SoZ - Sozialistische Zeitung |
«In Zeiten hoher Verschuldung und sinkender Staatsquote ist es
notwendig, die Rolle des Staates zu überdenken und seine Regierungstätigkeiten zu optimieren.
Eine Politik, die die Regierungsqualität auf lange Sicht erhöht und zugleich die
Bürokratiebelastung der Wirtschaft senkt, birgt die Chance für mehr Dynamik, Wachstum und
Arbeitsplätze.» So googelt man zum weltweiten Mediengiganten Bertelsmann.
Es klingt wie der Bericht einer Unternehmensberatung für eine Firma und vermittelt Zuversicht.
Was der Text indessen offen lässt: Eine Demokratie und der Staatsapparat als ausführendes Organ
sind keine Firma, sondern ein ungleich komplizierteres System mit vielen Spielern und Spielregeln, die weit
über eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung hinausgehen. Und so verfolgt der schlichte Text auch
nur eine Botschaft: Das Desaster des Neoliberalismus liegt nicht in der Verantwortung der Wirtschaft
selbst, sondern in der Macht des Staates. Erst wenn Bürokratie abgebaut, der Staat
«reformiert» ist, wir «weniger Staat» haben, entstehen Dynamik, Wachstum und
Arbeitsplätze. Und das will doch jeder.
Auf ihren Webseiten versucht Bertelsmann
mit einem Budget von 63 Millionen Euro, 300 Mitarbeitern und selbsternannten «Experten für
politische Reformprozesse» mit dem Anschein einer echten Online-Zeitung hinterhältig,
journalistische Redlichkeit vorzutäuschen, und implantiert statt dessen neoliberales Gedankengut in
die Köpfe der Menschen. Längst beklagen Kritiker die «Bertelsmannisierung» des
Bildungswesens, und Studenten protestieren gegen die Machenschaften dieses Konzerns. Gleichzeitig macht
sich Bertelsmann aber zum Verbündeten für die Sorgen, Nöte und Ängste der
Bevölkerung, wenn das rettende Allheilmittel im alleinigen Besitz von Bertelsmann verkündet wird:
«Das Projekt der Bertelsmann-Stiftung … erforscht systematisch politische Steuerungseffekte,
erarbeitet ein zukunftsfähiges Verständnis von Politik und Staat und entwickelt Modelle zur
Optimierung politischer Reformprozesse». Bei Hartz IV haben sie schon mitgeholfen.
Was mit der «Optimierung» gemeint ist, hat German Foreign Policy herausgefunden: Die Firma
Arvato AG ist eine der bedeutendsten Töchter von Bertelsmann und fährt nach RTL mit 310 Millionen
Euro den höchsten Gewinn ein Umsatz: 3,756 Milliarden Euro. Und das ist Bertelsmann
offensichtlich zu wenig. Deshalb möchte man gern Profit aus staatlichen Aufgaben ziehen. Mit der
britischen Stadt East Riding Yorkshire hat das bereits funktioniert. Dort wird von Arvato, sprich
Bertelsmann, fast die gesamte Stadtverwaltung erledigt, auch Sozialleistungen ausgezahlt und Steuern und
öffentliche Gebühren erhoben.
Damit wird das wahre Ziel von Bertelsmann
klar: «Bürokratieabbau» wird den Menschen mundgerecht als notwendig verkauft, um später
die Gewinne einzufahren, die man sich von der Übernahme öffentlicher Aufgaben erwartet. Dass aber
künftige Gewinne mit steigender Anzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten sind, ist mehr als
unwahrscheinlich. Bisher jedenfalls sind bei den Aktiengesellschaften die Kurse nach Entlassungen meist
gestiegen. Ganz zu schweigen von den schlechten Erfahrungen mit so genannten Privatisierungen in
Deutschland. Bürokratieabbau ist daher nichts anderes als Abbau von Arbeitsplätzen.
Damit die feindliche Übernahme
staatlicher Funktionen auch funktioniert, muss man die Demokratie weitgehend ausschalten und zuvor die
Hoheit über die Sprache gewonnen haben. Die Vergewaltigung der Köpfe ist weit voran geschritten.
Hierzu werden wie beim Thema «Bürokratieabbau» Floskeln gewählt, die jedermann
versteht.
Das Perfide daran ist auch, dass häufig die sprachlichen Mittel nicht bemerkt werden, mit denen man
sich unserer Köpfe bemächtigt. Es wird bspw. nicht deutlich, dass es sich um die Meinung von
Lobbyisten und Unternehmern handelt. Am 1.12. meldet Bertelsmann online: «Lobbygruppen verhindern
wirkungsvollen Bürokratieabbau», während man selbst zu eben den Lobbyisten zählt. Schon
das zeigt die Verlogenheit dieser Meinungsmacher. Unter dem Deckmantel, die bestehende Ordnung der
Demokratie verteidigen zu wollen, gründet man Stiftungen und schmeichelt sich in die Köpfe ein.
Das Ziel ist aber oft genau das Gegenteil, oder man verfolgt zumindest eigene Interessen. Ihre
Täuschung besteht im Verschweigen der Wirklichkeit.
