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Der bedeutende Sieg von Hamas bei den unzweifelhaft demokratischen Wahlen in
den besetzten palästinensischen Gebieten ist ein Resultat vieler Faktoren. Vor allem ist es ein
großer Sieg für die Politik von Ariel Sharon.
Die Zerstörung der PLO ist viele Jahrzehnte hindurch strategisches Ziel früherer
israelischer Ministerpräsidenten gewesen; schon die blutigen Abenteuer Sharons im Libanon 1982 waren
Teil der Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen. Doch die Invasion des Libanon scheiterte, trotz der
israelischen Militärmacht und ihrer erbarmunglosen Brutalität, wie sie beispielhaft bei den
Massakern von Shabra und Shatila zum Ausdruck kam.
Als Ariel Sharon 2001 erneut an der Macht
war, war er entschlossen dort weiterzumachen, wo er zwei Jahrzehnte zuvor gescheitert war. Unter dem
Vorwand eines permanenten und präventiven Krieges gegen den Terrorismus entfesselte Sharon eine
blutige Offensive gegen die Führer, Aktivisten und Institutionen der palästinensischen nationalen
Bewegung. Sein Ziel war die Zerstörung der Bewegung, wohl wissend, dass im Erfolgsfall diese Strategie
den Aufstieg einer alternativen Führung nach sich ziehen würde. Dass «Israel keinen
palästinensischen Partner hat» war nicht der Grund für die große militärische
Offensive und die israelische Politik der Zerstörung der besetzten Gebiete, sondern ihr Ziel: Für
den früheren israelischen Ministerpräsidenten war dieser Unilateralismus die einzige Form, die
zionistischen Ziele zu verfolgen, Verhandlungen begriff er als Hindernis, das eine lange Serie von
Kompromissen erzwingen könnte. Aus seiner Sicht war es notwendig, jedweden potenziellen Partner
für zukünftige Verhandlungen zu zerstören.
Nach der Neutralisierung von Yasser Arafat
destabilisierte die israelische Regierung den «moderaten» Abu Mazen und setzte den Prozess der
Zerstörung sowohl der palästinensischen Infrastruktur als auch der palästinensischen
territorialen Integrität fort. Chaos und oftmals terroristische Angriffe waren das zu erwartende
Ergebnis dieser Politik, die allein den Zweck verfolgte zu demonstrieren, dass es nach wie vor keinen
palästinensischen Partner gebe.
Israel warnte die palästinensische
Führung absichtlich davor, auf politischer oder ökonomischer Ebene ihrer Bevölkerung
irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Die damit erhoffte und vorausgesehene sinkende
Unterstützung der Massen für die Fatah-Führung stärkte die islamische Opposition.
Tatsächlich wird Hamas von der palästinensischen Bevölkerung nicht nur als kompetenter
wahrgenommen, sie wird auch nicht mit dem Scheitern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)
in Verbindung gebracht. Die Wahl von Hamas war mehr eine Protestwahl denn eine ideologische Entscheidung.
Es war eine Form zu sagen: «Ihr seid gescheitert, wir haben kein Vertrauen mehr in euch und wir wollen
etwas Neues anfangen.»
Ariel Sharon wünschte einen Sieg von
Hamas, um auf überzeugendere Weise sagen zu können: «Wir haben keinen Partner für den
Frieden.» Die Wahlresultate werden Israel erlauben, seinen Weg der Kolonisierung fortzusetzen,
einschließlich einiger taktischer militärischer Rückzüge und des Abbaus einiger
isolierter, nicht haltbarer Siedlungen.
Eine Zeit lang kann diese Politik
erfolgreich sein, die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und der Medien entspricht den Plänen
der israelischen Regierung. Mit anderen Worten, das palästinensische Volk wird kurzfristig schwierigen
Zeiten entgegensehen. Doch wie lange können die Dinge sich noch weiter verschlechtern? Wird Israel den
Friedensprozess stoppen? Es hat keinen Friedensprozess gegeben. Wird Israel zur Politik der selektiven
Morde zurückkehren? Sie ist nie aufgegeben worden. Wird Israel mehr Häuser zerstören und
mehr Bäume ausreißen? Es ist fast unmöglich, Schlimmeres zu tun als Israel in den letzten
fünf Jahren getan hat. Wird Israel weiter Aktivisten einsperren? Diese Politik wurde nie gestoppt.
