SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2006, Seite 24

Jackson Pollock und der

abstrakte Expressionismus

Der Name Jackson Pollock ruft bei verschiedenen Leuten unterschiedliche Assoziationen ab: Genie, Trinker, Erneuerer, Frauenfeind, Sozialist, CIA. In allem liegt ein Element der Wahrheit, wenngleich diese wie gewöhnlich weitaus komplizierter ist.

Jackson Pollock wurde 1912 in Cody in Wyoming (USA) als einer von fünf Brüdern geboren, von denen zwei politisch aktiv waren — einer trat der KP bei —, während Jackson und sein Bruder Charles Maler wurden.
Die Hinführung zu linker Politik kam durch seinen Vater. Seine Eltern waren irisch-schottischer Abstammung, und sein Vater war Anhänger von Eugene V. Debs, dem Präsidentschaftskandidaten der Sozialistischen Partei, sowie ein Mitglied der syndikalistischen Gewerkschaftsbewegung der Industrial Workers of the World (IWW).
Auch war er, nachdem er 1930 nach New York gezogen war, wo er zusammen mit dem regionalistischen Maler Benton studierte, von den mexikanischen Wandmalern Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros sehr beeindruckt. Siqueiros half er 1936 einen Umzugswagen für den 1.Mai vorzubereiten.
Politisch war dies für die Linke in New York und anderswo eine wichtige Phase. Stalin hatte den Kampf um die Kontrolle über die Sowjetunion gewonnen und Trotzki kämpfte ein Nachhutgefecht und tat sein Bestes, um die politischen Köpfe und Herzen der Linken zu gewinnen. Auch die Welt der Kunst war ein Schlachtfeld in diesem Krieg. Siqueiros bspw. war ein loyaler Stalinist und an einem Mordanschlag auf Trotzki beteiligt, während viele andere Künstler zu Trotzki hielten. Dies geschah jedoch mehr als Reaktion auf das von Stalin und seinen Kohorten ausgehende Diktat des «sozialistischen Realismus». Zu diesem politischen Durcheinander stießen Künstler, die aus dem faschistischen Europa geflüchtet waren und zahlreiche neue und aufregende künstlerische Entwicklungen mitbrachten. Darunter waren viele Surrealisten und Vertreter der abstrakten Kunst, von denen sich Pollock inspirieren ließ.
Für Pollock waren die 30er und 40er Jahre in vieler Hinsicht zentrale Jahrzehnte. Seine Trunksucht wurde für ihn zu einem realen Problem, das ihn sein restliches Leben lang quälen sollte und zu häufigen Klinikaufenthalten und schließlich zu seinem Tod führte. Zweitens verschaffte ihm Roosevelts Federal Art Project die Gelegenheit zu malen, wodurch ncht nur sein Lebensunterhalt gesichert, sondern auch seine künstlerische Entwicklung gefördert wurde. Und drittens lernte er seine Ehefrau Lee Krasner kennen, eine Künstlerin und nach Auffassung einiger eine Trotzkistin. Für Pollocks künstlerische Entwicklung war letzteres das wichtigste Ereignis, das jedoch für Krasner sowohl emotional wie künstlerisch mit großen Opfern verbunden war.

Amerikanische Kunstform?

Pollocks Stil hatte sich entlang der Linie der Abstraktion entwickelt, zusammen mit Künstlern wie Willem De Kooning, Franz Kline und Mark Rothko. Die Abstraktion ist eine nichtdarstellende Kunst, bei der Form, Linie und Farbe das Gemälde auf ähnliche Weise definieren wie musikalische Noten eine Sinfonie. Durch seine Frau traf Pollock seine künftige Wohltäterin, die von abstrakter Kunst begeisterte Peggy Guggenheim. Guggenheim, eine der reichsten Frauen der Welt, förderte die abstrakte Kunst, die zu dieser Zeit nicht besonders bekannt oder beliebt war. Sie verschaffte Pollock Aufträge und ein Jahresstipendium sowie eine Ausstellung. Somit konnte er sich ohne Geldsorgen ganz dem Malen widmen. Er zog von New York nach Long Island, wo Pollock vom Stress des Stadtlebens befreit schien, und eine Zeit lang gab er das Trinken auf.
In Long Island wandelte sich Pollock vom abstrakten Künstler zum abstrakten Expressionisten, wenngleich dies schon in New York mit Guggenheims Auftrag begonnen hatte. Der abstrakte Expressionismus wurde als wahrhaft amerikanische Kunstform beschrieben, doch wie die meisten Kunstformen entstand er nicht aus heiterem Himmel, noch kamen seine Vorläufer aus Amerika. Die abstrakte Kunst hatte ihren Ursprung in den Gemälden des Russen Kandinsky, der sie zusammen mit anderen europäischen und US-Künstlern entwickelt hatte. Die Ursprünge des Expressionismus liegen in der Kunst Deutschlands und des nördlichen Europa im späten 18. und 19.Jahrhundert. Der Expressionismus versucht die Emotionen und Gefühle des Künstlers in das Gemälde zu integrieren. Ein Beispiel für Expressionismus ist das berühmte Gemälde «Der Schrei» von Edvard Munch (1893).
Die New Yorker Künstler brachten diese beiden Stile zusammen und produzierten einen nichtdarstellenden Expressionismus, dessen berühmtester Vertreter Jackson Pollock werden sollte. Dessen Stil wird wegen der von ihm entwickelten Technik manchmal auch Action Painting genannt. Er befestigte die Leinwand auf dem Fußboden, sodass er leicht um sie herumgehen konnte. So konnte er die Farbe direkt auf die Leinwand tropfen oder spritzen, wobei er den Pinsel benutzte, um Muster zu erschaffen. Manchmal bedeckte er Teile des Bildes mit festen Farbschichten, dann wieder benutzte er Stöcke zum Malen oder verwendete Sand oder andere Materialien. Viele sahen darin nur ein Chaos: jeder sei in der Lage, Farbe auf eine Leinwand zu spritzen und dies ein Gemälde zu nennen. Für Pollock war dies jedoch ein bewusster Prozess, die Farbe landete auf dem gewünschten Platz. Gewissermaßen war dies das, was die Surrealisten mit dem Automatismus zu erreichen suchten: die Produktion einer Kunst direkt aus dem Unbewussten.

