SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Proteste gegen die Dienstleistungsrichtlinie waren massiv:
Gewerkschaften, Globalisierungskritiker und Verbraucherschützer haben in vielen europäischen
Ländern gegen das Vorhaben demonstriert. Sie befürchten Nachteile für Verbraucher, Sozial-
und Lohndumping. Besonders scharf wurde das «Herkunftslandprinzip» kritisiert.
Es bedeutet, dass der Erbringer einer
Dienstleistung den Rechtsvorschriften eines Landes unterliegt, in dem er niedergelassen ist, und nicht den
Rechtsvorschriften des Landes, in dem er seine Dienstleistungen erbringt. «Das Wort
Herkunftslandprinzip ist im gesamten Text zu streichen», empfahl der EP-Binnenmarktausschuss
angesichts der Proteste. Jetzt ist vom «freien Dienstleistungsverkehr» die Rede. «Zwar wird
jetzt nicht mehr pauschal festgelegt, dass grenzüberschreitende Unternehmen nur noch den Gesetzen des
Landes unterliegen, in dem sie tätig sind», schreibt Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der
Linkspartei im Bundestag, «aber den Mitgliedsstaaten werden gravierende Einschränkungen bei der
Anwendung der eigenen Gesetze auferlegt.»
Die Auffassung, dass es sich beim «Freien Dienstleistungsverkehr» in erster Linie um
sprachliche Kosmetik handelt, teilen mit der Linkspartei auch die deutsche Verbraucherzentrale und das
globalisierungskritische Netzwerk Attac.
Sogar der konservative
Verhandlungsführer im EU-Parlament, der Brite Malcolm Harbour, sprach nach der Abstimmung davon, dass
«das Herkunftslandprinzip als Teil der Europäischen Verträge nach wie vor gültig
ist». Die jeweiligen Dienstleistungsunternehmen benötigen keine Zulassungen und müssen sich
nicht einmal registrieren lassen, wenn sie in einem anderen EU-Land tätig werden. Die Richtlinie soll
sie darüber hinaus vor «Diskriminierung» schützen. Die fände dann statt, wenn
inländische Bewerber für ausgeschriebene Dienstleistungen bevorzugt werden oder öffentliche
Subventionen erhalten bspw. die Mensen an Universitäten. Nur besonders sensible Branchen wie
die Gesundheitssysteme sind ausgenommen.
Es gab tumultartige Szenen im
Europaparlament, als es am 16.Februar zur Abstimmung über die Dienstleistungsrichtlinie kam. Im
letzten Moment kippte nämlich die Mehrheit der Abgeordneten die Sozialpolitik und den
Verbraucherschutz aus Artikel 16 der Richtlinie. Dieser definiert, wann Regierungen der Zielländer
gegenüber Dienstleistungsunternehmen Auflagen durchsetzen können.
Die Proteste kamen von der Fraktion der
Vereinigten Linken und den Grünen, die davon ausgegangen waren, dass Sozialpolitik und
Verbraucherschutz wie vorgesehen zu den Auflagen gehören. Doch die konservativen Abgeordneten der
großen Fraktionen im EP hatten bereits Ende der vergangenen Woche erklärt, dass sie nicht bereit
wären, Sozialpolitik und Verbraucherschutz im Artikel 16 zu akzeptieren. Damit würde
«Tür und Tor für unsinnige Vorschriften» geöffnet und die Dienstleistungsfreiheit
völlig ausgehöhlt, so der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab. In Straßburg gaben sich die
Sozialdemokraten weniger konfliktbereit als SPD-Parteichef Matthias Platzeck, der in Berlin seine
Solidarität mit den Demonstranten verkündete. Sein Parteifreund Martin Schulz, Chef der
sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, hatte bereits Einlenken signalisiert: Wegen Differenzen
im Detail dürfe nicht die ganze Richtlinie scheitern.