Wird die internationale Gemeinschaft ihre Wirtschaftshilfe einstellen? Sie wurde bereits auf ein Minimum
reduziert.
Jedenfalls wird der israelische Erfolg
vielleicht nicht allzu lange dauern. Angesichts der Tatsache, dass Hamas vor den Augen Hunderter
internationaler Beobachter demokratisch gewählt wurde, wird die Führung von Hamas eine gewisse
internationale Legitimität genießen. Tatsache ist, dass sie nicht verantwortlich ist für die
vorangegangenen Kompromisse der PLO (den Prozess von Oslo), was sie besser in die Lage versetzt, nicht zu
viele Erwartungen der Massen zu nähren. Die Möglichkeit einer wirklichen Regierung der nationalen
Einheit ist jetzt sehr real und wird diesmal von der internationalen Gemeinschaft als ein Zeichen der
Mäßigung wahrgenommen. In der vorangegangenen Phase wurde dieselbe Orientierung als Wende der PA
zu radikaleren Positionen wahrgenommen.
Im Unterschied zu dem rassistischen Bild,
das die lokalen und internationalen Medien verbreitet haben, ist Hamas keine fanatische und irrationale
Organisation. Sie hat eine intelligente politische Führung, die dem erfolgreichen Beispiel der
Hezbollah im Libanon folgen wird. Es ist auch möglich, dass Hamas sich in die PLO integriert und ihre
Autorität akzeptiert.
Vielleicht ist es nicht zu optimistisch zu
sagen, dass der Sieg von Hamas das zustande bringen kann, was Israel sabotieren wollte: die Herstellung
einer palästinensischen nationalen Einheit für den Kampf gegen die Besatzung und für den
Aufbau einer Gesellschaft, die der israelische Befriedungskrieg systematisch zersetzt hat. Vielleicht
gelingt es, neue Hoffnungen und mehr Zuversicht zu wecken.
«Wir werden mit Hamas nicht
verhandeln.» «Wir werden Hamas nur auf dem Schlachtfeld entgegentreten.» Das sind Losungen
aus den 80er Jahren, nur dass sie sich damals gegen die PLO richteten. Wir wissen, dass die israelische
Regierung damals gezwungen war, ihre Politik radikal zu ändern, zumindest zwei Jahre lang. Es gibt
schon Anzeichen dafür, dass die US-Regierung von ihrer Politik des totalen Krieges gegen die
islamischen Organisationen Abstand nimmt und versucht, neue Verbündete unter ihnen zu finden.
Offensichtlich haben die USA angefangen, mit diesen Organisationen im Irak zusammenzuarbeiten, und sie
haben halboffizielle Kontakte zu den Moslembrüdern in Ägypten aufgenommen. Früher oder
später wird die internationale Gemeinschaft Israel zwingen, mit Hamas zu verhandeln, wie sie es vor 15
Jahren gegenüber der PLO getan hat.
In Bezug auf die palästinensische
Gesellschaft stellt der Sieg von Hamas eine doppelte Herausforderung dar. In erster Linie werden die
Palästinenser intern darum kämpfen müssen, die sozialen und zivilen Errungenschaften zu
verteidigen, die Hamas angreifen kann. Die internationale Gemeinschaft beunruhigen diese Angriffe auf die
sozialen und demokratischen Rechte mit Sicherheit nicht, aber für das palästinensische Volk sind
sie ein erstrangiges Thema. Die zweite Herausforderung besteht darin, eine laizistische nationale Bewegung
wieder aufzubauen und der PLO ihre Macht und Führungsrolle wieder zurückzugeben.
Wenn diese beiden Herausforderungen
erfolgreich bestanden werden, könnte der letzte Sieg Ariel Sharons dem in Libanon ähneln, also
ein Pyrrhussieg sein.
Michel Warschawski, Jerusalem
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