SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 9

Tarifkampf bei Ver.di

Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen

von Thomas Keuer

Von AEG Nürnberg bis Gate Gourmet in Düsseldorf, von Philips Aachen bis zur Telekom und dem öffentlichen Dienst: Es kommt was in Bewegung in diesem Land. Die Zuspitzung der sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfe hat eine gemeinsame Ursache. Sie liegt in der Politik von Kapital und Regierung, welche die Menschen zunehmend als reaktionär erkennen. Gegen diese neoliberale Politik, bei der nur noch Kosten, Profit und Renditeerhöhung zählen, formiert sich Widerstand.
Kapital und Kabinett verordnen immer wieder dieselben Rezepte. Lohnsenkung, Arbeitszeitverlängerung, Rentenkürzung und Hartz IV. Im Ergebnis hat diese Politik eine Massenarbeitslosigkeit von über fünf Millionen Menschen zu verantworten. Lohnzurückhaltung und die Senkung der Sozialausgaben bei Bund, Ländern und Gemeinden haben zu einem dramatischen Rückgang der Massenkaufkraft geführt. In dieser Situation wollen die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst ihre Haushalte durch weitere Stellenstreichungen sanieren. Dabei bedienen sie sich der Argumente der Arbeitgeberverbände, denen die Verkürzung der Arbeitszeit seit jeher ein Dorn im Auge war.
Durch den Generalangriff der öffentlichen Arbeitgeber, die Arbeitszeit von 38,5 Stunden auf 40 bis 42 Stunden erhöhen zu wollen, rückt die Arbeitszeit erneut in den Mittelpunkt gewerkschaftlichen Handelns. Dabei ist die Ausgangsbedingung für eine breite Streikbewegung im öffentlichen Dienst kompliziert. Während die Beschäftigten der Kommunen in NRW noch in der «Friedenspflicht» sind, stehen die kommunalen Beschäftigten in Baden-Württemberg schon im Streik. Das hängt damit zusammen, dass der Kommunale Arbeitgeberverband in Nordrhein-Westfalen die Arbeitszeitbestimmungen (noch) nicht gekündigt hat. Was auf den ersten Blick wie ein Nachteil aussieht, führt jedoch gleichzeitig zu einer Streiktaktik, die flexibel und erfolgreich ist.
Seit dem Jahre 2001 nicht mehr in der Friedenpflicht sind hingegen die sechs Universitätskliniken in NRW. Das Land NRW gliederte sie aus und flüchtete aus dem Tarifvertrag. Was lange gärt, wird endlich Wut: alle sechs Universitätskliniken in NRW sind seit dem 13.Februar im Streik. Das Urabstimmungsergebnis war eindeutig. Die Streikbeteiligung nimmt täglich zu und die Gewerkschaft Ver.di verzeichnet Masseneintritte. «Zum Verzichten brauche ich keine Gewerkschaft» war in den letzten Jahren des öfteren zu hören — zum Kämpfen aber eben doch.
Nein, der derzeitige Arbeitskampf im öffentlichen Dienst ist keines der in der Vergangenheit üblichen Tarifrituale. Es geht auch nicht, wie von den in solchen Fällen weitgehend gleichgeschalteten Medien behauptet, um 18 Minuten am Tag. Zigtausend Arbeitsplätze stehen durch die unbezahlte Mehrarbeit auf dem Spiel. Allein in den Kommunen sind es fast 20000 Stellen. Und es geht auch um die Macht im Staat. Können Politiker und Unternehmer selbstherrlich und ungestraft ein Tarifdiktat verordnen? Oder können die Gewerkschaften Gegenmacht entwickeln?
Die Arbeitgeber und ihre Verbündeten führen die Auseinandersetzung mit harten Bandagen. Nicht nur Bild hetzt: «Was soll der Müll, Herr Bsirske?», und lässt Arbeitslose erklären, sie würden nur allzu gerne 15 Stunden am Tag arbeiten. Doch damit nicht genug. Öffentliche Arbeitgeber nutzen alle legalen und illegalen Möglichkeiten, um die Streiks zu sabotieren. So werden ABMler, Leiharbeiter und selbst 1-Euro- Kräfte zum Streikbruch mobilisiert. Im niedersächsischen Osnabrück prügelten Polizisten dem mit Streikbrechern besetzten Müllwagen den Weg frei.
Deshalb wird der Kampf im öffentlichen Dienst nicht nur gegen Arbeitszeitverlängerung und gegen Lohn und Sozialabbau geführt. Es geht auch um die Selbstachtung der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Dabei muss es zu einer weiteren Politisierung der Gewerkschaften kommen. Ob Rente mit 67 oder Hartz lV und die Willkür der Arbeitsagenturen: Die sozialen und politischen Kämpfe müssen zusammengeführt und gebündelt werden. Deshalb brauchen wir ein DGB-Aktionsprogramm des Widerstandes, um den Akteuren in den Parlamenten und Nebenparlamenten deutlich zu machen, dass wir eine Wirtschaftsordnung wollen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.

Thomas Keuer ist aktiver Gewerkschafter von Ver.di in NRW



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