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Noch sind die ersten hundert Tage der groß-koalitionären Regierung
nicht ganz vorbei, aber die Konturen der veränderten gesellschaftlichen und machtpolitischen Lage
zeichnen sich ab. Unabhängig von der in den Koalitionsvereinbarungen deutlich zum Ausdruck gebrachten
Absicht, die «Agenda 2010»-Politik der Vorgängerregierung zielstrebig fortzusetzen und
insbesondere die Offensive zur Senkung der Masseneinkommen und Steigerung der Profitrate der Kapitaleigner
weiter zu führen, offenbart sich die Regierung mit der zu erwartenden inneren Zerstrittenheit der
Regierungspartner.
Schlimmer noch: Die stets so fleißig
polierte Fassade der Schröder-Fischer-Regierung als Frieden stiftend und Kriege verhindernd, wird
geschleift. Neben den schon bekannten und nie dementierten Serviceleistungen der Bundesregierung für
den US-Kriegszug in den Irak, werden täglich neue, schmierige und allem pazifistischen Pathos Hohn
sprechende Liebesdienste an der US-Armee und eigene Claim-Abgrenzungen des imperialistischen Deutschland im
besetzten Irak bekannt.
Außerhalb der Parlamente machen sich
Militanz und Konfliktbereitschaft breit, nicht nur bei den von ständischen Gruppeninteressen
geleiteten Ärzten. Von Samsung, Continental, AEG, den Berliner Kliniken bis zum Catering-Unternehmen
Gate Gourmet rebellieren die Kosten der Profitratensanierung und Shareholder-value-Politik:
Beschäftigte wehren sich und ergreifen mit jeweils taktisch geschickten Begründungen die Flucht
nach vorn in den Streik.
Geradezu beispielhaft hat sich in den
Aktionen gegen die neue Hafenrichtlinie der EU ein Bündnis aus entschlossenen und konfliktbereiten
Gewerkschaftern, neuer und alter politischer Linken und internationalistisch und antikapitalistisch
motivierten sozialen Bewegungen aufgebaut und bewährt.
Auch wenn in diesen Konflikten
gewerkschaftliche Kräfte und Strukturen engagiert beteiligt sind, so sind es doch gleichzeitig und
allein die Führungen der Großgewerkschaften, die, wie seit Jahren gewohnt, auch mit dieser neuen
Regierung erst einmal Burgfrieden schließen. Und wie zu erwarten war, ist es vor allem die SPD, die in
dieser Konstellation leidet. Umfragen platzieren sie einmal mehr innerhalb des 30%-Ghettos. Die CDU
profitiert vom Neu-Beginnen-Bonus und billigen Effekten durch Auslandspolitik ihrer Kanzlerin.
Die Hoffnungen an die neue linke politische
Formierung sind dagegen ungebrochen, egal wie gut oder schlecht, links oder halbherzig die Vorlagen aus
Berlin und den Parteizentralen auch daher kommen. Bis zu 10% Unterstützung bei den Umfragen, damit
sollten die PDS und die WASG eigentlich nicht nur leben, sondern auch neue Energien für den
komplizierten Prozess zur Herausbildung einer neuen gemeinsamen Linkspartei ableiten können.
Sie tun sich dennoch schwer, die
nächsten zentralen Entscheidungen auf den Weg zu einer neuen, gemeinsamen, pluralistischen,
demokratisch-sozialistischen Partei der Linken in Deutschland so der Titel eines Positionspapiers
der Mehrheit vom Bundesvorstand der WASG zu treffen. Ein Teil der Parteiführung der PDS, die
bekanntlich und nicht zum Wohle der Partei zunehmend identisch ist mit dem PDS-Teil der Linksfraktion im
Bundestag, verharrt jenseits jeder Realität in der Vorstellung, es gäbe seit der Bundestagswahl
eine «Mehrheit links von der Mitte».
