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Rein mathematisch gesehen, ist alles sehr einfach. Die 6.Erklärung aus
dem lakandonischen Urwald, mit der die Zapatistas Ende Juni 2005 mit dem Aufruf zu einer erneut
versuchten, in die Offensive zu kommen, kommt nach der 5.Erklärung, an die sich die meisten von uns
ebenso wenig erinnern, wie an die ersten vier Erklärungen, die zwischen 1994 und 1996 die Linke
bewegten.
Begonnen hatte alles mit der ersten Erklärung, veröffentlicht am 1.Januar 1994, der
Kriegserklärung an die mexikanische Regierung, mit dem Aufstand der indigenen Bevölkerung in
zahlreichen Orten in Chiapas, im Südosten Mexikos. Bereits die 2.Erklärung war ein Aufruf an die
mexikanische Zivilgesellschaft vor den 1994 stattfindenden Präsidentschaftswahlen zu einer Nationalen
Demokratischen Konvention zusammenzukommen, um u.a. die Fragen nach einer neuen Verfassung zu diskutieren.
Die dritte beinhaltete den Aufruf zur Schaffung einer nationalen Befreiungsbewegung, der MLN, die vierte
war die Gründungserklärung der seit November 2005 wieder aufgelösten Frente Zapatista de
Liberación Nacional, und die fünfte strebte mit Hilfe der Consulta Nacional einen Dialog mit
allen Mexikanerinnen und Mexikanern außerhalb der Regierungsstrukturen an.
Sechs Erklärungen also (neben
Hunderten von Briefen, Artikeln und Stellungnahmen vor allem des Subcomandante Marcos) in diesem fast
zwölf Jahre lang national und international wahrgenommenem Kampf der bis dahin von der mexikanischen
Politik ignorierten, unterdrückten oder instrumentalisierten indigenen Bevölkerung.
Nach dem Scheitern der Verfassungsreform,
in der das bereits 1996 vereinbarte Abkommen über indigene Rechte und Kultur Teil der mexikanischen
Verfassung werden sollte, konzentrierte sich die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) ab
2001 auf den Aufbau und die Konsolidierung von indigenen Selbstverwaltungsstrukturen in ihren fünf
autonomen Regionen im Bundesstaat Chiapas. Zwar blieben die Zapatisten für viele Linke im In- und
Ausland ein Bezugspunkt, der Anspruch nationaler und internationaler Präsenz, der in den Jahren zuvor
bestimmend für die zapatistische Bewegung war, trat jedoch in den Hintergrund.
Innerhalb weniger Wochen änderte sich
im Frühsommer des vergangenen Jahres diese Situation. Zehn Tage währte die der Zapatistas, die
geschickt das nationale und internationale mediale Interesse auf die dann folgende Veröffentlichung
der 6.Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald lenkte, in der die EZLN ankündigte, und zwar zu
einem Zeitpunkt, an dem die politischen Parteien Mexikos schon ganz auf die 2006 stattfindenden
Präsidentschaftswahlen ausgerichtet waren.
In dem außergewöhnlich langen
Text blickt die EZLN selbstkritisch auf ihre eigene Geschichte zurück, allerdings ohne die
Schwächen der vorangegangenen und gescheiterten Anstrengungen zum Aufbau linker Massenbewegungen und
Bündnisse aufzuarbeiten. Zum ersten Mal wird in einer zapatistischen Erklärung wenn auch
stark verkürzt der Kapitalismus kritisiert, ebenso wie der Neoliberalismus und die
Globalisierung. Die Beschreibung der aktuellen und akkumulierten Probleme Mexikos und die
Auseinandersetzung mit den drei wichtigsten Parteien bilden einen weiteren Schwerpunkt der
6.Erklärung. Und es folgt der Aufruf für den Aufbau einer neuen, landesweiten Organisation der
außerparlamentarischen, parteipolitisch unabhängigen Linken als breitem Zusammenschluss aller ,
verbunden mit dem Kampf gegen Privatisierungen und für eine neue Verfassung, die soziale Rechte
garantiert.
Neu ist der Ausschluss der politischen
Parteien von der . Dies vor allem aus dem Grund, dass das Parteiensystem in Mexiko und insbesondere die
Politiker der PRD (Partei der demokratischen Revolution) im Wesentlichen zum Scheitern der Verträge
von San Andrés beigetragen hat (und sich führende Politiker der PRD auch anderweitig für die
Linke disqualifiziert haben). Und neu ist das Dilemma, in das die EZLN große Teile der eher
parlamentarisch orientierten mexikanischen Intellektuellen stürzt, bei der Frage oder am kommenden
2.Juli 2006. Die .