Kalter Krieg

Auf die Frage, warum er auf diese Weise malte, antwortete Pollock: «Der moderne Maler kann dieses Zeitalter, das Flugzeug, die Atombombe, das Radio nicht in den Formen der Renaissance oder einer anderen Kultur der Vergangenheit ausdrücken. Jedes Zeitalter findet seine eigene Technik.» Dies ist eine wichtige Aussage, denn der abstrakte Expressionismus ist als unpolitisch beschrieben worden, weshalb ihn die CIA auch als Waffe im Kalten Krieg benutzte. In ihrem Buch Who paid the Piper. The CIA and the Cultural Cold War enthüllte Frances Stoner Saunders, dass die CIA Pollocks Kunst und die anderer Künstler subventionierte, um das Zentrum der Kunstwelt in die USA zu verschieben. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Pollock oder viele andere eine Vorstellung von dem hatten, was da geschah.
Die CIA benutzte eine Frontorganisation, den Congress for Cultural Freedom, die zusammen mit der Rockefeller und der Ford Foundation die ihrer Meinung nach kulturelle Dominanz der Linken bekämpfen sollten. Stalin benutzte den «sozialistischen Realismus», um die Tugenden des «Sozialismus» darzulegen, und Paris beherbergte linke Intellektuelle wie Sartre oder Picasso. Die CIA sah im abstrakten Expressionismus das perfekte Werkzeug, um das künstlerische Kräftezentrum zu verschieben. Der abstrakte Expressionismus drückte für die CIA Freiheit und Individualismus aus und wies keinerlei offenen politischen Kontext auf.
Natürlich war dies nicht das erste Mal, dass finanzielle oder politische Interessen die Kunst dazu benutzten, ihre Ideale zu fördern, wenngleich dies gewöhnlich nicht heimlich geschehen ist. Die Medici in der Renaissance, die katholische Kirche während der Gegenreformation, die Satchi mit der britischen Kunst — in der einen oder anderen Weise waren sie alle erfolgreich. Deshalb stellt sich die Frage, ob Pollock ohne diese Unterstützung so erfolgreich gewesen wäre. In einem gewissen Maße haben Künstler stets eine Art Mäzen benötigt, damit ihr Werk die entsprechende Aufmerksamkeit erhält, sogar ein Michelangelo. Ob sie wirklich gut sind, wird vielleicht eher durch die Zeit entschieden, wenngleich dies nicht immer stimmt.
Pollock setzte seine Tätigkeit auch fort, als er wieder anfing heftig zu trinken. Die alten Dämonen verfolgten ihn wieder. Wenngleich er weiter ausstellte, wurde dem abstrakten Expressionismus sein Platz an der Sonne von neuen Kunstformen streitig gemacht. Pollock hatte nun regelmäßig Konflikte mit Lee. Dies und Pollocks Technik, bei der er über der Leinwand gebeugt mit einem phallusähnlichem Objekt Farbe auf die Leinwand spritzte, führte zu einer skeptischen Einschätzung seiner Arbeit aus feministischer Sicht.

Bürgerliche Kunst?

Die Frage, die sich viele auf der Linken stellen, lautet, ob der abstrakte Expressionismus eine selbstgefällige bürgerliche Kunst der negativsten Art ist. Oberflächlich betrachtet scheint diese Kunstform keinerlei Anhaltspunkte für eine dialektische Analyse zu liefern. Schaut man jedoch auf die historischen Zeitumstände und die Absichten und Ideen des Malers, kann man ein besseres Verständnis dieser Kunst erlangen. War Pollocks Erwähnung der Atombombe zufällig und ohne Bedeutung oder deutete sie zu Beginn des nuklearen Wettrüstens die Furcht von Pollock und anderen Künstlern vor dem an, was aus solch einem Wettrüsten resultieren kann? Die Künstler sind gegenüber ihrer Umgebung nicht immun, und was um sie herum geschieht, kommt im Allgemeinen in ihrer Kunst wieder zum Vorschein. Der abstrakte Expressionismus hat zu vielen Diskussionen über die Natur der Kunst, die Gefühle, die Gesellschaft und darüber, wie wir die Welt sehen, geführt, worüber die herrschende Klasse nicht allzu sehr begeistert ist.
Schließlich ist nichts falsch daran, Kunst aus ästhetischen Gründen zu mögen, ohne sie erst dahingehend zu Tode zu analysieren, ob sie in einen sozialistischen Rahmen hineinpasst.

Kenny McEwan

www.redflag.org.uk/frontline (Übersetzung: Hans-Günter Mull)



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