SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 16

Morales‘ Wahlerfolg

Das Bolivien?

Evo Morales und seine Partei Movimiento al Socialismo (MAS — Bewegung zum Sozialismus) gewann am 18.Dezember mit 54% der Stimmen die Präsidentschaftswahl in Bolivien. Morales, ein Aymara, ist der erste indigene Präsident des Landes.

Die Wahl war ein landesweites Referendum über die neoliberale Wirtschaftspolitik. Nach 20 Jahren der Privatisierung und der Kürzungen bei den Sozialausgaben bleibt Bolivien das ärmste Land Südamerikas. Morales‘ Sieg am 18.Dezember war eine entschiedene Botschaft der Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung an die internationalen Finanz- und Industriemagnaten.
In den Tagen nach der Wahl traf sich Morales in Cochabamba mit Führungspersönlichkeiten der sozialen Bewegungen, die ihn unterstützt hatten. Dieser Schritt brach mit dem traditionellen Muster von Treffen des neugewählten Präsidenten mit den Führern der politischen Parteien, die die offizielle Opposition bilden.
Kurz danach verkündete Morales, dass er ein aus dem Jahr 1985 stammendes Dekret zurücknehmen wird, das die Privatisierung staatlicher Betriebe und die der Arbeit vorsieht. Damit wird die gesetzliche Grundlegung des Neoliberalismus in Bolivien im Kern erschüttert.
Morales deutete auch an, dass er die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Mai 2005 — wodurch die bestehenden Verträge mit transnationalen Öl- und Gasgesellschaften außer Kraft gesetzt wurden — dazu benutzen will, neue Verträge auszuhandeln, die für Boliviens Haushalt günstiger sind.
Gleichzeitig beschwichtigte Morales die konservativen Führer der an Öl- und Gasvorkommen reichen östlichen Provinzen, die eine Autonomie anstreben und mit der Lostrennung gedroht haben, falls Morales mit dem Abbau des Neoliberalismus zu weit ginge. Morales billigte den privaten Abbau der Eisen- und Manganmine in Mutún entgegen dem Protest von Umweltschützern, Gewerkschaftern und Bauerngruppen.
Morales garantierte in einer Stellungnahme auch das Privateigentum der Großunternehmen und Großgrundbesitzer. Trotz der von manchen als unwiderlegbar betrachteten Beweise sprach er das spanisch-argentinische Unternehmen Repsol von der Anschuldigung des gesetzwidrigen Handels mit Kohlenwasserstoff frei.

