SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 20

Mord und Todschlag

David Lawrence: Der Kreis der Toten, München: Knaur, 2005, 537 S., 8,95 Euro.

Notting Hill ist heutzutage ein hübsches Fleckchen in der britischen Hauptstadt, bei schönem Wetter ist angenehm zu flanieren, in den Antiquitätenläden und aufgemotzten Boutiquen kann man viel Geld loswerden, in den Straßencafés teuren Cappuccino schlürfen. Bei Einbruch der Nacht wird‘s ein wenig ruppiger — aber das ist noch gar nichts gegen die angrenzenden Gegenden. Je weiter man nach Londons Norden kommt, etwa zum Harefield Estate, desto entwickelter sind die Strukturen einer Parallelgesellschaft, in der Autodiebstahl, Drogen- und Waffenhandel und Prostitution die Wirtschafts- und Sozialbeziehungen prägen.
In diesem Viertel ist Detective Stella Mooney aufgewachsen. Aber hier mittels eines Studiums raus zu kommen, hat für sie nicht bedeutet, dem alltäglichen Horror zu entkommen. In Der Kreis der Toten wird sie und ihr Ermittlungsteam an einen Tatort geschickt, wo vier Tode gemeinsam an einem Tisch sitzen. Was nach einem religiös motivierten Suizid älterer Menschen aussieht, entpuppt sich bei einem der Toten als Mord in Stil einer Hinrichtung. Das Team führt Untersuchungen in unterschiedliche Richtungen, die Recherche der Internetverkaufsaktionen des Ermordeten mit Verbrechensdevotionalien führen nicht richtig weiter. Während Korruption von Kollegen durch Verkehrsunfälle oder vergeigte Festnahmen zufällig aufgedeckt werden, verdeckte Ermittler enttarnt werden und Polizeispitzel ihres Lebens nicht mehr sicher sind, spitzt sich die persönliche Krise von Stella Mooney immer weiter zu: Traumatisiert durch eine fehlerhafte Entscheidung und immer häufiger in körperlichen Auseinandersetzungen mit brutalen Typen bedroht, geschlagen und entführt, entgleitet ihr langsam ihr Leben. Und dann wird sie noch konfrontiert mit dem Elend von Frauen aus Osteuropa, die von dem familienseligen Gangsterclan Tanner in Zwangsprostitution gehalten werden und die sich nichts mehr wünschen als einen sauberen Pass, um der Tyrannei der Zuhälter und Kunden zu entkommen.
David Lawrence Roman erzählt die düstere Geschichte so packend und energisch, wie dies bislang nur James Ellroy gelungen ist. Dass die Gangster im Gefängnis landen werden und der Killer von seinem ehemaligen Opfer gestellt wird, erzeugt keine Erleichterung: Es sind nur Arbeitsplätze freigeworden.

Udo Bonn

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