SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 8>

Profit contra Beschäftigung

Die Globalisierungsstrategie der deutschen Telekom

Auf einer Betriebsversammlung der Deutschen Telekom-AG in Limburg hielt Conrad Schuhler, der Ökonom und Leiter des isw München, Mitte November eine Rede, in der er ausführlich die Globalisierungsstrategie des sich in den letzten zehn Jahren zum Global Player gewandelten Konzern untersuchte. Wir dokumentieren diese Rede in gekürzter Fassung. Ausführlich auseinandergesetzt hat sich Schuhler mit der Transformationspolitik der Telekom-AG im jüngsten isw-Report Nr.64 (www.isw- muenchen.de).

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor genau einer Woche hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom AG, Herr Ricke, anlässlich der Quartalspressekonferenz des Unternehmens in Bonn gesagt, der Telekom gehe es glänzend. Und er hat Recht damit. In allen Daten weist die operative Performance nach oben. Der Umsatz ist in den ersten drei Quartalen 2005, also von Januar bis September, um 3,6% gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Der bereinigte Konzernüberschuss um 11,4%, das Ergebnis vor Steuern um sehr stattliche 16,2%. Wenn Sie Ihre Lohn- und Gehaltszettel anschauen, werden Sie feststellen, dass Ihr Bruttolohn sich kaum verändert hat, Ihr Nettolohn, also nach Abzug der Steuern, eher geringer geworden ist.

Wo ist die Logik?

Ihrem Unternehmen, das mit Hilfe Ihrer Arbeit zu solch prächtigen Gewinnen kommt, geht es also besser als Ihnen. Leider können Sie sich nicht mit den Unternehmenszahlen trösten oder sich gar mit dem Vorstand und den Kapitaleignern freuen, denn zwei Wochen zuvor hat der Vorstand der Telekom bekanntlich verkündet, dass in den kommenden drei Jahren 32000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Konzern verlassen müssten. Die Gewinne von heute seien eigentlich, sagte Herr Ricke, die Gewinne von gestern, und damit morgen auch wieder Gewinne in der geplanten Größenordnung stattfinden können, müsste man heute die Arbeitsplätze und damit die Lohnkosten dramatisch senken.
Selbst dem Vorstandsvorsitzenden gibt die Diskrepanz, um nicht zu sagen: das absurde Missverhältnis zwischen der Tatsache neuer Rekordprofite und der Ansage von massenhaftem Arbeitsplatzabbau zu denken. Auf der Pressekonferenz musste er eingestehen: «Ich bin mir bewusst, dass wir es hier — zumindest scheinbar — mit einem Widerspruch zu tun haben. Zum einen präsentieren wir hier recht gute Quartalszahlen und zeigen uns optimistisch für unsere Zielerreichung im Gesamtjahr. Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit eines weiteren Stellenwegfalls.»
Dieser massenhafte Stellenwegfall soll vor allem im Bereich Breitband/ Festnetz stattfinden, in erster Linie bei T-Com. Ohne Umschweife erklärt Herr Ricke, dass ein großer Teil der T-Com-Beschäftigten den Anforderungen der neuen Technologie und des verschärften Wettbewerbs nicht gewachsen sei: «Um dauerhaft erfolgreich zu sein, müssen wir unsere Personalstruktur den Markterfordernissen anpassen. Das schließt im Übrigen auch ein, dass wir unsere Altersstruktur verändern und mehr junge Leute mit frischem Knowhow ins Unternehmen bringen müssen. Hier sprechen unsere geplanten Neueinstellungen eine deutliche Sprache, immerhin geht es um 6000 Stellen.»
Wir stellen 32000 Mitarbeiter aus und dafür 6000 neue ein. Dies nennen wir nicht Abbau, sondern Personalumbau. Die alten Mitarbeiter, nicht nur älter, sondern als Beamte oder langjährige Angestellte entweder unkündbar oder mit gewaltigem Kündigungsschutz versehen, ersetzen wir durch junge neue, mit frischem Knowhow und auch dank der neuen Bundesregierung ohne jeden Kündigungsschutz. Das Unternehmen schafft sich eine flexibel zu handhabende Belegschaft. Die Telekom strebt so eine Belegschaft an, die sie nach Belieben, d.h. nach den Bedingungen der jeweiligen Marktsituation, ausdehnt oder zusammenzieht, die bloß noch eine Funktion der kurzfristigen Profitstrategie des Unternehmens ist.
Dass diese Einschätzung höchst fragwürdig ist, zeigt sich daran, dass sich der Schuldenabbau der letzten Jahre und die nun geplante Investitionsoffensive des Konzerns zu vier Fünfteln und mehr aus dem Ergebnis der T-Com, aus dem Wertschöpfungsbeitrag der dortigen Arbeiter und Angestellten speisen. Es geht dem Konzern vielmehr darum, in einem umkämpften Wettbewerbsbereich durch Personalkostenreduzierung und Veränderung der Belegschaft noch höhere Profite zu machen und sich ein gefügigeres Personal zu schaffen.

