine Perspektive mehr und gehen nach Europa oder Nordamerika. So die 20-jährige
Tangotänzerin Marcela oder eine Mutter von vier Kindern, die diese zurücklassen muss, um in
Spanien Geld zu verdienen. Ein 70-jähriger Tangotänzer, der in den 50er und 60er Jahren in der
ganzen Welt auf Tournee war, heute aber trotzdem verarmt ist, aber doch noch sehr fröhlich und
optimistisch wirkt, wird ebenfalls porträtiert.
Der Film versucht die Musik für sich
sprechen zu lassen. Das ist sehr stimmungsvoll und man bemerkt, dass der Tango nicht nur Melancholie
sondern auch Stolz beinhaltet. Er ist die Musik des «Trotzdem»: Man lässt sich trotz
widriger Umstände nicht unterkriegen. So wandern die Argentinier nicht nur aus, sondern sie
rebellieren auch immer noch. Das unterschlägt der Film. Er hat schöne Bilder und wundervolle
Musik, das macht ihn sehenswert. Aber er bleibt in der Melancholie stecken. So entgeht er nicht der Gefahr,
lediglich eine Modeströmung der sich alternativ wähnenden europäischen Kulturschickeria zu
bedienen.
Nach dem Aufstand in Argentinien im
Dezember 2001 gab es in Anspielung auf den Polizeiüberfall auf die Diaz-Schule während der Anti-
G8-Proteste 2001 in Genua den Slogan: «Lieber argentinische Tangos als chilenische Nächte.»
Diese Erkenntnis hätte auch dem Film von Arne Birkenstock gut getan, aber sie übersteigt wohl den
Horizont der Filmemacher. So ist ein schöner melancholischer Film entstanden mit schöner Musik,
den man sich am besten dann ansieht, wenn man seinem Weltschmerz mal auf angenehme Art und Weise freien
Lauf lassen will.
Andreas Bodden
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