Sozialer Wohnungsbau, Rechtsanwälte, Steuerberatung, Gesundheitsdienste, Kinderbetreuung und
audiovisuelle Medien werden zwar nach dem jetzigen Entwurf nicht unter die Dienstleistungsrichtlinie
fallen. Aber unter Druck des freien Wettbewerbs könnten künftig auch die privaten Behinderten-
und Seniorenpflegeheime stehen, denn verbindlich ist nicht festgelegt, dass sie Teil der Gesundheitsdienste
sind. Widersprüchliche Angaben gibt es auch zu den «Diensten von allgemeinem Interesse»,
dazu gehören Gasversorgung, Nahverkehr, Müllabfuhr oder Schulen. Fallen diese Bereiche in einem
Land unter die öffentliche Daseinsvorsorge, darf der Mitgliedsstaat besondere Auflagen erteilen. Mit
der zunehmenden Privatisierung gehören diese Dienste aber in den meisten Ländern nicht mehr
ausschließlich zur öffentlichen Daseinsvorsorge.
Nicht näher definiert sind
außerdem die Dienstleistungen selbst. Karin Allewelt, Mitarbeiterin der internationalen Abteilung des
DGB, kann sich vorstellen, dass die vielen offenen Fragen über den Rechtsweg entschieden werden.
«Dann zählt vor allem, wer sich die besseren Anwälte leisten kann». Die höchste
Instanz, der Europäische Gerichtshof, dessen Musterurteile bisher fast immer im Zeichen des
«freien, europäischen Binnenmarkts» standen, wird die Präzedenzurteile fällen.
Mit der neuen Richtlinie werde es kein
Lohn- und Sozialdumping mehr geben, versuchen konservative und sozialdemokratische Befürworter die
Kritiker zu beschwichtigen. Davor soll die EU-Entsenderichtlinie bewahren und ein vager Hinweis, die
Mitgliedstaaten könnten «in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht ihre Bestimmungen über
Beschäftigungsbedingungen, einschließlich derjenigen in Tarifverträgen, anwenden». Doch
selbst wenn ein Mitgliedstaat sich zu diesem Schritt durchringen sollte, ist die Umsetzung doch sehr
fragwürdig. Die nationalstaatlich organisierten Gewerkschaften müssten die Lohnabhängigen
aus anderen EU-Ländern organisieren und bräuchten Kontrollinstrumente, die sie nicht haben.
Die Entsenderichtlinie hingegen definiert
verbindlich nur bei gesetzlich festgeschriebene Mindestlöhnen und Höchstarbeitszeiten eben diese
minimalen Standards, verhindert also nicht den Druck auf das Lohnniveau in den alten Mitgliedsländern.
Am schlimmsten sieht es jedoch dort aus, wo es nicht einmal einen gesetzlichen Mindestlohn gibt wie
z.B. in Deutschland oder Schweden.
«Die außerparlamentarischen
Proteste gegen die Dienstleistungsrichtlinie haben sich trotzdem gelohnt», so Andre Brie, PDS-
Abgeordneter im EP und Mitglied des Binnenmarktausschusses, «sonst wäre die Richtlinie noch
schlimmer ausgefallen». So einfach wie in früheren Jahren können die EU-Gremien neoliberale
Politik nicht mehr umsetzen. «Die Zeiten, in denen sich außer Industrielobbyisten niemand
für EU-Politik interessiert hat, sind vorbei», sagt Stefan Lindner, Sprecher der EU-AG des
globalisierungskritischen Netzwerks Attac.
Die Demonstrationen gegen die
Dienstleistungsrichtlinie markieren die dritte Protestwelle innerhalb eines Jahres gegen neoliberale
Projekte der EU und der Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten. Es begann im vergangenen Jahr mit den
«Nein» zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden. Im Januar verhinderten dann die
Hafenarbeiter mit Streiks in fast allen europäischen Hafenstädten, dass die
Hafenarbeiterrichtlinie im Europaparlament verabschiedet wurde.
Den protestierenden Gewerkschaften und
Globalisierungskritikern wird von den Befürwortern der freien Marktwirtschaft vorgeworfen, sie seien
nationale Besitzstandswahrer. Doch es geht «nicht darum, Arbeiter aus den neuen EU-Staaten
fernzuhalten», beteuerte ein Gewerkschafter, «es geht um gleichen Lohn für gleiche
Arbeit». Attac fordert einheitliche Sozial- und Umweltstandards in ganz Europa. Manche sprechen von
einem europäischen Mindestlohn, andere fordern eine einheitliche Besteuerung der Unternehmensgewinne.
Gerhard Klas
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04