Wo ist die höchste Rendite?

Das Entscheidende an der neoliberalen Globalisierung ist die Herausbildung globaler Parameter für die wirtschaftliche Tätigkeit. Jede Firma muss versuchen, ihre Abläufe entsprechend dem weltweit besten Wettbewerber anzugleichen und diesen zu übertreffen. Entscheidend ist dabei der EVA, der Economic Value Added, d.h. der vom Unternehmen zu den Kosten hinzugefügte Mehrwert. Das klingt kompliziert, ist aber sehr einfach. EVA meint nämlich im Klartext, dass das Unternehmen ein höheres Ergebnis erzielen soll, als die Kapitalgeber — eigenes oder Fremdkapital — mit ihrem Geld irgendwo sonst auf der Welt erzielen könnten. EVA soll also höher sein, als die Kapitalisten mit ihrem Geld an den Börsen der Welt von den Cayman Islands über die Wall Street bis nach Hongkong an Rendite erzielen könnten.
EVA ist auch offiziell der unternehmerische Steuerungsfaktor der Telekom. Nach eigenem Bekunden gilt für das Unternehmen der sog. «Shareholder Value», d.h. dass unternehmerische Entscheidungen prinzipiell danach getroffen werden, ob sie den Aktionären einen höheren Kurs oder eine höhere Dividende bringen. Der frühere Sozialpartner, die Belegschaft, ist jetzt bloß noch Personalaufwand, der wie Materialaufwand zu minimieren ist.
Die neoliberale Globalisierung und ihr globaler Parameter EVA markieren eine grundlegende Änderung im Kapitalismus. Früher hat ein Kapitalist einen Arbeiter eingestellt und weiter beschäftigt, wenn dessen Arbeitsleistung mehr an Wert brachte, als der Arbeiter selbst kostete (und dieser Wert über dem nationalen Zinssatz lag). Dies ist längst vorbei. Der Diskontsatz in Deutschland liegt derzeit bei 2%. Die Geldzinsen, die Banken zahlen, liegen kaum höher. Die Telekom aber verlangt eine Rendite von über 8%. Wenn dieser Hochzins durch die Arbeit der Beschäftigten nicht erreicht wird, dann wird entlassen. Da die Vorgabe nicht nur für den Betrieb als Ganzes gilt, sondern für alle Bereiche einzeln, ja im Prinzip für alle Abteilungen und jede einzelne Investitionsentscheidung, kann es sein, dass das Unternehmen glänzende Gewinne macht, aber einzelne Bereiche die Vorgaben nicht erreichen und deshalb liquidiert werden sollen. Dies findet derzeit bei der Telekom statt. Dabei gelten nicht nur solche Unternehmensteile als Problemfälle, die Verluste machen; sondern alle, die unter der EVA-Vorgabe bleiben. Auch stattliche Gewinne reichen nicht aus — sie müssen über dem internationalen Höchstsatz liegen.
Natürlich engt diese Höchstrenditenstrategie, wie sie von allen DAX-Unternehmen mittlerweile betrieben wird, den Arbeitsmarkt ein und entfacht Druck in Richtung Flexibilisierung und Entgrenzung des Arbeitsmarkts.
«Die Globalisierung», so der Gesamtbetriebsrat von Porsche, Uwe Hück, «hat eins gebracht: dass die Arbeitgeber sich nach den Gehältern der Amerikaner richten und die Arbeitnehmer sich nach denen der Chinesen.» Ihr Kollege Hück hat Recht. Die Vorstände der DAX-Unternehmen haben sich in den letzten Jahren ihre Bezüge jeweils um mehr als 10% erhöht. Die sechs Vorstandsmitglieder der Telekom verdienen im Schnitt rund 2 Millionen Euro im Jahr. 2004 haben sie sich ihre Bezüge um 110000 Euro pro Kopf erhöht. Wenn die Belegschaften die großen Verlierer dieser Art von Globalisierung sind, so gehören die Top-Manager neben den Aktionären zu den großen Gewinnern.

