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Anfang Dezember 2005 wurde die Bevölkerung von Lateu, einem kleinen Dorf
von etwa 100 Einwohnern auf der Insel Tegua im polynesischen Staat Vanuatu, umgesiedelt, um den sich
häufenden Überschwemmungen zu entgehen. Das Korallenriff schützte sie nicht mehr vor den
zunehmend heftigeren Wirbelstürmen und durch die Erosion geht die Küste Jahr um Jahr zwei bis
drei Meter zurück. Diese hundert Menschen hatten das traurige Privileg, der erste Fall kollektiver
Umsiedlung wegen Ansteigens des Meeresspiegels infolge der Klimaerwärmung zu sein. Die Anzahl von
Klimaflüchtlingen liegt jedoch jetzt schon bei weitem höher, vor allem auf den Inseln im Pazifik.
Tuvalu, ein anderer polynesischer Staat,
zählt 3000 Klimaflüchtlinge. Er liegt 3400 Kilometer nordöstlich von Australien, nahe
Vanuatu, misst 26 km2 und besteht aus acht wunderschönen Atollen, deren höchster Punkt 4,5 Meter
über dem Meeresspiegel liegt. Die Hälfte der 11636 Einwohner lebt in 3 Meter Höhe. Durch den
Klimawandel werden hohe Flutwellen (bis zu 3 Meter über dem normalen Niveau) immer häufiger.
Tuvalu ist das erste Land, das die Menschen verlassen mussten, um Überschwemmungen zu entgehen. Wenn
nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden, wird es auch der erste Staat sein, der von der Landkarte
gestrichen wird, weil seine Bevölkerung vollständig evakuiert wurde.
Welches Schicksal erwartet die
Klimaflüchtlinge? Sich das zu vergegenwärtigen, dazu bedarf es keiner Science fiction. Im Jahr
2000 hat die Regierung von Tuvalu Australien und Neuseeland um die Aufnahme seiner 11636 Bürgern
gebeten, sollte die Flutwelle eine Evakuierung unumgänglich machen. Die Regierung in Canberra hat
abgelehnt. Der Minister für Immigration, Philip Ruddock, hat sogar erklärt, die Aufnahme der
Flutopfer von Tuvalu wäre eine «Diskriminierung» gegenüber anderen Aufnahme suchenden
Flüchtlingen. «Australien hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen», sagte ein
Verantwortlicher von Tuvalu.
Die Antwort aus Neuseeland ist nicht minder
brutal. Sie entspricht dem Pacific Access Category, einem Migrationsabkommen der Regierung in Auckland mit
den Regierungen von Fiji, Tuvalu, Kiribati und Tonga. Danach erklärt sich Neuseeland bereit,
jährlich 74 Personen aus Tuvalu und Kiribati aufzunehmen, und 250 aus Tonga und Fiji. Unter der
Bedingung, dass sie zwischen 18 und 45 Jahre alt sind, eine «angemessene» Arbeitserlaubnis aus
Neuseeland vorweisen können (bezahlte Beschäftigung, Vollzeit und unbefristet), über
Englischkenntnisse verfügen, bestimmte gesundheitliche Auflagen erfüllen und ein ausreichendes
Einkommen haben, vor allem wenn sie unterhaltspflichtig sind. Kranke, Alte und Eingeborene: ins Meer!
Es sei in Erinnerung gerufen, dass
Australien 20 Millionen Einwohner zählt (bei einer Bevölkerungsdichte von 3 Menschen pro km2),
den dritten Rang im Index der Vereinten Nationen für menschliche Entwicklung einnimmt, und dass sein
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf kaufkraftbereinigt jährlich 29632 Dollar beträgt. Neuseeland ist
auch kein armes Land. Die Regierung Australiens, große Verbündete von George Bush, hat sich
bislang geweigert, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen die australische Wirtschaft gehört aber
hinsichtlich des Verbrauchs an Kohle zu den gefräßigsten der Welt.
Alarm ist geboten, wenn man weiß, dass
die Haltung der neuseeländischen und australischen Regierung nur die malthusianischen Szenarien
reflektiert, die in gewissen Kreisen im Zusammenhang mit der globalen Klimaerwärmung wie die Pilze aus
dem Boden schießen. Dafür sei nur auf dem Bericht über den Klimawandel verwiesen, den zwei
«Experten» vor einiger Zeit für das Pentagon geschrieben haben. In der Voraussicht, dass die
Zahl der Klimaflüchtlinge zunehmen wird, beschreibt der Text, Europa werde unter den Fluten versinken,
die USA und Australien aber «werden wahrscheinlich Festungen bauen, weil diese Länder die
Ressourcen und die Reserven haben, die ihnen eine Autarkie ermöglicht». Im Umkreis dieser
Festungen würden «die Toten durch Krieg, Hungersnot und Krankheiten die Bevölkerungszahl
reduzieren, die sich mit der Zeit an ihre Aufnahmefähigkeit anpassen wird» (P.Schwarz/D.Randall,
«An Abrupt Climate Change Szenario and its implications for US National Security», Oktober 2003
nachzulesen u.a. auf der Webseite von Greenpeace).
Laut Berechnungen von IPCC
(Intergovernmental Panel on Climate Change) wird der Meeresspiegel, wenn gegen die Klimaerwärmung
nichts getan wird, bis 2100 um 988 cm steigen. Mehrere Studien haben daraus errechnet, was dies
für die Zwangsumsiedlung von Bevölkerungen bedeutet. Sie kommen übereinstimmend zur
Auffassung, dass es im Jahr 2050 150 Millionen Klimaflüchtlinge geben könnte: 30 Millionen in
China, 30 Mio. in Indien, 15 Mio. in Bangladesh, 14 Mio. in Ägypten, 1 Mio. in den Inselstaaten, 10
Mio. in anderen Deltas und Küstengebieten, 50 Mio. in anderen Regionen. 150 Millionen, das sind 1,5%
der in 40 Jahren erwarteten Weltbevölkerung.
Die überwältigende Mehrheit
diesen Menschen sind arm und leben in Ländern des Südens, die keine ausreichenden Geldmittel
haben, um sich vor den Fluten zu schützen und die in den Klimaverhandlungen keine Rolle
spielen. Ihnen «die Tür vor der Nase zuzuschlagen», ist nicht nur niederträchtig,
sondern wird die globale soziale und ökologische Krise noch verschärfen und den Planeten Erde ein
Stück mehr in ein Pulverfass verwandeln. Dahin führen uns die heutigen Erben von Malthus, mit
Hochdruck.
Daniel Tanuro
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