SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 7>

Das Oppositionsspiel

…unter Aufsicht der Linkspartei.PDS

Noch sind die ersten hundert Tage der groß-koalitionären Regierung nicht ganz vorbei, aber die Konturen der veränderten gesellschaftlichen und machtpolitischen Lage zeichnen sich ab. Unabhängig von der in den Koalitionsvereinbarungen deutlich zum Ausdruck gebrachten Absicht, die «Agenda 2010»-Politik der Vorgängerregierung zielstrebig fortzusetzen und insbesondere die Offensive zur Senkung der Masseneinkommen und Steigerung der Profitrate der Kapitaleigner weiter zu führen, offenbart sich die Regierung mit der zu erwartenden inneren Zerstrittenheit der Regierungspartner.
Schlimmer noch: Die stets so fleißig polierte Fassade der Schröder-Fischer-Regierung als Frieden stiftend und Kriege verhindernd, wird geschleift. Neben den schon bekannten und nie dementierten Serviceleistungen der Bundesregierung für den US-Kriegszug in den Irak, werden täglich neue, schmierige und allem pazifistischen Pathos Hohn sprechende Liebesdienste an der US-Armee und eigene Claim-Abgrenzungen des imperialistischen Deutschland im besetzten Irak bekannt.

Anhaltende Möglichkeiten

Außerhalb der Parlamente machen sich Militanz und Konfliktbereitschaft breit, nicht nur bei den von ständischen Gruppeninteressen geleiteten Ärzten. Von Samsung, Continental, AEG, den Berliner Kliniken bis zum Catering-Unternehmen Gate Gourmet rebellieren die Kosten der Profitratensanierung und Shareholder-value-Politik: Beschäftigte wehren sich und ergreifen mit jeweils taktisch geschickten Begründungen die Flucht nach vorn in den Streik.
Geradezu beispielhaft hat sich in den Aktionen gegen die neue Hafenrichtlinie der EU ein Bündnis aus entschlossenen und konfliktbereiten Gewerkschaftern, neuer und alter politischer Linken und internationalistisch und antikapitalistisch motivierten sozialen Bewegungen aufgebaut — und bewährt.
Auch wenn in diesen Konflikten gewerkschaftliche Kräfte und Strukturen engagiert beteiligt sind, so sind es doch gleichzeitig und allein die Führungen der Großgewerkschaften, die, wie seit Jahren gewohnt, auch mit dieser neuen Regierung erst einmal Burgfrieden schließen. Und wie zu erwarten war, ist es vor allem die SPD, die in dieser Konstellation leidet. Umfragen platzieren sie einmal mehr innerhalb des 30%-Ghettos. Die CDU profitiert vom Neu-Beginnen-Bonus und billigen Effekten durch Auslandspolitik ihrer Kanzlerin.
Die Hoffnungen an die neue linke politische Formierung sind dagegen ungebrochen, egal wie gut oder schlecht, links oder halbherzig die Vorlagen aus Berlin und den Parteizentralen auch daher kommen. Bis zu 10% Unterstützung bei den Umfragen, damit sollten die PDS und die WASG eigentlich nicht nur leben, sondern auch neue Energien für den komplizierten Prozess zur Herausbildung einer neuen gemeinsamen Linkspartei ableiten können.
Sie tun sich dennoch schwer, die nächsten zentralen Entscheidungen auf den Weg zu einer neuen, gemeinsamen, pluralistischen, demokratisch-sozialistischen Partei der Linken in Deutschland — so der Titel eines Positionspapiers der Mehrheit vom Bundesvorstand der WASG — zu treffen. Ein Teil der Parteiführung der PDS, die bekanntlich und nicht zum Wohle der Partei zunehmend identisch ist mit dem PDS-Teil der Linksfraktion im Bundestag, verharrt jenseits jeder Realität in der Vorstellung, es gäbe seit der Bundestagswahl eine «Mehrheit links von der Mitte».
Sie betrachtet die Spaltungs- und Differenzierungsprozesse innerhalb der Sozialdemokratie mit der Bildung der WASG als abgeschlossen und beginnt, die SPD fast zu pflegen, damit eine Regierungspartnerin für 2009 oder 2013 zur Verfügung steht. Folglich möchte sie die schlichte Vereinigung von PDS und WASG zügig abschließen, weil jede Verzögerung nur Kratzer an diesem so hübschen wie falschen Weltbild erzeugen oder gar mit militanten jungen Linkskräften, zu Konflikt bereiten Gewerkschaftern und vom Wunsch, es besser und anders als zuvor zu machen, beseelten Exilanten aus der Sozialdemokratie das wirkliche Leben in zu großen Portionen in die Partei eintreten könnte.
Es war ausgerechnet und erfreulicherweise Oskar Lafontaine, der diesen Flausen der PDS-Bürokratie deutlich die Meinung geigte. Mit seinen Auftritten auf der Fraktionsklausur der Linksfraktion in Magdeburg und danach auf der Luxemburg-Konferenz in Berlin Anfang Januar, in denen er deutlich die Grenzen zog, was eine Linke heute im Kampf um die Macht auf keinen Fall preisgeben darf, verbannte er die PDS-Strategen in die Ecke der Kopf- und Kragenlosen.

