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Nach nur 18 Monaten im Amt konnte Kanadas liberale Minderheitsregierung unter
Paul Martin keine der anderen Parteien für parlamentarische Mehrheitsentscheidungen mehr gewinnen. Die
daraufhin für den 23.Januar angesetzten Neuwahlen haben die liberale durch eine konservative
Minderheitenregierung ersetzt.
Gesetzesvorlagen der Regierung sind nun auf die Zustimmung von wenigstens 31 Abgeordneten anderer
Parteien angewiesen. Unerwartet konnten die Konservativen erhebliche Stimmengewinne in Québec
verzeichnen, das bislang fest in der Hand des separatistischen Bloc Québécois gewesen ist. Eine
der Absurditäten des kanadischen Mehrheitswahlsystems: Obwohl der Bloc gegenüber den letzten
Wahlen an Stimmen und Sitzen verlor, konnte er mit 10,5% der Wählerstimmen 51 Sitze erringen,
während die sozialdemokratische New Democratic Party (NDP), die insgesamt Gewinne zu verzeichnen
hatte, mit 17,5% der Stimmen auf lediglich 29 Sitze kam.
Die kanadische Linke, abgesehen von ihren ausschließlich bewegungsorientierten Strömungen, hat
weitgehend die NDP unterstützt. Dies gilt auch für die Kommunistische Partei, die zumindest in
den urbanen Zentren eine beachtliche Zahl eigener Kandidaten aufgestellt hatte.
Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete die
Führung der Canadian Auto Workers (CAW), die lange als militanteste der kanadischen Gewerkschaften
galt. Deren Vorsitzender Buzz Hargrove sowie der CAW-Chefökonom Jim Stanford, beide bekannte Figuren
in der kanadischen Öffentlichkeit, sprachen sich für strategisches Wählen aus. In
Wahlkreisen, in denen liberale Kandidaten Erfolgsaussichten hatten, sollten diese von linken Wählern
unterstützt werden, um eine konservative Mehrheit zu verhindern. Hierüber gab es in der Linken
sowie den Gewerkschaften erregte Debatten. Die Stimmengewinne der NDP zeigen allerdings, dass die Politik
des kleineren Übels auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. Trotzdem deutet die Debatte auf die
Schwäche der Linken hin.
Vor fünf Jahren hatte das noch ganz
anders ausgesehen. Getragen von den Mobilisierungserfolgen der globalisierungskritischen Bewegung
einerseits und angestoßen von der Enttäuschung über die Politik der Dritten Weges, die von
der NDP in einer Reihe kanadischer Provinzen verfolgt worden war, formierte sich innerhalb der
Sozialdemokratie unter dem Namen New Party Initiative (NPI) eine Oppositionsströmung, die für
einen Linksschwenk warb. Ein entsprechender Antrag beim NDP-Parteitag 2001 gewann zwar respektable 40% der
Delegiertenstimmen, aber eben keine Mehrheit. Das Scheitern dieses Antrages leitete zugleich das Ende der
NPI ein.
Im Sande verlaufen sind auch die unter den
Namen «Rebuilding the Left und Structured Anti-Capitalist Movement» unternommenen Bestrebungen,
der globalisierungskritischen Bewegung Strukturen zu verleihen, die deren Bestand auch in Zeiten
nachlassender Mobilisierungen hätte gewährleisten können. Der einzige Neuformierungsansatz
der Linken besteht gegenwärtig im Zusammenschluss der Union des Forces Progressistes sowie Option
Citoyenne zu einer gemeinsamen linken Partei. Ob sich daraus eine politische Kraft links der
Sozialdemokratie in Québec bildet und diese eine Vorbildfunktion für die englischsprachigen
Provinzen haben kann, bleibt abzuwarten.
Die in Kanada anstehenden politischen und wirtschaftlichen Probleme, insbesondere das Verhältnis
zwischen Bundes- und Provinzregierungen, den Auswirkungen des Ölbooms sowie dem Verhältnis zu den
USA, wurden im Wahlkampf kaum thematisiert, obwohl die zentrale Bedeutung dieser Themen wenig umstritten
ist.
Sofern die Liberale Partei in 12
Regierungsjahren bereits erhebliche Kompetenzverlagerungen von der Bundes- zur Provinzebene vorgenommen und
auf diese Weise die Defizite des Bundeshaushalts abgebaut und gleichzeitig die wirtschaftliche Integration
mit den USA vorangetrieben hat, ist das Fehlen inhaltlicher Kontroversen nicht überraschend.
