SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 19

250 Jahre Mozart

«Ich mag nicht länger Diener sein»

Da stürzt sich nun, wer kann, auf diesen weltberühmten Jubilar, der bereits vor seinem 250.Geburtstag am 27. Januar 2006 auf mehr als 20000 Titel blicken könnte, die über ihn veröffentlicht worden sind. Hunderte von neuen Büchern sind allein im Jubiläumsjahr zusätzlich erschienen. Doch nicht nur die Buch- und Musikverlage hoffen auf ein gutes Geschäft.

Mozart — die Markenware

Seine Geburtsstadt Salzburg hat Mozart gehasst, dennoch wirbt die Stadtverwaltung zugunsten der Hoteliers jetzt mit ihrem . Auch Wien will 30 Millionen Euro für Mozart-Events ausgeben. Mozart-Briefmarken in Österreich und Deutschland dürfen bei dieser Show natürlich nicht fehlen. Nicht nur die bekannten Schokokugeln mit Marzipan, die und die vom Aldi, auch die Äpfel aus der Steiermark sollen mit Mozarts Namen schneller ihre Käufer finden.
, dozierte der Vorsitzende der Obstpartner Steiermark (OPST), Gerhard Meixner, . OPST-Geschäftsführer Manfred Stessel:
Mozart ist zu einer Marke auf dem banalen Warenmarkt von cleveren Marketingstrategen entfremdet worden. Mit wurde die Solinger Metallfirma Steinbrück & Drucks GmbH so bekannt, dass man sich entschloss die Marke für die neugegründete Aktiengesellschaft Mozart AG zu benutzen. Ob für Rasierklingen, Stahlschneider, Äpfel, Möbel, Pralinen, Hotelbetten oder für den Börsengang, Mozarts Name bürgt für Umsatz, Seriosität und hohe Renditen. Dabei stellt Mozarts Musik, wie Adorno schreibt, von sich aus nicht «die marktgängigen Emotionen bei, noch verhält sie durch Pomp, Macht und rhythmische Befehlsgewalt den Konsumenten zu jener Art von Gehorsam, die er sich wünscht. Trotzdem hat Salzburg seinen Touristenwert. Mozart wird durch mehrfache Fälschungen adaptiert. Zunächst datiert man ihn zurück ins Rokoko, das er gerade sprengt. Es ist ein Rokoko, das von den Pralinéschachteln auf stilisierte Cembaloweiber mit Haarknoten, Kerzenlicht und Silhouette heruntergekommen ist.»

