SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 15

Klimawandel

Nach uns die Sintflut

Anfang Dezember 2005 wurde die Bevölkerung von Lateu, einem kleinen Dorf von etwa 100 Einwohnern auf der Insel Tegua im polynesischen Staat Vanuatu, umgesiedelt, um den sich häufenden Überschwemmungen zu entgehen. Das Korallenriff schützte sie nicht mehr vor den zunehmend heftigeren Wirbelstürmen und durch die Erosion geht die Küste Jahr um Jahr zwei bis drei Meter zurück. Diese hundert Menschen hatten das traurige Privileg, der erste Fall kollektiver Umsiedlung wegen Ansteigens des Meeresspiegels infolge der Klimaerwärmung zu sein. Die Anzahl von Klimaflüchtlingen liegt jedoch jetzt schon bei weitem höher, vor allem auf den Inseln im Pazifik.
Tuvalu, ein anderer polynesischer Staat, zählt 3000 Klimaflüchtlinge. Er liegt 3400 Kilometer nordöstlich von Australien, nahe Vanuatu, misst 26 km2 und besteht aus acht wunderschönen Atollen, deren höchster Punkt 4,5 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Die Hälfte der 11636 Einwohner lebt in 3 Meter Höhe. Durch den Klimawandel werden hohe Flutwellen (bis zu 3 Meter über dem normalen Niveau) immer häufiger. Tuvalu ist das erste Land, das die Menschen verlassen mussten, um Überschwemmungen zu entgehen. Wenn nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden, wird es auch der erste Staat sein, der von der Landkarte gestrichen wird, weil seine Bevölkerung vollständig evakuiert wurde.
Welches Schicksal erwartet die Klimaflüchtlinge? Sich das zu vergegenwärtigen, dazu bedarf es keiner Science fiction. Im Jahr 2000 hat die Regierung von Tuvalu Australien und Neuseeland um die Aufnahme seiner 11636 Bürgern gebeten, sollte die Flutwelle eine Evakuierung unumgänglich machen. Die Regierung in Canberra hat abgelehnt. Der Minister für Immigration, Philip Ruddock, hat sogar erklärt, die Aufnahme der Flutopfer von Tuvalu wäre eine «Diskriminierung» gegenüber anderen Aufnahme suchenden Flüchtlingen. «Australien hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen», sagte ein Verantwortlicher von Tuvalu.
Die Antwort aus Neuseeland ist nicht minder brutal. Sie entspricht dem Pacific Access Category, einem Migrationsabkommen der Regierung in Auckland mit den Regierungen von Fiji, Tuvalu, Kiribati und Tonga. Danach erklärt sich Neuseeland bereit, jährlich 74 Personen aus Tuvalu und Kiribati aufzunehmen, und 250 aus Tonga und Fiji. Unter der Bedingung, dass sie zwischen 18 und 45 Jahre alt sind, eine «angemessene» Arbeitserlaubnis aus Neuseeland vorweisen können (bezahlte Beschäftigung, Vollzeit und unbefristet), über Englischkenntnisse verfügen, bestimmte gesundheitliche Auflagen erfüllen und ein ausreichendes Einkommen haben, vor allem wenn sie unterhaltspflichtig sind. Kranke, Alte und Eingeborene: ins Meer!
Es sei in Erinnerung gerufen, dass Australien 20 Millionen Einwohner zählt (bei einer Bevölkerungsdichte von 3 Menschen pro km2), den dritten Rang im Index der Vereinten Nationen für menschliche Entwicklung einnimmt, und dass sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf kaufkraftbereinigt jährlich 29632 Dollar beträgt. Neuseeland ist auch kein armes Land. Die Regierung Australiens, große Verbündete von George Bush, hat sich bislang geweigert, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen — die australische Wirtschaft gehört aber hinsichtlich des Verbrauchs an Kohle zu den gefräßigsten der Welt.
Alarm ist geboten, wenn man weiß, dass die Haltung der neuseeländischen und australischen Regierung nur die malthusianischen Szenarien reflektiert, die in gewissen Kreisen im Zusammenhang mit der globalen Klimaerwärmung wie die Pilze aus dem Boden schießen. Dafür sei nur auf dem Bericht über den Klimawandel verwiesen, den zwei «Experten» vor einiger Zeit für das Pentagon geschrieben haben. In der Voraussicht, dass die Zahl der Klimaflüchtlinge zunehmen wird, beschreibt der Text, Europa werde unter den Fluten versinken, die USA und Australien aber «werden wahrscheinlich Festungen bauen, weil diese Länder die Ressourcen und die Reserven haben, die ihnen eine Autarkie ermöglicht». Im Umkreis dieser Festungen würden «die Toten durch Krieg, Hungersnot und Krankheiten die Bevölkerungszahl reduzieren, die sich mit der Zeit an ihre Aufnahmefähigkeit anpassen wird» (P.Schwarz/D.Randall, «An Abrupt Climate Change Szenario and its implications for US National Security», Oktober 2003 — nachzulesen u.a. auf der Webseite von Greenpeace).
Laut Berechnungen von IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wird der Meeresspiegel, wenn gegen die Klimaerwärmung nichts getan wird, bis 2100 um 9—88 cm steigen. Mehrere Studien haben daraus errechnet, was dies für die Zwangsumsiedlung von Bevölkerungen bedeutet. Sie kommen übereinstimmend zur Auffassung, dass es im Jahr 2050 150 Millionen Klimaflüchtlinge geben könnte: 30 Millionen in China, 30 Mio. in Indien, 15 Mio. in Bangladesh, 14 Mio. in Ägypten, 1 Mio. in den Inselstaaten, 10 Mio. in anderen Deltas und Küstengebieten, 50 Mio. in anderen Regionen. 150 Millionen, das sind 1,5% der in 40 Jahren erwarteten Weltbevölkerung.
Die überwältigende Mehrheit diesen Menschen sind arm und leben in Ländern des Südens, die keine ausreichenden Geldmittel haben, um sich vor den Fluten zu schützen — und die in den Klimaverhandlungen keine Rolle spielen. Ihnen «die Tür vor der Nase zuzuschlagen», ist nicht nur niederträchtig, sondern wird die globale soziale und ökologische Krise noch verschärfen und den Planeten Erde ein Stück mehr in ein Pulverfass verwandeln. Dahin führen uns die heutigen Erben von Malthus, mit Hochdruck.

Daniel Tanuro

www.europe-solidaire.org (Übersetzung: Angela Klein)



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