Die Forderung nach einer neuen Verfassung
und einem verstärkten Kampf gegen Privatisierungen scheinen den radikalen sozialen Kämpfen in
Bolivien entlehnt zu sein. Übrigens hat der neu gewählte bolivianische Präsident Evo Morales
die EZLN zu seiner Amtseinführung eingeladen. , so Gaston Kirsche in einer der wenigen
Auseinandersetzungen mit der 6.Erklärung, «vor allem den programmatischen Stand der EZLN wieder.
Der dürfte auch hierzulande das Herz mancher Traditionslinker erfreuen, die es gerne etwas einfacher
mögen: Sie greift in ihrer Kapitalismuskritik zu kurz, erschöpft sich in weiten Teilen im
Ressentiment gegen die Gringos und beharrt auf der Verteidigung eines Vaterlandes Mexiko». In der
Erklärung heißt es u.a.: «Was geschieht ist, dass Mexiko in etwas verwandelt wird, in dem
nur noch die Arbeitskräfte geboren werden und bald darauf sterben, die für den Reichtum von
ausländischen Geschäftemachern schuften, hauptsächlich der reichen Gringos. Deshalb sagen
wir, dass Mexiko von den USA beherrscht wird.» Die realen Klassenverhältnisse innerhalb Mexikos
werden, so Kirsche, mit dieser Analyse nicht erfasst.
Die begann nach sechs Vorbereitungstreffen mit unterschiedlichen Sektoren der , antikapitalistischen
mexikanischen Linken, konkret all denjenigen, die sich als Unterzeichner der 6.Erklärung deklariert
hatten, am 1.Januar 2006 in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, exakt 12 Jahre nach dem Aufstand der
Zapatistas.
In einer offenkundigen Hommage an Che
Guevara, der in den 50er Jahren große Teile Lateinamerikas per Motorrad durchquerte, begann
Zapatistensprecher Marcos alleine als der 6.Kommission der EZLN auf einem schwarzen Motorrad seine fast
sechs Monate dauernde Rundreise durch alle 31 Bundesstaaten und die Metropole Mexikos. In einem Koffer
begleitet ihn der zapatistische , ein missgebildeter Hahn, mit dem die Zapatisten nach Marcos Worten
die Bedeutung von Differenz und Vielfalt symbolisieren wollen.
Die Aufgabe der 6.Kommission: Zuhören,
um auf diese Weise die wirkliche Situation des Landes in Erfahrung zu bringen und bewerten, oder in den
Worten der : «Was wir vorhaben ist, euch zu fragen nach eurem Leben, nach eurem Kampf, nach euren
Gedanken darüber, wie es um unser Land bestellt ist, und danach, was wir unternehmen können,
damit sie uns nicht besiegen. Was wir vorhaben ist, den Gedanken der einfachen und bescheidenen Leute zu
lauschen, und vielleicht werden wir dabei auf die gleiche Liebe für unsere Land stoßen, die wir
empfinden.»
Doch Marcos, Delegado Zero, der Delegierte
Null, hört nicht nur zu. Bei allen bisherigen encuentros, Begegnungen mit Einzelpersonen und
Kollektiven oder Organisationen von Campesinos, Arbeitenden, Studierenden, Hausfrauen, Neugierigen,
einfachen PRD-Anhängern, die im Sommer ihren Präsidentschaftskandidaten López Obrador
wählen und gleichzeitig die als langfristige Bewegung unterstützen wollen, fordern alle,
spätestens nach dem 20. oder 30.Bericht über die konkreten Probleme vor Ort das Eingreifen, die
Stellungnahme von Marcos. Vier Elemente bildeten bisher seine Hauptargumentationslinien:
Organisiert euch, um gemeinsam eure
Forderungen durchzusetzen.
Besteht darauf, dass die Herrschenden
ihre Versprechungen einhalten.
Boykottiert die kommenden Wahlen
(neben der Neuwahl des mexikanischen Präsidenten, werden die Parlamentsabgeordneten und in einigen
Bundesstaaten so auch in Chiapas die Gouverneure gewählt). Wenn ihr keine
tatsächliche Antwort auf eure Forderungen erhaltet, fallt nicht auf die Wahlkampffarce der politischen
Parteien gleich welcher Couleur herein.
Zusammen werden wir dieses Land von
unten her erschüttern, emporheben und auf den Kopf stellen.
Der Erfolg der neuen politischen Initiative
(Strategie?) der Zapatistas hängt stark davon ab, ob die mexikanische Linke und die in Gewerkschafts-,
Nichtregierungsorganisationen, Basisgruppen oder anderen Strukturen organisierten Menschen selbst initiativ
werden und den notwendigen langen Atem behalten können.
Zu lange wurden die Zapatistas in der
außerparlamentarischen Linken als richtungsweisende Avantgarde wahrgenommen, der passiv applaudiert
oder von der sich distanziert werden konnte. , so Marcos
Jutta Klaß
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