Identitätskrise

Die WASG-Führung auf Bundes- wie Landesebene und die Mitgliederbasis gleichermaßen schliddern derweil in eine erste Identitätskrise hinein. Viele der AnhängerInnen fühlen sich vom Großprojekt «Vereinigung mit einer fünfmal größeren Partei» überrollt und befürchten, dass gerade jene unverzichtbaren programmatischen Werte, von denen Oskar Lafontaine sprach, verloren gehen oder aufgegeben werden könnten. Viele fürchten auch den Verlust der Bewegungsfreiheit, die sie durch Rückzug aus dem bisherigen sozialdemokratischen Milieu gerade erst gewonnen haben.
In einer Situation, in der zunehmend die Frage gestellt wird, wozu die WASG noch gebraucht wird, wäre es nötig, den nächsten Schritt im Parteibildungsprozess zu benennen, zu bestimmen, welche Art der Partei am Ende des Prozesses stehen soll und wie weitere Kräfte dafür gewonnen werden können, also nicht nur die 70000 Mitglieder von WASG und Linkspartei.PDS, sondern auch die 4 Millionen Wähler des 18.September.
Das wären die entscheidenden Festlegungen, die authentisch von der WASG eingebracht werden könnten und müssten, weil nur sie den Zugang zu diesen gesellschaftlichen Milieus öffnen und gleichzeitig Konturen einer wirklichen Partei neuen Typs bestimmen können. Was zur Diskussion stehen sollte, ist, dass der Parteibildungsprozess in der Gründung einer komplett neuen Partei münden muss. Weder eine Verschmelzung von WASG und PDS, noch die freundliche oder gar feindliche Übernahme der einen Partei durch die andere, könnte auch nur annähernd die gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, die heute für dieses Parteiprojekt möglich und nötig sind.
Diese Neugründung muss in ihrem Parteiselbstverständnis zudem wichtige Strukturen anders und neu entwickeln, die in früheren Parteien zu politischer Degenerierung und Bürokratisierung geführt haben. Das Entscheidende ist und bleibt die politische Glaubwürdigkeit, womit wir bei der Frage der Regierungsbeteiligung sind. Das Projekt einer gemeinsamen Linkspartei ist es nicht wert, für einen fragwürdigen Erfolg bei der Berliner Wahl im nächsten September geopfert zu werden.
Nach wie vor schauen Millionen in Deutschland und Europa fasziniert auf die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des letzten Jahres. Alle Beteiligten, «Linke» wie «Rechte», Führungspersonal wie Basismitglieder, haben deshalb eine große Verantwortung. Wenn das Projekt scheitert, gibt es viele Verlierer und nur einen Sieger: die herrschenden Verhältnisse, die immer noch Verhältnisse für die Herrschenden sind.

Thies Gleiss

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