SoZ - Sozialistische Zeitung |
Im Zeitalter der vermeintlich kommunikativen Vernunft kommen in den
öffentlichen Räumen, sprich: den Kanälen des Privatfernsehens, allerlei Menschen zusammen
und diskutieren, bevorzugt in der Mittags- und Nachmittagszeit, die großen Probleme unserer Zeit.
«Meine Mutter ist mit meinem Freund durchgebrannt», eröffnet die eine, «alle Glatzen
sind asozial», der andere. Sie stehen um den Stehtisch herum oder sitzen zusammen auf der langen
Couch, zumeist in gespielter Lässigkeit und gelegentlich auch ganz verbissen. Sie diskutieren das
Für und Wider der homöopathischen Heilkunde, von Tätowierungen oder bestimmten
Sexualpraktiken, debattieren, ob der Hund der beste Freund des Menschen ist oder der Papagei. Sie
offenbaren ihren Missmut über Beziehungen zwischen alten Männern und jungen Frauen oder
umgekehrt. Jede(r) hat etwas beizutragen und auch das Publikum wird immer wieder ganz fachmännisch in
die Debatte einbezogen.
Im diskursiven Ping-Pong der
Meinungsfreiheit kann hier jede(r) mitmachen, wenn er oder sie sich dem dichotomischen Entweder-Oder
zugesellt und Freude oder Unmut über den einen oder anderen Antipoden kundtut. Verdächtig ist,
wer standpunktlos erscheint, wer in seiner Meinung schwankt oder sich gar anderen Meinungen gegenüber
offen zeigt. Hier geht es nämlich nicht um Lernprozesse, sondern um Glaubensfragen. Und je
provokativer, desto näher am Eklat. Und je näher am Eklat, desto höher die
Wahrscheinlichkeit, in die Wiederholungsschleifen des Spätabendprogramms aufgenommen zu werden.
In den ersten Tagen und Wochen des
«Karikaturenstreits» musste man sich an diese Talkshows erinnert fühlen. Bist du für
die Meinungs- und Pressefreiheit? Oder bist du für die Toleranz gegenüber Muslimen? Bist du
für das Recht auf Religionskritik? Oder bist du für das Verbot solcher Karikaturen? Druckst du
sie nach oder lehnst du dies prinzipiell ab? Entweder-Oder. Doch nach den Demonstrationen und klirrenden
Scheiben kamen die brennenden Fahnen und Botschaften, und nun haben wir bereits Dutzende Tote zu beklagen.
Das Spiel der Diskurse ist auf dem harten Boden gesellschaftlicher Realitäten gelandet. Doch noch
immer hat der Karikaturenstreit die Logik seiner kommunikativen Unvernunft nicht abgestreift.
Die Pressefreiheit ist in der Tat ein
prinzipielles Gut, auch wenn man von einer wirklichen Freiheit der Presse in den spätkapitalistischen
Ländern kaum reden kann. Religionskritik muss erlaubt sein ja. Aber die umstrittenen Cartoons
stehen eben nicht im Kontext einer aufklärerischen Religionskritik. Religiöse Gefühle
schön und gut, aber nur weil sich die einen kein Bildnis Gottes oder des Propheten machen dürfen
oder wollen, können sie dasselbe den anderen nicht einfach abfordern. Über Geschmack kann man
bekanntlich streiten, doch mit den Mohammed-Karikaturen sollen die Muslime kollektiv stigmatisiert werden.
Aber ist das Problem wirklich die Karikatur oder nicht vielmehr der gesellschaftliche Sumpf, dem sie
entwachsen ist? Darf man deswegen den Boten schlagen, der die Nachricht überbringt, dass etwas faul
ist im Staate Dänemark?
Ja, die Protestwelle der Beleidigten ist zu
einem gehörigen Maß gesteuert und instrumentalisiert. Aber dass sie möglich wurde, hat eben
etwas mit jahrelang, jahrzehntelang aufgestautem Unmut zu tun. Das wiederum kann die Formen der
Auseinandersetzung kaum rechtfertigen. In ihrem Kampf um Anerkennung bedienen sich diejenigen, die
ausgeschlossen sind, nicht selten Formen, «die für eine liberale Kultiviertheit degoutant
sind», schreibt Terry Eagleton in einem seiner gewichtigen Beiträge zu den zeitgenössischen
Kulturk(r)ämpfen: «Daraus folgt, dass der Ausschluss dieser Gruppen desto gerechtfertigter
erscheint, je lautstärker sie gegen ihren Ausschluss protestieren. Man sollte aber im Kopf behalten,
dass es andere, weniger bewunderungswürdige Aspekte liberaler Kultiviertheit waren, die ihnen diese
Militanz zuallererst aufgezwungen haben. Kulturen, die um Anerkennung kämpfen, können es sich in
der Regel nicht leisten, differenziert oder selbstironisch zu sein, und für diesen Mangel muss man
diejenigen verantwortlich machen, die sie unterdrücken.» Und doch, so Eagleton (Was ist Kultur?,
München 2001), bleiben Differenziertheit und Selbstironie zu pflegende Vorzüge, denn es
«kann keine politische Emanzipation für unsere Zeit geben, die nicht auf irgendeiner Ebene der
Aufklärung verpflichtet ist».
Man kommt aus der diskursiven Falle des
Karikaturenstreits nicht heraus, wenn man nicht das thematisiert, was diesen Streit gleichsam
überdeterminiert und mit religiösen Gefühlen ebenso wenig zu tun hat wie mit Pressefreiheit.
Es geht um jenen «Krieg gegen den Terror», der mit den aktiven Kriegsvorbereitungen gegen den
Iran auf eine neue Stufe gehoben wurde. Hier ist der sachliche und zeitliche Knoten, der dem so schwelend
daher gekommenen Karikaturenstreit seine Form und Dynamik gegeben hat.
Die einen mobilisieren gegen diese konkrete
Gefahr mit jenem Mittel, das es ihnen erlaubt, ihre eigene Herrschaft zu retten und zu stabilisieren. Das
lässt sich verstehen. Akzeptieren lässt es sich allerdings ebensowenig, wie die begonnenen und
frisch in Planung befindlichen Kriege «des Westens», oder den Versuch, den geplanten Krieg gerade
mit dieser jüngsten Entwicklung zu rechtfertigen: «Die Welt sollte sie [Iran und Syrien]
dafür zur Verantwortung ziehen», poltert US-Außenministerin Condoleezza Rice.
Ja, wir haben es mit jenem Zusammenprall
der Kulturen zu tun, von dem Huntington und andere gesprochen haben. Doch folgt daraus noch lange nicht,
dass man sich für eine der beiden Seiten entscheiden, gar schlagen müsse: «Der entscheidende
Unterschied ist nicht der zwischen verschiedenen Arten von Kultur, sondern zwischen verschiedenen Graden
von Bewusstsein» (Eagleton).
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