Wo ist der Wachstumsmotor?

Im ersten Jahrzehnt der Turboglobalisierung neuen Stils — in den 90er Jahren — haben die deutschen Unternehmen ihre Beschäftigung weltweit um 10,3% ausgedehnt. Aber: der Zuwachs kommt nur aus dem Ausland, wo die Beschäftigung um 60% wuchs. In Deutschland hingegen ging sie um 5,8% zurück.
Auch die Telekom-AG hat als wesentlichen Wachstumsmotor der Zukunft die Auslandsmärkte erkoren. Doch wo macht eigentlich die Telekom ihre Gewinne, um im Ausland so heftig zu expandieren? Sie macht sie in Deutschland. Die riesigen Gesamtverluste im Ergebnis vor Steuern 2002 gehen einzig und allein auf die Minuszahlen im Ausland zurück. In Deutschland war das Ergebnis positiv. So blieb es auch in den nächsten Jahren. Das deutsche Geschäft hat sein Ergebnis bis 2004 um rund 900% verbessert, während das Ausland nach wie vor Verluste beisteuert, wenn auch deutlich geringere. Klar aber ist: Die Unternehmensteile in Deutschland sind die Melkkuh für die gewaltige und sich beschleunigende Expansion der Telekom im internationalen Raum, vor allem in den USA.
Der Umsatz ist von 2003 auf 2004 um 3,7% gestiegen, aber die Zahl der Beschäftigten ist um 1,5% gesunken. Das Geschäftsergebnis ist um sagenhafte 368% in die Höhe geschnellt, aber der Personalaufwand ist um 2,7% zurück gegangen. Dabei ist der Profitsprung auf die enorme zusätzliche Leistung der Beschäftigten zurück zu führen. Pro Beschäftigtem ist der Umsatz um 11600 Euro gestiegen, das Geschäftsergebnis sogar um 21000 Euro. Die Beschäftigten lohnen sich außerordentlich. Gedankt wird es ihnen nicht. Nicht nur werden Arbeitsplätze abgebaut, die noch Beschäftigten erhalten weniger. Der Personalaufwand pro Beschäftigtem ist von 2003 auf 2004 um 1,3% gesunken.
Der Vorstand will die Rendite auf das eingesetzte Kapital bis 2007 auf über 9% erhöht haben, also um rund 15%. Dies soll vor allem durch eine gewaltige Reduktion der Personalkosten geschehen. Womit wir wieder bei der aktuellen Drohung sind, dass 32000 Beschäftigte das Unternehmen zu verlassen haben. Die unternehmerische Logik ist nicht auf der Seite des Vorstands. Wenn genau im Bereich Breitband/Festnetz mit der Glasfaserverkabelung eine Investitionsoffensive gestartet werden soll, dann zielt dies mitten in den Bereich der T-Com. Wenn die Firma weiter vom technologiezentrierten auf ein kundenorientiertes Unternehmen entwickelt werden soll, dann liegen die kundenintensiven Bereiche der T-Com genau in der Schnittmenge. Wenn unter der Losung «Conquer the home — das Heim erobern», bis 2007 eine Million Kunden für Triple-Play-Angebote, für integrierte Angebote von Telefon, TV und Internet gewonnen werden sollen, dann gehören die erfahrenen Kundendienstler der T-Com zu den wichtigsten Aktivposten.
Es geht aber nicht um unternehmenspolitisch reife Entscheidungen, es geht um ein Senken der Personalbasis und der Personalkosten und um eine Flexibilisierung des Personalbestands.

