SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 22

Nachruf

Harry Magdoff (1913—2006)

Am 1.Januar 2006 ist Harry Magdoff gestorben. Über Jahrzehnte war er Mitherausgeber der sozialistischen Zeitschrift Monthly Review und einer der maßgebenden Imperialismustheoretiker der englischsprachigen Linken.
Geprägt wurde Magdoff, 1913 in der New Yorker Bronx geboren, durch das Massenelend der Großen Depression, aber auch durch die Klassenkämpfe jener Zeit, die schließlich zur gesetzlichen Anerkennung der Gewerkschaften sowie der Einführung sozialer Sicherungssysteme in Roosevelts New Deal geführt haben. Als sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Kalten Krieger gegen den fortschrittlichen Flügel in der New-Deal- Koalition durchsetzten, verlor Magdoff seine Posten in der öffentlichen Verwaltung und sah sich statt dessen antikommunistischer Anfeindungen ausgesetzt. Danach verdiente er seinen Lebensunterhalt als Wall- Street-Analyst, Verleger und löste 1969 den kurz zuvor verstorbenen Mitbegründer und -herausgeber von Monthly Review, Leo Huberman, ab.
Bekannt wurde Magdoff mit seinem 1969 (und 1970 auf deutsch) veröffentlichten und weit verbreiteten Buch Das Zeitalter des Imperialismus. Die darin entworfene Theorie, die im Laufe der folgenden Jahre in vielen Aufsätzen und Büchern vertieft wurde, versteht Imperialismus als Spaltung der kapitalistischen Weltwirtschaft in Metropolen und Peripherien.
Bei der Durchsetzung dieser hierarchisch strukturierten Weltwirtschaft spielt der Kolonialismus als gewaltsamer Türöffner kapitalistischer Produktionsverhältnisse eine wichtige Rolle, der aber für den Fortbestand des Imperialismus nicht entscheidend ist. Nachdem die Spaltung in Metropolen und Peripherien von den europäischen Kolonialmächten durchgesetzt war, konnte sich schließlich ein «Imperialismus ohne Kolonien» unter Führung der USA etablieren.
Entscheidend für die Führungsrolle der USA war eine Reihe von Basisinnovationen am Ende des 19.Jahrhunderts, die in den entstehenden Großkonzernen wirkungsvoll angewendet wurden. Diese später als Fordismus bezeichnete Betriebsweise führte zu außerordentlich raschem Wachstum und wurde schließlich zum weltweiten Vorbild effizienten Wirtschaftens.
Magdoff betonte allerdings auch, dass die Wachstumspotenziale dieser Betriebsweise ohne staatliche Intervention nicht hätten ausgeschöpft werden können, sondern zu Stagnation geführt hätten. Unter diesen Bedingungen bot der Kalte Krieg eine ausgezeichnete Gelegenheit, mit Hilfe einer permanenten Kriegsökonomie Nachfrage und Beschäftigung zu stabilisieren und gleichzeitig politische Opposition sowie soziale Forderungen mit dem Verweis auf die notwendige Verteidigung der freien Welt gegen den Kommunismus im Zaum zu halten.
Magdoff hat stets auf die politischen und wirtschaftlichen Grenzen des US-Imperialismus hingewiesen. Erstere sah er im Zusammenspiel von Bürgerrechtsbewegung in den USA sowie Befreiungsbewegungen in der Peripherie, letztere in den nachlassenden Wachstumsimpulsen des Militärkeynesianismus und der gleichzeitig explosionsartig anwachsenden Verschuldung von Staat, Unternehmen und privaten Haushalten.
Während seine Hoffnung, antiimperialistische Bewegungen mögen innerhalb der USA einen sozialistischen Flächenbrand auslösen, spätestens in den frühen 80er Jahren enttäuscht wurden, haben sich seine Analysen globaler Schuldenakkumulation sowie hieraus resultierender Instabilität und damit begründeter Militärintervention als leider allzu richtig erwiesen.
In der (west)deutschen Linken fanden Magdoffs Arbeiten vergleichsweise wenig Widerhall. In den 70ern ließen sie sich nicht bruchlos in parteikommunistische Orientierungen an Moskau oder Peking einbinden und genügten andererseits nicht den werttheoretischen Ansprüchen der wesentlich akademisch geführten Weltmarktdebatte.
In den 80er Jahren ließ die Suche nach postfordistischen Auswegen aus der kapitalistischen Krise Magdoffs Beharren auf der Stagnationstendenz des Kapitals unattraktiv erscheinen und in den 90ern stand seine Betonung der imperialistischen Verflechtung von Wirtschaft und Politik quer zur linken Globalisierungsdebatte.
Nachdem die globalisierungskritische Bewegung, die sich lange einseitig auf vermeintlich entpolitisierte Märkte konzentriert hat, ihre erste Mobilisierungsphase hinter sich gelassen und in eine Phase der Neuorientierung eingetreten ist, bestehen allerdings Chancen, dass Magdoffs theoretisches Erbe aufgegriffen und weiterentwickelt wird.

Ingo Schmidt


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