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War da was im Herbst vergangenen Jahres? Vorgezogene Bundestagswahlen
angeblich als «gesellschaftspolitischer Richtungskampf»? Eine öffentliche große
Debatte darüber, was aus der Gesellschaft hierzulande werden soll? Das alles scheint vergessen. In
Berlin regieren CDU/CSU und SPD so zusammen, dass meistens gar nicht zu erkennen ist, ob es ein
christdemokratischer oder ein sozialdemokratischer Minister ist, der gerade mal wieder eine
«Reform»-Idee unter die Leute bringt, und beide großen Parteien beteuern jetzt unentwegt,
sie hätten immer nur die Förderung der Familie im Sinn.
Die Bundeskanzlerin hat im Politbarometer prächtig ansteigende Werte. Bei der Bundestagswahl
musste sie erfahren, dass ihr Wählerinnen und Wähler verloren gingen, weil sie allzu
westerwellisch redete; nun hat sie sich andere Begriffe angewöhnt, sozial «wärmere»,
wie die Politikmarketingleute sagen. Von «Gerechtigkeit» spricht Angela Merkel jetzt gern
allerdings von «neuer» Gerechtigkeit, damit niemand später klagen kann, die CDU habe doch
die Aufrechterhaltung von Sozialstaatlichkeit versprochen.
Für deren Abschaffung streng
aufzutreten, diese Aufgabe hat der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück übernommen:
Am deutschen Börsenhauptplatz verkündete er vor der Industrie- und Handelskammer, der Sozialstaat
sei nicht mehr bezahlbar. Und kündigte gleichzeitig weitere steuerliche Entlastungen des Kapitals an,
auch weitere «Privatisierungen» bisher öffentlicher Güter oder Dienstleistungen. Der
«Sozialnostalgie» erteilte auch der neue SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck eine Absage; Politik
sei dazu da, die Menschen «marktfähig» zu machen. Am Markt aber, das weiß jeder
Kleingewerbetreibende, von «Ich-AG»lern ganz zu schweigen, herrschen harte Sitten.
Das Lob der «Marktwirtschaft»
singt derzeit auch die Partei der Grünen, sie fügt freilich ein Adjektiv hinzu, fordert
«grüne Marktwirtschaft». Vermutlich meint sie damit, Windkraftunternehmen und ähnliche
Betriebe dürften nicht zu kurz kommen. Außerdem hoffen die Grünen, bei nächster
Gelegenheit irgendwo mal wieder in eine Landesregierung zu kommen, das setzt aber Sympathie bei
Sozialdemokraten voraus, wahrscheinlich ist die Union für die Grünen interessanter als die SPD.
Gesellschaftspolitische Opposition ist also von der grünen Partei nicht zu erwarten. Von der FDP
sowieso nicht, denn sie hätte sich ja selbst gerne regierend an der Sozialdemontage beteiligt, und auf
der Länderebene ist sie mit im Geschäft.
So haben wir es also mit einer ganz
großen Koalition zu tun. Innerhalb derselben geht es selbstverständlich um Anteile am
«Wählermarkt», um die Besetzung einzelner Rollen beim «Wir spielen Demokratie»
tatsächlich handelt es sich eher um das Spiel «Wir spiegeln Demokratie vor», denn
gesellschaftspolitische Alternativen bleiben außen vor. Ob die Abgeordneten der Linkspartei im
Bundestag aufsässig genug sind, diese Spielregeln zu durchbrechen, wird sich zeigen. Das hängt im
Wesentlichen davon ab, ob außerparlamentarische Bewegungen, Alternativgruppen vor Ort und soziale
Bündnisse «unten» sie dazu antreiben.
Alles im allem haben wir es mit einer
absurden Situation zu tun: Die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass die Bundesrepublik in den
Zustand des ungezähmten Kapitalismus überführt wird. Sie will nicht, dass die Armen
zahlreicher und die Reichen noch reicher werden. Das hat sich, so weit die Stimmen abgegeben wurden, auch
bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst gezeigt. Die Parteien der ganz großen Koalition reagieren
darauf propagandataktisch, aber in der Sache bleiben sie davon unberührt. Rentner, Studierende,
Arbeitslose, Lohnabhängige, Krankenkassenmitglieder und auch kleine Gewerbetreibende werden das zu
spüren bekommen, Schritt für Schritt, damit nicht zu sehr auffällt, dass wir uns auf dem Weg
in eine andere Republik befinden.
Ein «neuer Faschismus», wie
mitunter von Betroffenen beklagt wird? Ach was sondern eine hochmoderne Form autoritärer
Herrschaft von Kapitalinteressen, in unzähligen Fernsehrunden schön geredet, von einer riesigen
Schar der Partei- und Verbandsfunktionäre schmackhaft gemacht. Opposition wird nicht unterdrückt,
sie wird durch vielfältige und flexible Methoden stillgelegt. Und wer aus dem löchrig gewordenen
«sozialen Netz» herauszufallen in Gefahr ist, wird mit dem Ausfüllen von Formularen zur Ruhe
gebracht. Die demokratische Form bleibt erhalten, aber Demokratie ist für die herrschenden Interessen
nicht weiter störend eine komfortable Lösung.
Allerdings: Das funktioniert nur, wenn die
Zahl der Störenfriede und Unruhestifter klein bleibt. Da liegt der Haken in der Geschichte, von dem
Demokraten Gebrauch machen können.
Arno Klönne
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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