Obwohl Linke und Liberale den konservativen
Spitzenkandidat Stephen Harper oft als kanadischen George Bush mit einem geheim gehaltenen
fundamentalistischen Programm ausgewiesen haben, ging es bei diesen Wahlen nicht um eine
Richtungsentscheidung. Zur Abstimmung stand vielmehr, da eine aussichtsreiche linke Alternative gefehlt
hat, lediglich die Geschwindigkeit, mit der die bereits eingeschlagene Strategie der Dezentralisierung und
Handelsliberalisierung weiterverfolgt wird.
In jüngster Zeit ist jedoch ein
externer Faktor wirksam geworden, der sowohl die Spannungen zwischen den kanadischen Provinzen als auch
zwischen Ölindustrie und den restlichen Wirtschaftssektoren verschärft. Seit Sommer letzten
Jahres hat die ausländische Nachfrage nach Öl den Wert des kanadischen Dollar um über 30%
nach oben getrieben und damit die gesamten kanadischen Exporte enorm verteuert. Da, abgesehen von
kurzfristigen Schwankungen, keine Änderung der nach oben weisenden Ölpreisentwicklung abzusehen
ist, wird ein starker Dollar auch weiterhin Kostendruck auf die kanadische Industrie ausüben und hat
bereits zu einer Reihe von Betriebsschließungen, u.a. auch Produktionsverlagerungen in die USA,
geführt.
Betroffen hiervon sind insbesondere die
Provinzen Ontario und Québec mit ihrem hohen Industriebestand. Ontario, mit 11 Millionen Einwohnern
zugleich die bei weitem größte der kanadischen Provinzen, ist darüber hinaus von der Krise
der amerikanischen Automobilgiganten Ford und General Motors betroffen. Schon bevor die jüngsten
Zahlen bezüglich Werksschließungen und Stellenabbau bekannt gegeben worden waren, hat die CAW,
die sich nach einer Welle massiven Stellenabbaus zu Beginn der 80er Jahre als militante Alternative von den
korporatistisch orientierten United Auto Workers abgespalten hatte, erhebliche Lohnzugeständnisse
gemacht.
Andererseits profitiert Alberta, eine Art
kanadisches Texas, bereits jetzt vom Ölboom, während British Columbia und die atlantischen
Provinzen in Zukunft off-shore Öl fördern wollen. Die regional unterschiedlichen Wirkungen von
Ölboom einerseits und industrieller Krise andererseits werden in der kanadischen Öffentlichkeit
unter dem Stichwort «fiskalisches Ungleichgewicht» diskutiert.
Dabei kommt es zu paradoxen Konstellationen: Alberta, Gewinner des Ölbooms, und Québec,
negativ von der Deindustrialisierung betroffen, stellen sich gemeinsam Forderungen nach einer
föderalen Umverteilung eines Teils der mit dem Ölboom gestiegenen Steuereinnahmen entgegen.
Albertas konservative Provinzregierung ist grundsätzlich gegen jeglichen Fiskalföderalismus und
will höhere Steuereinnahmen für weitere Senkungen der Steuersätze verwenden. Dagegen
erwartet der Bloc Québécois ein höheres Maß an Autonomie im Tausch gegen die Zustimmung
zu Gesetzesvorlagen der konservativen Minderheitenregierung in Ottawa.
Um entsprechenden Forderungen Nachdruck zu
verleihen, fabuliert das Führungspersonal des Bloc schon mal öffentlich über eine
Währungsunion mit den USA. Solche Gedankenspiele beruhen auf einem Wandel des Separatismus, der sich
über Jahrzehnte, neben Fragen kultureller und sprachlicher Eigenständigkeit, auf das in
Québec weiter ausgebaute Sozialsystem gestützt hat, das durch die Forderung nach
Unabhängigkeit gegen den Anpassungsdruck Englisch-Kanadas abgeschirmt werden sollte.
Mittlerweile gibt es jedoch auch in der
Business Community Québecs ausgeprägte Autonomiebestrebungen, die privilegierte
Geschäftsbeziehungen mit den USA anstreben. Der ohnehin bestehende Druck auf soziale Standards in
Québec würde dadurch noch verstärkt. In diesem Punkt dürfte sich Québec angesichts
der US-Orientierung der gerade gewählten Bundesregierung in Ottawa nicht von den anderen Provinzen
unterscheiden.
Offen ist jedoch, ob sich hieraus eine
gemeinsame Abwehrfront zur Verteidigung der noch bestehenden sozialen Sicherungssysteme ergibt oder ein
Wettkampf um privilegierte Beziehungen zu den USA einsetzt. Angesichts der notorischen Instabilität
von Minderheitsregierungen dürfte diese Frage auch Einfluss auf den Ausgang der von vielen 2007
erwarteten Neuwahlen haben. Ob dann eine linke Alternative zu einer konservativen Mehrheitsregierung
besteht, ist derzeit jedoch nicht abzusehen.
Ingo Schmidt, Vancouver
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