Mozart — Der Freimaurer

An Adornos Fähigkeit, Mozart historisch zu begreifen und zu analysieren, reicht keines der neu erschienenen Bücher heran. Mozarts Schaffenskraft kann eigentlich nur begriffen werden, wenn man die Bedeutung seines Engagements für die Freimaurerei richtig einzuordnen versteht. Sie war seine ideologische Triebfeder. Wolfgang Hildesheimer behauptet gar, . Konsequent hält Hildesheimer die Oper, die ausführlich die Rituale und ethischen Grundsätze der Freimaurer zeigt, die Zauberflöte, für . Zwar folgt Piero Melograni ihm nicht in dieser Einschätzung, aber auch er erkennt nicht, wie diese Oper an die Vernunft und die Liebe der Menschen appelliert, um die Erde menschlicher zu gestalten. , singen Pamina und Papageno in einem Duett, der hohe Zweck der Liebe zeige
Melograni banalisiert diese wunderschöne Botschaft. Die Moral der Zauberflöte sei, . Die Zauberflöte, deren Libretto Schikaneder schrieb — auch ein Freimaurer —, fordert die Menschen zu Tugend, Verschwiegenheit und Wohltätigkeit auf. Eigenschaften, die damals wie heute nicht dem gesellschaftlichen Zeitgeist entsprechen.
Mozarts Werk ist nicht nur ein Geschenk seines Talents an uns, sondern wäre sicher ohne die engagierte Einbindung Mozarts in den damaligen Kampf um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht entstanden. Ohne den aufklärerischen Geist des Regenten von Wien, Joseph II., der die Freimaurerei gegen den Widerstand des Papstes Pius VI. verteidigte, hätte wohl keine der drei Opern Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte entstehen können. Die Opernkomposition gab Mozart dabei am ehesten die Möglichkeit, musikalisches Talent mit Einmischung in die Lebensgestaltung der Menschen zu verbinden. , schreibt Adorno,
Mozart lernte den Librettisten seiner Opern Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte, Lorenzo Da Ponte, in der Freimaurerloge kennen, jenem Bund, in dem sich seinerzeit die revolutionären Geister trafen. Joseph II. akzeptierte einen in Frankreich von Ludwig XVI. verbotenen Text von Beaumarchais für die Oper Le nozze di Figaro. Am 1.Mai 1786 wurde diese Oper in Wien uraufgeführt, was drei Jahre später viele Revolutionäre als bewerteten. In dieser Oper erfährt Figaro von seiner künftigen Frau Susanna, dass der Herr Graf, dem beide zu Diensten stehen, von ihr das fordert. Figaro ersinnt nun ein tolles Verwirrspiel. Das einfache Volk, in Gestalt des Dieners Figaro, zeigt sich als schlauer, dabei aber stets menschlicher Gegenspieler des Aristokraten.
Martin Geck behauptet gar, die Freimaurerloge sei für Mozart nur eine Art Vaterersatz gewesen. Damit verkennt er die weltanschauliche Basis der Schaffenskraft Mozarts völlig. Volkmar Braunbehrens schreibt, Mozart sei ein gewesen. Modebewusstsein sei nicht im Spiel gewesen, als er der Loge beigetreten sei. Denn .
Mozart wurde am 14.Dezember 1784 aus Überzeugung Freimaurer. Wie sonst hätte er Lieder und Kantaten komponieren können, die den Geist und die Aufgabe der Logenbrüder so glanzvoll huldigten, wenn er nicht die Botschaft der damaligen Freimaurer in sich aufgesogen hätte. Nur aus großartigem Talent kann Kunst nicht gedeihen. , heißt es in einem dieser Texte, Mozarts Musik ist in diesem Sinne tief gespürte gattungsmäßige Emotionalität, die sich gegen die eitle Sektiererei der Aristokratie zur Wehr setzte. , heißt es in einem anderen Mozart-Lied.

Mozarts Aktualität

In keinem der Buchneuerscheinungen werden diese Lieder, komponiert für die Festlichkeiten in der Loge, ernsthaft mit der Schaffenskraft des gefeierten Komponisten in Verbindung gebracht. Aber gerade in dieser gattungsmäßigen Emotionalität liegt Mozarts Aktualität noch immer begründet. Denn noch immer halten wir die Konkurrenzkämpfe von Konzernen und Menschen für ein Naturgesetz. Mozart komponierte, unter historisch sicher anderen Bedingungen, gegen diese falsche Ideologie. Er sang mit seinen : «Süß der Gedanke, dass nun die Menschheit wieder Stätte, wo jedes Bruderherz ihm, was er war, und was er ist, und was er werden kann, so ganz bestimmt, wo Beispiel ihn belehrt, wo echte Bruderliebe seiner pflegt und wo aller Tugenden heiligste, erste, aller Tugenden Königin, Wohltätigkeit in stillem Glanze thront. Dieser Gottheit Allmacht ruhet nicht auf Lärmen, Pracht und Saus, nein, im Stillen wiegt und spendet sie der Menschheit Segen aus.»
Wenn das keine Botschaft an jene Marketingexperten ist, die aus Mozart eine Marke für ihre bornierten Geschäftserfolge machen wollen. Aber auch für jene sollten diese Zeilen ein Signal sein, die nicht bereit sind, gegen die Sektiererei, die den einzelnen Erfolg höher wertet als den gattungsmäßigen Fortschritt. Mozart folgte in vielerlei Hinsicht seinem . Im Don Giovanni wird deutlich, dass die Liebe allein nicht den Fortschritt der Menschheit garantiert, wenn dieser sich mit sozialer Unterwürfigkeit paart. , singt Masetto, der Geliebte des Bauernmädchens Zerlina, die sein für sich begehrt, Masetto ist ein Feigling, er kämpft nicht um die Liebe seiner Zerlina, die allerdings ebenfalls vom Reichtum und Charme ihres Herren so geblendet ist, dass sie dessen Anmache fast mit offenen Armen empfängt.
Beide Eigenschaften sind dem modernen untergebenen Arbeiter und Angestellten nicht so fremd. Zwar haben sich die Anzüge der Herren stark verändert, auch ihr Charme hat sich längst auf die Vorstellung reduziert, dass Geld erotisch mache, doch die Beziehung von und gibt es noch immer. Auch im Diener des Giovanni, Leporello, kann sich der moderne Mensch durchaus erkennen, wenn dieser singt: «Keine Ruh‘ bei Tag und Nacht, nichts, was mir Vergnügen macht, schmale Kost und wenig Geld, das ertrage, wem‘s gefällt! Ich will selbst den Herren machen, mag nicht länger Diener sein. Gnäd‘ger Herr, Ihr habt gut lachen! Tändelt Ihr mit einer Schönen, dann muss ich als Wache frönen. Ich will selbst den Herren machen, mag nicht länger Diener sein.»
Mozart bietet Orientierung in eine Richtung, die jenen Herrschaften allerdings gegen den Strich geht, die den Meister heute nur deshalb lauthals umjubeln, weil sein Name ihr Geschäft oder Ansehen zu heben verspricht. «Nur gewaltsam, oder gelegentlich, wird man bei Mozart, in dessen Musik so deutlich der Einstand zwischen spätem aufgeklärten Absolutismus und Bürgerlichkeit — Goethe tief verwandt — widerhallt, antagonistische Momente musikalisch identifizieren können. Vielmehr ist gesellschaftlich bei ihm die Gewalt, mit der seine Musik in sich selbst zurückgeht.»