Sie betrachtet die Spaltungs- und
Differenzierungsprozesse innerhalb der Sozialdemokratie mit der Bildung der WASG als abgeschlossen und
beginnt, die SPD fast zu pflegen, damit eine Regierungspartnerin für 2009 oder 2013 zur Verfügung
steht. Folglich möchte sie die schlichte Vereinigung von PDS und WASG zügig abschließen,
weil jede Verzögerung nur Kratzer an diesem so hübschen wie falschen Weltbild erzeugen oder gar
mit militanten jungen Linkskräften, zu Konflikt bereiten Gewerkschaftern und vom Wunsch, es besser und
anders als zuvor zu machen, beseelten Exilanten aus der Sozialdemokratie das wirkliche Leben in zu
großen Portionen in die Partei eintreten könnte.
Es war ausgerechnet und erfreulicherweise
Oskar Lafontaine, der diesen Flausen der PDS-Bürokratie deutlich die Meinung geigte. Mit seinen
Auftritten auf der Fraktionsklausur der Linksfraktion in Magdeburg und danach auf der Luxemburg-Konferenz
in Berlin Anfang Januar, in denen er deutlich die Grenzen zog, was eine Linke heute im Kampf um die Macht
auf keinen Fall preisgeben darf, verbannte er die PDS-Strategen in die Ecke der Kopf- und Kragenlosen.
Die WASG-Führung auf Bundes- wie
Landesebene und die Mitgliederbasis gleichermaßen schliddern derweil in eine erste
Identitätskrise hinein. Viele der AnhängerInnen fühlen sich vom Großprojekt
«Vereinigung mit einer fünfmal größeren Partei» überrollt und
befürchten, dass gerade jene unverzichtbaren programmatischen Werte, von denen Oskar Lafontaine
sprach, verloren gehen oder aufgegeben werden könnten. Viele fürchten auch den Verlust der
Bewegungsfreiheit, die sie durch Rückzug aus dem bisherigen sozialdemokratischen Milieu gerade erst
gewonnen haben.
In einer Situation, in der zunehmend die
Frage gestellt wird, wozu die WASG noch gebraucht wird, wäre es nötig, den nächsten Schritt
im Parteibildungsprozess zu benennen, zu bestimmen, welche Art der Partei am Ende des Prozesses stehen soll
und wie weitere Kräfte dafür gewonnen werden können, also nicht nur die 70000 Mitglieder von
WASG und Linkspartei.PDS, sondern auch die 4 Millionen Wähler des 18.September.
Das wären die entscheidenden
Festlegungen, die authentisch von der WASG eingebracht werden könnten und müssten, weil nur sie
den Zugang zu diesen gesellschaftlichen Milieus öffnen und gleichzeitig Konturen einer wirklichen
Partei neuen Typs bestimmen können. Was zur Diskussion stehen sollte, ist, dass der
Parteibildungsprozess in der Gründung einer komplett neuen Partei münden muss. Weder eine
Verschmelzung von WASG und PDS, noch die freundliche oder gar feindliche Übernahme der einen Partei
durch die andere, könnte auch nur annähernd die gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, die
heute für dieses Parteiprojekt möglich und nötig sind.
Diese Neugründung muss in ihrem
Parteiselbstverständnis zudem wichtige Strukturen anders und neu entwickeln, die in früheren
Parteien zu politischer Degenerierung und Bürokratisierung geführt haben. Das Entscheidende ist
und bleibt die politische Glaubwürdigkeit, womit wir bei der Frage der Regierungsbeteiligung sind. Das
Projekt einer gemeinsamen Linkspartei ist es nicht wert, für einen fragwürdigen Erfolg bei der
Berliner Wahl im nächsten September geopfert zu werden.
Nach wie vor schauen Millionen in
Deutschland und Europa fasziniert auf die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des letzten Jahres. Alle
Beteiligten, «Linke» wie «Rechte», Führungspersonal wie Basismitglieder, haben
deshalb eine große Verantwortung. Wenn das Projekt scheitert, gibt es viele Verlierer und nur einen
Sieger: die herrschenden Verhältnisse, die immer noch Verhältnisse für die Herrschenden
sind.
Thies Gleiss
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