SoZ - Sozialistische Zeitung |
Es gibt Geschichten, die sich über Jahre hinziehen, von denen immer mal
wieder in den Nachrichten oder Zeitungen berichtet wird, und deren Bedeutung erst in der Gesamtsicht
erschreckend klar wird. Eine solche Geschichte wird aufgerollt und zusammengefasst in dem Buch Das
Mühlenberger Milliardenloch Wie ein Flugzeug die Politik beherrscht*.
Die Geschichte handelt von der Erweiterung
des Airbus-Geländes in Hamburg auf der Südseite der Elbe, der Betonierung von einzigartigen
Naturschutzgebieten, von Vertuschung, Täuschung und Lügen der zuständigen Regierungen,
gerichtlichen Ausweichmanövern und letztlich oft vergeblichem Widerstand der betroffenen
Bevölkerung.
Im Stil besten Aufklärungsjournalismus
beleuchten Autor Uwe Westphal und Autorin Renate Nimtz-Köster, der eine Fachjournalist in Fragen des
Naturschutzes, die andere Wissenschaftsredakteurin beim Spiegel, den Skandal um den Einsatz von Milliarden
öffentlicher Mittel für den Airbus 380, dessen Produktion Hamburg unbedingt «an Land
ziehen» wollte.
Das Mühlenberger Loch, eine
Süßwasserwattbucht der Elbe, wurde trotz Ausweisung als Naturschutzgebiet und unter Missachtung
europäischer Richtlinien zum Teil zugeschüttet. Die werkseigene Landebahn für Airbus wurde
in den Raum des Ortes Neuenfelde hinein verlängert und mit der Vergrößerung des
Werksgeländes und der Zufahrten über Autobahnen und Bundesstraßen wird das berühmte
Obstanbaugebiet «Altes Land» bedroht.
Hamburger Gerichte befassten sich in
mehreren Instanzen über Jahre mit den Klagen der Anwohner und der Umweltverbände,
widersprüchliche Urteile und ein «Lex Airbus» genanntes Gesetz des Hamburger Senats hebelten
die Wirkung aufschiebender Urteile aus. Fakten wurden geschaffen, die Bewohner ausgekauft oder durch
massive Propaganda zum Aufgeben ihres Widerstands gezwungen.
Die Strategie eines privatrechtlichen
Konzerns zum Ausbau seines Werkes wurde kurzerhand zum «gemeinnützigen» Vorhaben gemacht,
und der Bundesrat änderte mal eben schnell ein Gesetz auf Drängen des Bundeskanzlers.
In dem Buch wird sehr eindrücklich die
ökologische Bedeutung der betroffenen Wasser- und Landflächen beschrieben. Das Vorgehen des rot-
grünen Senats aus den 90er Jahren und der schwarz-gelb-braunen Nachfolgeregierung beruht zum Teil auf
dem Generalbebauungsplan der Nazis von 1944, in dem bereits ein Flughafen, die Industrialisierung des
Hamburger Südens ins Alte Land hinein und die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs enthalten
waren. Es wird geschildert, wie schließlich auf Druck von Kanzler Schröder die Umweltkommissarin
der EU ausgetrickst wurde, da die Zuschüttung sonst nicht genehmigt werden konnte.
Es wird geschildert, dass Hamburger
Gerichte weder die Anwendung strengerer europäischer Gesetze noch die Klagebefugnis von
Umweltverbänden zuließen, und wie ein die Anwohner schützendes Urteil aus der ersten Instanz
gekippt bzw. seine rechtliche Umsetzung auf den St.Nimmerleinstag geschoben wurde.
Argumente der Gegner wurden zynisch an die
Seite geschoben, nicht behandelt oder/und mit der Drohung, sie würden Arbeitsplätze verhindern,
an den Pranger der veröffentlichten Meinung gestellt. Und die Wirtschaftsbehörde, gleichzeitig
Antragstellerin sowie Genehmigungsbehörde gegenüber Airbus, hielt auch dann noch an der Zahl von
4000 kommenden Arbeitsplätzen fest, als längst klar war, dass Airbus nur einen kleinen Teil des
A380 in Hamburg bauen würde.
Allein die Darstellung der komplizierten,
über mehrere Standorte verteilten Produktion des größten Jets der Welt und des dazu
nötigen Aufwands ist die Lektüre wert. Die Autoren zitieren aus internen Papieren, die die
Arbeitsplatzlüge darstellen, begleiten die öffentliche Anhörung über die
Einsprüche, die rechtlichen Schritte der Umweltschützer, die Tricks der Behörden, die
juristischen Versuche engagierter Anwälte, das Mühlenberger Loch zu retten.
Sehr deutlich wird, dass nicht nur das
Elbwatt, sondern auch das Vertrauen der Bürger in demokratische und rechtlich vertretbare Prozesse
zugeschüttet wurde. Globalisierung als lokaler Skandal.
Was im Buch allerdings nicht gesagt wird,
ist die Planung der europäischen Länder, die Frachtversion des Airbus A380, für die die
Landebahn in Hamburg verlängert wird, als militärische Transportversion zu benutzen. Damit stellt
sich natürlich die «Notwendigkeit» einer überlangen Landebahn in Hamburg anders dar,
als wenn es nur um die Auslieferung der Zivilversion ginge.
Und es erklärt vielleicht noch
deutlicher die Verbissenheit, mit der Airbus und Senat das Projekt gegen alle rechtlichen, finanziellen und
tatsächlichen Einwände durchgezogen haben.
Das Ende der Geschichte und des Buches: Das
Mühlenberger Loch ist zu, die Umwelt vernichtet, Ausgleichsmaßnahmen greifen nicht, Anwohner sind
zunehmenden Belästigungen ausgesetzt und der Rechtsstreit wird noch Jahre dauern. Hauptsache:
Airbus fliegt von Toulouse…
Urteil: sehr empfehlenswert!
Rolf Euler
.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04