Mozarts Utopie

Mozart lebte und gestaltete seine Utopie vom besseren, vom menschlicheren Leben. Er war aber kein Romantiker, sondern ein wahrhafter Künstler, der den Menschen mit den Mitteln seiner Kunst das eigene entfremdete Leben ins Selbstbewusstsein zauberte, um eine Katharsis der eigenen Seele zu ermöglichen. Wem beim Hören und Sehen der Zauberflöte die Tränen rollen, der ist deutlich sichtbar im Begriff, seine Seele zu reinigen. Mit kitschiger Sentimentalität, wie sie manch zarte Seele bei Pilcherfilmen überkommt, haben Zauberflötentränen nichts gemeinsam. Ob diese Tränenkur im Alltag allerdings zu der Erkenntnis und Lebensumstellung führen wird, ist natürlich eine Frage des Bewusstseins, das sich an den konkreten Klassenverhältnissen einer Gesellschaft orientieren muss.
Was in der Zauberflöte noch auf die der Freimaurer beschränkt blieb, sollte allgemein gelebtes Leben der Menschen werden, so jedenfalls stand Mozart der Sinn. Dass die Zauberflöte auch die Herzen der modernen Menschen bewegt, macht die Sehnsucht deutlich, mit der wir noch immer versuchen unser Leben nach gattungsmäßigen, also nach menschheitlichen Gesichtspunkten zu ordnen. Wir wollen nicht Rädchen in einem objektivierten Marktmechanismus sein, der allein Kapitalinteressen folgt, sondern wollen als Menschen zu Subjekten wachsen, die die abstrakten Kategorien der Ökonomie bewusst und demokratisch prägen.
Diese Mozarts gefällt allerdings den Marketingexperten nicht. Die vielen Entfremdungen in unserem Leben bewusst zu machen und zu fühlen, ist deren Sache nicht, leben sie doch gerade von diesen unseren Entfremdungen. Doch warum sollten wir eigentlich nicht der Botschaft des Sarastros in der Zauberflöte folgen wollen, in dessen Arie es heißt: «In diesen heil‘gen Hallen kennt man die Rache nicht, und ist ein Mensch gefallen, führt Liebe hin zur Pflicht. Dann wandelt er an Freundes Hand vergnügt und froh ins bessre Land. In diesen heil‘gen Mauern, wo Mensch den Menschen liebt, kann kein Verräter lauern, weil man dem Feind vergibt. Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht, ein Mensch zu sein.»
Sicher ist der Weg in dieses noch ein langer und dornenreicher, aber er klingt mit Mozarts Noten nicht nur schön, er ist auch möglich!

Jürgen Meier

V.Braunbehrens/K.-H.Jürgens: Mozart-Lebensbilder, Bergisch-Gladbach: Lübbe, 2005, 223 S., 24,90 Euro; P.Barz: Mozart, München: dtv, 2005, 239 S., 14 Euro; W.Hildesheimer: Mozart, Frankfurt: Insel, 2005, 430 S., 10 Euro; P.Melograni: Wolfgang Amadeus Mozart, Berlin: Siedler, 2005, 352 S., 22 Euro; M.Geck: Mozart, Reinbek: Rowohlt, 2005, 480 S., 24,90 Euro

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