Starke Position durch hohe Gaspreise

Morales hofft die Extraprofite aus den natürlichen Ressourcen für die Bezahlung wesentlicher Verbesserungen beim Lebensstandard der bolivianischen Werktätigen, der Bauern, der Armen und Erwerbslosen zu nutzen.
Aber anders als Venezuelas Präsident Hugo Chávez erbt Morales keine bereits verstaatlichte und entwickelte Kohlenwasserstoffindustrie. Die Notwendigkeit, mit ausländischen Investoren über Kapital zur Entwicklung zu verhandeln, wird Morales‘ Spielraum für Verstaatlichungen begrenzen.
Sein geäußerter Plan sieht nur die Verstaatlichung der unterirdischen Ressourcen vor — Gas, Öl und die Mineralien im Boden — und lässt den oberirdischen Abbau weitgehend in privater Hand.
Trotz fortgesetzter Abhängigkeit von ausländischen Investitionen wird Morales aus anderen Gründen in einer starken Position sein. Die Preise von Naturgas sind seit dem Beginn des Irakkriegs rasch gestiegen — prozentual schneller als die Ölpreise. Sollten Europas transnationale Konzerne, die gegenwärtig Boliviens Kohlenwasserstoffindustrie dominieren, und die US-Gesellschaften sich bei den Verhandlungen über neue Verträge stur zeigen, wartet China auf seine Chance. Und Chávez selbst ist möglicherweise bereit, zur Finanzierung der Entwicklung bolivianischen Gases wesentlich beizutragen.
Morales‘ zentrale politische Herausforderung wird darin bestehen, die Loyalität der sozialen Bewegungen zu bewahren und gleichzeitig das Vertrauen der herrschenden Klasse Boliviens zu erhalten. Anders als Brasiliens Präsident Lula, der als ehemaliger Gewerkschaftsführer seine Anhänger durch die Aufrechterhaltung einer neoliberalen Politik enttäuscht hat, ist Morales einer breiten sozialen Bewegung unmittelbar rechenschaftspflichtig, welche seit 2000 ebenso Präsidenten wie transnationale Konzerne vertrieben hat. Boliviens soziale Bewegungen können und werden reagieren, sollte Morales ihre Erwartungen eines radikalen sozialen Wandels enttäuschen.
Der von Morales‘ Sieg über seine neoliberalen Rivalen geweckte Enthusiasmus wird angesichts seiner seit 2002 zunehmend moderateren Bilanz durch Vorbehalte gedämpft. Morales war eine entscheidende Gestalt bei der Beilegung der Gaskriege von 2003 und 2005. Während des größten Teils des Jahres 2004 war er die Hauptstütze der Regierung von Präsident Carlos Mesa, der in die neoliberalen Fußstapfen des gestürzten Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada getreten war.
Morales war 2005 die letzte prominente Gestalt, die spät die Massenkampagne für die Verstaatlichung von Naturgas und Öl unterstützte, und seine heutigen Versicherungen an die Adresse des globalen Kapitals haben bereits bei einigen der Gruppen Unruhe hervorgerufen, die die größten Kapazitäten zur Mobilisierung aufweisen.
In den letzten Tagen seiner Wahlkampagne proklamierte Morales: Bezeichnenderweise sagte er nicht: Morales‘ künftiger Vizepräsident Álvaro García Linera erklärte freimütig, dass ihre Partei, das MAS, eine -Formation und ihr Ziel der sei.
Wenn sich das MAS behauptet, ist der Neoliberalismus dabei, aus Bolivien zu verschwinden. Aber der Sozialismus bleibt ein Projekt, das laut MAS um 50—100 Jahre verschoben werden muss. Stattdessen will Morales eine neue Übereinkunft mit dem globalen Kapitalismus, die auf einer wiederbelebten Rolle des Staates für das Wohlergehen seiner Bürger beruht.
In Bolivien geht es darum, ob der Neoliberalismus wegreformiert werden kann oder ob zur Überwindung des Neoliberalismus eine Revolution — wie beim Sturz des Kapitalismus — erforderlich ist. Die imperialistischen Mächte haben dies erkannt und beschlossen, die scharfen Kanten in Bolivien etwas zu glätten. Der IWF hat Bolivien 251 Millionen Dollar Schulden erlassen, und Spanien hat weitere 120 Millionen Dollar Schulden abgeschrieben.
Diese Schritte verschaffen Morales Geldmittel, die er in soziale Programme stecken kann. Aber die Dynamik der stark polarisierten Klassenkräfte könnte die Hoffnung des Imperialismus nach so wenig Wandel wie möglich durchkreuzen — und Morales‘ Hoffen auf so viel Wandel wie möglich. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass der Neoliberalismus — der von Washington und dem Großteil der EU zu 100% unterstützt wird — ohne Kampf niedergerungen werden kann.
Morales verdient die Unterstützung der sozialistischen Linken für jeden Schlag, den er gegen diese Politik richtet — und unsere Kritik für jede Anpassung an den globalen Kapitalismus. Schließlich ruht das Schicksal von Neoliberalismus und Kapitalismus in den Händen der Massen, die zunehmend die Kontrolle über ihre Zukunft geltend machen.

Tom Lewis

www.socialistworker.org (Übersetzung: Hans-Günter Mull)



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