SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 11

Die Bertelsmannisierung

Wie Bertelsmann u.a. den Neoliberalismus propagieren

«In Zeiten hoher Verschuldung und sinkender Staatsquote ist es notwendig, die Rolle des Staates zu überdenken und seine Regierungstätigkeiten zu optimieren. Eine Politik, die die Regierungsqualität auf lange Sicht erhöht und zugleich die Bürokratiebelastung der Wirtschaft senkt, birgt die Chance für mehr Dynamik, Wachstum und Arbeitsplätze.» — So googelt man zum weltweiten Mediengiganten Bertelsmann.

Es klingt wie der Bericht einer Unternehmensberatung für eine Firma und vermittelt Zuversicht. Was der Text indessen offen lässt: Eine Demokratie und der Staatsapparat als ausführendes Organ sind keine Firma, sondern ein ungleich komplizierteres System mit vielen Spielern und Spielregeln, die weit über eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung hinausgehen. Und so verfolgt der schlichte Text auch nur eine Botschaft: Das Desaster des Neoliberalismus liegt nicht in der Verantwortung der Wirtschaft selbst, sondern in der Macht des Staates. Erst wenn Bürokratie abgebaut, der Staat «reformiert» ist, wir «weniger Staat» haben, entstehen Dynamik, Wachstum und Arbeitsplätze. Und das will doch jeder.
Auf ihren Webseiten versucht Bertelsmann mit einem Budget von 63 Millionen Euro, 300 Mitarbeitern und selbsternannten «Experten für politische Reformprozesse» mit dem Anschein einer echten Online-Zeitung hinterhältig, journalistische Redlichkeit vorzutäuschen, und implantiert statt dessen neoliberales Gedankengut in die Köpfe der Menschen. Längst beklagen Kritiker die «Bertelsmannisierung» des Bildungswesens, und Studenten protestieren gegen die Machenschaften dieses Konzerns. Gleichzeitig macht sich Bertelsmann aber zum Verbündeten für die Sorgen, Nöte und Ängste der Bevölkerung, wenn das rettende Allheilmittel im alleinigen Besitz von Bertelsmann verkündet wird: «Das Projekt der Bertelsmann-Stiftung … erforscht systematisch politische Steuerungseffekte, erarbeitet ein zukunftsfähiges Verständnis von Politik und Staat und entwickelt Modelle zur Optimierung politischer Reformprozesse». Bei Hartz IV haben sie schon mitgeholfen.

Profit statt Staat

Was mit der «Optimierung» gemeint ist, hat German Foreign Policy herausgefunden: Die Firma Arvato AG ist eine der bedeutendsten Töchter von Bertelsmann und fährt nach RTL mit 310 Millionen Euro den höchsten Gewinn ein — Umsatz: 3,756 Milliarden Euro. Und das ist Bertelsmann offensichtlich zu wenig. Deshalb möchte man gern Profit aus staatlichen Aufgaben ziehen. Mit der britischen Stadt East Riding Yorkshire hat das bereits funktioniert. Dort wird von Arvato, sprich Bertelsmann, fast die gesamte Stadtverwaltung erledigt, auch Sozialleistungen ausgezahlt und Steuern und öffentliche Gebühren erhoben.
Damit wird das wahre Ziel von Bertelsmann klar: «Bürokratieabbau» wird den Menschen mundgerecht als notwendig verkauft, um später die Gewinne einzufahren, die man sich von der Übernahme öffentlicher Aufgaben erwartet. Dass aber künftige Gewinne mit steigender Anzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten sind, ist mehr als unwahrscheinlich. Bisher jedenfalls sind bei den Aktiengesellschaften die Kurse nach Entlassungen meist gestiegen. Ganz zu schweigen von den schlechten Erfahrungen mit so genannten Privatisierungen in Deutschland. Bürokratieabbau ist daher nichts anderes als Abbau von Arbeitsplätzen.
Damit die feindliche Übernahme staatlicher Funktionen auch funktioniert, muss man die Demokratie weitgehend ausschalten und zuvor die Hoheit über die Sprache gewonnen haben. Die Vergewaltigung der Köpfe ist weit voran geschritten. Hierzu werden wie beim Thema «Bürokratieabbau» Floskeln gewählt, die jedermann versteht.