Der Erfolg dieser Strategie liegt im
primitiven Charakter der Botschaften, in der einpeitschenden und sich ständig wiederholenden Form. Bis
zum Erbrechen haben wir alle die Notwendigkeit von «Reformen» vernehmen müssen. Nach dem
Wörterbuch ist «Reform» die Beseitigung sozialer Missstände unter Beibehaltung der
politischen Grundidee, in unserem Fall der Demokratie. Aber genau das ist mit den gegenwärtigen
«Reformen» nicht gemeint, weil längst eine «Revolution von oben» stattgefunden
hat.
Die gleichen Botschaften werden uns
vermittelt durch Begrifflichkeiten wie «Reform der Bildungspolitik», «Förderung der
Selbstständigkeit» und «Reform der Sozialen Sicherungssysteme». Dies gilt ebenso
für die «zu hohen Lohnnebenkosten» und den Gürtel, der seit 30 Jahren enger geschnallt
werden soll. Auch die aktuelle Wendung «Neue soziale Gerechtigkeit» von Kanzlerin Merkel
verschleiert nur ihr wirkliches Ziel, die Zerschlagung des Sozialstaats.
Dass man sich nicht der Sprache der Wirtschaft bedient, ist sicher nicht nur eine Frage des Inhalts: Man
gibt sich bewusst demokratisch und nutzt die Form der manipulativen Propaganda. So suggeriert die
«Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft» (INSM), dass man eigentlich die Demokratie und die
«Soziale Marktwirtschaft» verteidige, nur eben neu und damit vermeintlich besser als bisher.
«Wie es aufwärts geht
Deutschland muss einfacher werden.» So hat Prof. Ulrich van Suntum für Deutschland
«den» Masterplan entwickelt, damit endlich mit dem «Wirrwarr» von Reformen ein Ende
ist. Er bietet «keine billigen Patentrezepte an, sondern durchdachte Lösungen auf der Basis
wissenschaftlicher Konzepte und ausländischer Erfahrungen». Man gibt sich wissenschaftlich und
liefert die gewollten Interpretationen.
Tatsächlich ist die INSM ein
Thinktank, der sich die Scheinform demokratischer Öffentlichkeit gibt, aber letztlich im Auftrag der
Wirtschaft die Gesellschaft umkrempeln soll. Auch hier wird die gewollte Verquickung der eigenen
politischen Propaganda mit dem Journalismus im Dunkeln gehalten. Nicht ohne weiteres wird deutlich, dass es
Medienpartnerschaften mit Wirtschaftswoche, Impulse, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Handelsblatt
oder Die Welt gibt oder dass man mit Tarnorganisationen wie dem «Bürgerkonvent»
zusammenarbeitet.
Ebenso bestückt die INSM die Talkshows
von Christiansen und Illner mit «Experten», um neoliberale Themen zu transportieren. Auch durch
die INSM werden den Menschen immer die gleichen Botschaften eingetrichtert. «Trotz aller Skepsis
gegenüber den Ergebnissen der Medienwirkungsforschung kann man davon ausgehen, dass die
Aktivitäten der INSM in den letzten Jahren massiv dazu beigetragen haben, Einstellungen in der
Bevölkerung zu verändern und Themen wie Rückbau des Wohlfahrtstaats, Arbeitszeiten,
verstärkte Eigenverantwortung, staatliche Ausgaben- und Aufgabenbeschränkung in die Diskussion zu
bringen», so der Buchautor R.Speth. Für diese Gehirnwäsche hat die INSM von der
Arbeitgeberorganisation Gesamtmetall allein bis 2003 etwa 100 Millionen Euro erhalten.
Eigentlich eine Frage des
Verfassungsschutzes: Bertelsmann und andere, vor allem aber auch die INSM, wollen nämlich «die
Aufgaben des Staates und den Einfluss von Gewerkschaften und Verbänden auf ein Minimum reduzieren. Sie
klammern die Frage nach einem sozialen Ausgleich vollständig aus», meint der Politologe Manfred
Schmidt.
Floskelhaft-stereotype Wiederholungen des
immer Gleichen verhindern das eigenständige politische Denken verhindern und damit die
Veränderbarkeit der politischen Verhältnisse. «Die erreichten Kontrollgewinne des Kapitals
gegenüber Politik», schreibt Richard Sennet in seinem viel beachteten Buch Der flexible Mensch.
Die Kultur des neuen Kapitalismus, «führen dazu, dass die eigenen Logiken und Maßstäbe
ohne wirksame Gegenkräfte autoritär gegen die Gesellschaft in Stellung gebracht
werden können».
So wird diese Gesellschaft von den
Meinungsmachern gespalten und desorientiert, gespalten in «Sozialschmarotzer» und
«Asoziale» auf der einen und die Leistungsträger auf der anderen Seite. Während die
einen ausgegrenzt werden, werden die anderen für die Erfordernisse der Wirtschaft durch
Niedriglöhne, Einfacharbeitsplätze und Minijobs dressiert und an den Rand der Existenz getrieben.
Die Spaltung ist gewollt, die Zerstörung der Charaktere wird in Kauf genommen.
Es gilt dagegen, die Herrschaft über
unsere eigenen Köpfe zurück zu gewinnen. Und mehr denn je gilt es, den Begriff der
Solidarität wieder zu entdecken und wirksame Gegenkräfte zu entwickeln.
Hans-Dieter Hey
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