SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 18

Rotkäppchen relaunched

Es war einmal eine sehr betagte Frau, die war ungefähr 130 Jahre alt, aber keiner wusste das so genau, nicht mal sie selbst. Ihre Eltern hießen Ferdinand, Wilhelm und August, was komischerweise drei Personen waren und auch noch alles Männer. In jungen Jahren war sie ein flotter Feger gewesen, hatte die Straßen unsicher gemacht und mit ihrer aufrührerischen Art den Herrscher des Reiches, den allmächtigen Kaiser, verärgert.
Doch inzwischen war sie satt, zufrieden und verkalkt. Sie war froh, wenn ihr überhaupt noch jemand zuhörte. Darum freute sich die alte Frau, wenn ihre Enkelin zu Besuch kam. Dieses anmutige Mädchen war um die 15 Jahre alt und wurde von allen Rotkäppchen genannt, weil es aus alter Gewohnheit jeden Morgen ein Glas des gleichnamigen Sekts leerte und mancher in der großen Stadt sie für eine Kommunistin hielt. Tatsächlich meckerte sie gern herum, wie es Kommunisten so tun, und hatte einiges auszusetzen an ihrer Großmutter. Aber wenn sie genug gequengelt hatte, sah sie ein, dass Großmutter sich nicht mehr ändern würde — und tat, was von ihr verlangt wurde.
Dann gab es noch eine Halbschwester von Rotkäppchen, die auch in der Stadt des Bären wohnt. Ihr werdet sie nicht kennen, liebe Kinder, weil alle Märchenerzähler ihre Existenz verschweigen. Es ist ihnen peinlich, dass Rotkäppchen eine Halbschwester hat, die viel eher eine Kommunistin ist, weil sie wirklich an allem herummäkelt und von keinem gemocht wird. Selbst ihr Vater Oskar ärgert sich über sie. Und auch Rotkäppchen mag ihre Halbschwester nicht, vor allem, weil sie die Oma immer beschimpft. , sagt Rotkäppchen. Sie nennt ihre Halbschwester gern oder , was zugegeben ungewöhnliche Spitznamen für eine Schwester sind.
Die Eltern von Rotkäppchen heißen Gregor und Lothar, was zwar zwei Personen, aber seltsamerweise auch zwei Männer sind. Aber weil das hier ein Märchen ist, müsst ihr das jetzt glauben, liebe Kinder. Leider waren die Eltern von Rotkäppchen in Streit mit Großmutter geraten. Sie sei zu geizig, fand der Gregor, und der Lothar meinte, sie könnte etwas gerechter und friedfertiger sein. Aber die beiden wollten es sich doch nicht mit der Alten verderben, denn sie hatte einiges zu vererben. Zwar hatte sie bereits Tafelsilber verkauft, doch ihr gehörte immer noch viel im Land, schönes Mobiliar zum Beispiel, Beamtenstühle und bequeme Ministersessel.
Eines Tages sagte Gregor zu Lothar: — , erwiderte der Lothar. Und so wurde es gemacht. Sie schickten das Rotkäppchen mit einem Korb voller herrlicher Sachen zur Großmutter. Im Korb waren leckere Sparmaßnahmen, ein Bündel Tarifabsenkungen im öffentlichen Dienst, eine erlesene Bankbürgschaft und anderer Käse mehr. die Großmutter das sieht, wird sie uns endlich mitmachen lassen, freuten sich Gregor und Lothar.
Auf ihrem Weg musste Rotkäppchen durch den finsteren Metropolendschungel. Dort wohnte ein böser Wolf. Es war eigentlich ein Hundt, der auf den Namen Dieter hörte, aber alle fanden, dass er einem Wolf ähnlicher sei, weil er schreckliche Reißzähne hatte und einen mächtigen Appetit. Jeden Tag, den Gott werden ließ, verschlang er drei Betriebsräte und vier Abgeordnete, um sich zum Schluss mit einem Flächentarifvertrag das Maul abzuwischen.
Der böse Wolf lauerte dem Rotkäppchen auf und sprach es frech von der Seite an. — , erwiderte Rotkäppchen schnippisch, denn sie hatte viel Schlimmes vom Wolf gehört. , sagte Dieter da, Und er zeigte ihr Bonusmeilen, üppige Diäten, zinslose Darlehen und andere Süßigkeiten. Rotkäppchen lief das Wasser im Munde zusammen, doch so billig wollte sie sich nicht verkaufen. , entfuhr es ihr.
Der böse Wolf grinste, denn dass er ein Raubtier ist, wusste er ja. Aber er sah ein, dass er so nicht weiter kommen würde und eilte zum Haus der Großmutter. Die Großmutter erschrak beim Anblick des Unholds, doch erlag sie dem diabolischen Charme des dicken Dieter und ließ sich mit Haut und Haaren verschlingen. Wie gut, dass ihre Erzeuger, August, Ferdinand und Wilhelm, das nicht erleben mussten!
Der Wolf zog sich das einst rote, ins orangefarbene verblichene Kostüm der Großmutter an, legte sich ins Bett und wartete auf Rotkäppchen. Wenig später trat die Kleine ein, blieb vor dem Bett stehen und musterte die Gestalt im Bett. , fragte sie. , sagte der böse Wolf mit verstellter Stimme. — — — — —
Mit diesen Worten sprang der Wolf aus dem Bett und wollte Rotkäppchen verschlingen. Da trat Rotkäppchens Halbschwester herein. , fragte sie vorwurfsvoll, — , sagte Rotkäppchen da,
Da öffnete sich die Tür erneut, und die Eltern von Rotkäppchen und der Oskar kamen herein. Alle drei schalten die Halbschwester, dass sie Rotkäppchen gefolgt war und wieder was zu meckern hatte. , sagte der Gregor, und der Lothar meinte: wir Ministersessel erben wollen, müssen wir uns mit der Großmutter und dem Wolf gut stellen. Und wir können es nicht jedem recht machen, da müssen wir schon mal jemanden links liegen lassen! Da nickte der böse Wolf und kotzte die Großmutter wieder aus. Gemeinsam versenkten sie die Halbschwester von Rotkäppchen im Brunnen, und dann feierten alle zusammen ein rauschendes Fusionsfest mit jeder Menge Kies, Koks und Kaviar.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fusionieren sie noch heute.

Kristian Stemmler

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