Die Auslieferung des Denkens an das Kapital

Das Perfide daran ist auch, dass häufig die sprachlichen Mittel nicht bemerkt werden, mit denen man sich unserer Köpfe bemächtigt. Es wird bspw. nicht deutlich, dass es sich um die Meinung von Lobbyisten und Unternehmern handelt. Am 1.12. meldet Bertelsmann online: «Lobbygruppen verhindern wirkungsvollen Bürokratieabbau», während man selbst zu eben den Lobbyisten zählt. Schon das zeigt die Verlogenheit dieser Meinungsmacher. Unter dem Deckmantel, die bestehende Ordnung der Demokratie verteidigen zu wollen, gründet man Stiftungen und schmeichelt sich in die Köpfe ein. Das Ziel ist aber oft genau das Gegenteil, oder man verfolgt zumindest eigene Interessen. Ihre Täuschung besteht im Verschweigen der Wirklichkeit.
Der Erfolg dieser Strategie liegt im primitiven Charakter der Botschaften, in der einpeitschenden und sich ständig wiederholenden Form. Bis zum Erbrechen haben wir alle die Notwendigkeit von «Reformen» vernehmen müssen. Nach dem Wörterbuch ist «Reform» die Beseitigung sozialer Missstände unter Beibehaltung der politischen Grundidee, in unserem Fall der Demokratie. Aber genau das ist mit den gegenwärtigen «Reformen» nicht gemeint, weil längst eine «Revolution von oben» stattgefunden hat.
Die gleichen Botschaften werden uns vermittelt durch Begrifflichkeiten wie «Reform der Bildungspolitik», «Förderung der Selbstständigkeit» und «Reform der Sozialen Sicherungssysteme». Dies gilt ebenso für die «zu hohen Lohnnebenkosten» und den Gürtel, der seit 30 Jahren enger geschnallt werden soll. Auch die aktuelle Wendung «Neue soziale Gerechtigkeit» von Kanzlerin Merkel verschleiert nur ihr wirkliches Ziel, die Zerschlagung des Sozialstaats.

Fallbeispiel INSM

Dass man sich nicht der Sprache der Wirtschaft bedient, ist sicher nicht nur eine Frage des Inhalts: Man gibt sich bewusst demokratisch und nutzt die Form der manipulativen Propaganda. So suggeriert die «Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft» (INSM), dass man eigentlich die Demokratie und die «Soziale Marktwirtschaft» verteidige, nur eben neu und damit vermeintlich besser als bisher.
«Wie es aufwärts geht — Deutschland muss einfacher werden.» So hat Prof. Ulrich van Suntum für Deutschland «den» Masterplan entwickelt, damit endlich mit dem «Wirrwarr» von Reformen ein Ende ist. Er bietet «keine billigen Patentrezepte an, sondern durchdachte Lösungen auf der Basis wissenschaftlicher Konzepte und ausländischer Erfahrungen». Man gibt sich wissenschaftlich und liefert die gewollten Interpretationen.
Tatsächlich ist die INSM ein Thinktank, der sich die Scheinform demokratischer Öffentlichkeit gibt, aber letztlich im Auftrag der Wirtschaft die Gesellschaft umkrempeln soll. Auch hier wird die gewollte Verquickung der eigenen politischen Propaganda mit dem Journalismus im Dunkeln gehalten. Nicht ohne weiteres wird deutlich, dass es Medienpartnerschaften mit Wirtschaftswoche, Impulse, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Handelsblatt oder Die Welt gibt oder dass man mit Tarnorganisationen wie dem «Bürgerkonvent» zusammenarbeitet.
Ebenso bestückt die INSM die Talkshows von Christiansen und Illner mit «Experten», um neoliberale Themen zu transportieren. Auch durch die INSM werden den Menschen immer die gleichen Botschaften eingetrichtert. «Trotz aller Skepsis gegenüber den Ergebnissen der Medienwirkungsforschung kann man davon ausgehen, dass die Aktivitäten der INSM in den letzten Jahren massiv dazu beigetragen haben, Einstellungen in der Bevölkerung zu verändern und Themen wie Rückbau des Wohlfahrtstaats, Arbeitszeiten, verstärkte Eigenverantwortung, staatliche Ausgaben- und Aufgabenbeschränkung in die Diskussion zu bringen», so der Buchautor R.Speth. Für diese Gehirnwäsche hat die INSM von der Arbeitgeberorganisation Gesamtmetall allein bis 2003 etwa 100 Millionen Euro erhalten.
Eigentlich eine Frage des Verfassungsschutzes: Bertelsmann und andere, vor allem aber auch die INSM, wollen nämlich «die Aufgaben des Staates und den Einfluss von Gewerkschaften und Verbänden auf ein Minimum reduzieren. Sie klammern die Frage nach einem sozialen Ausgleich vollständig aus», meint der Politologe Manfred Schmidt.
Floskelhaft-stereotype Wiederholungen des immer Gleichen verhindern das eigenständige politische Denken verhindern und damit die Veränderbarkeit der politischen Verhältnisse. «Die erreichten Kontrollgewinne des Kapitals gegenüber Politik», schreibt Richard Sennet in seinem viel beachteten Buch Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, «führen dazu, dass die eigenen Logiken und Maßstäbe — ohne wirksame Gegenkräfte — autoritär gegen die Gesellschaft in Stellung gebracht werden können».
So wird diese Gesellschaft von den Meinungsmachern gespalten und desorientiert, gespalten in «Sozialschmarotzer» und «Asoziale» auf der einen und die Leistungsträger auf der anderen Seite. Während die einen ausgegrenzt werden, werden die anderen für die Erfordernisse der Wirtschaft durch Niedriglöhne, Einfacharbeitsplätze und Minijobs dressiert und an den Rand der Existenz getrieben. Die Spaltung ist gewollt, die Zerstörung der Charaktere wird in Kauf genommen.
Es gilt dagegen, die Herrschaft über unsere eigenen Köpfe zurück zu gewinnen. Und mehr denn je gilt es, den Begriff der Solidarität wieder zu entdecken und wirksame Gegenkräfte zu entwickeln.

Hans-Dieter Hey

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