Wie wäre dem zu begegnen?

Wie wäre dem von Seiten der Beschäftigten zu begegnen? Es liegt auf der Hand, dass betriebliche Bündnisse nicht fruchten, worin man Arbeitsplatz- und Sozialabbau zustimmt gegen die Zusicherung, darüber hinaus gäbe es keine Kündigungen. Die jetzige Ausstellungswelle rollt ja mitten im Moratorium heran, wonach es keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2008 geben darf. Man will den massenhaften Abbau bei Beamten und dauerhaft gesicherten Angestellten über andere Mittel durchsetzen: mit Hilfe von Abfindungen, Teilzeitruhestand, vorzeitiger Pensionierung und, dies darf man getrost unterstellen, durch ständigen Druck auf die, die man raus haben will.
Moratorien sind keine wirkliche Hilfe, weil sie Zugeständnisse festschreiben, während die andere Seite, das Management, über einen Reigen von Mitteln verfügt, selbst während der Moratorien zum Ziel zu kommen. Und ist das Moratorium zu Ende, steht schon die nächste Drohung vor der Tür: Wollt ihr betriebsbedingte Kündigungen vermeiden, müsst ihr aber einem Abbau in dieser Höhe, einem Lohnrückgang von so und so viel Prozent und so weiter zustimmen. Moratorien können sehr schnell zu einem Co-Management des Abbaus werden. Die Belegschaften, die Betriebsräte, die Gewerkschaft müssen aus dieser Falle heraus.
Es hilft nur eines: Die Betroffenen müssen Nein sagen zum Abbau und müssen all ihre Kraft entfalten, um dagegen anzugehen. Es bleibt kein anderer Weg, als im Betrieb um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen — um erreichte Lohn- und Arbeitsstandards, um jeden Millimeter sozialen Bodens, den man sich in der Vergangenheit erkämpft hat. Eine Abfindung, die auf den ersten Blick stattlich aussehen mag, ist letzten Endes aber nichts anderes als eine Drehtür in die Arbeitslosigkeit.
Wer noch 10 oder 15 Arbeitsjahre vor sich hat, und sich nun mit einem oder auch zwei Jahresgehältern abspeisen lässt, muss sich klar darüber sein, dass er die nächsten 10 oder 15 Jahre davon und womöglich alsbald vom ALG II leben muss. Er landet als armer Mensch in der Rente, und auch die wird, wie auch die Pension, erheblich geringer sein, als wenn er hätte durcharbeiten können.
Die Kapitalseite hat den sozialen Frieden aufgekündigt, die Seite der Belegschaft muss darauf mit der Bereitschaft und der Fähigkeit zum Konflikt antworten. Sie steht nicht allein. In allen großen Unternehmen werden die Belegschaften vor solche Ultimaten gestellt. Die VW-Zentrale schreibt ihre Produktionsprojekte aus, und die einzelnen Filialen treten untereinander in einen ruinösen Wettbewerb, um den Auftrag zu erhalten. Bei Siemens sollen sich die Beschäftigten auf neue Arbeitszeiten und Löhne einlassen, wie sie in Ungarn oder China existieren, sonst wird die Produktion dorthin verlagert. Es dämmert so langsam, dass die marktradikale, neoliberale Logik vom Standpunkt der Beschäftigten ins Desaster führt. Man kann nicht im Betrieb Lösungen zustimmen, die man in der Gesamtgesellschaft lieber anders hätte. Die Auseinandersetzung beginnt im Betrieb.
Das ist kein leichter Weg — aber einen anderen sinnvollen gibt es nicht. Ich wünsche Ihnen viel Kraft für diese Auseinandersetzung. Die besseren Argumente sind auf Ihrer Seite. Und Ihr Interesse an einem sicheren Arbeitsplatz, an guter Arbeit und einem existenzsichernden Einkommen ist moralisch allemal höher zu gewichten als die Höchstprofitziele der anderen Seite.

Conrad Schuhler

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