SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 16

Frauenfußball in Lateinamerika

Ein Mauerblümchendasein

Im Januar 1993 hatte ich mit einer Kollegin in Montevideo die Gelegenheit, ein Interview mit Hugo Batalla, dem damaligen Präsidenten der Asociación Uruguaya de Futbol (AUF) und späteren Vizepräsidenten Uruguays, zu führen. Wir sprachen über die Krise des uruguayischen Fußballs, das Phänomen, dass sich junge Talente gar nicht entwickeln können, weil sie schon als Schüler zu europäischen Clubs wechseln, und über die Rolle der Spielvermittler in diesem Geschäft. Am Ende des Gesprächs fragte meine Kollegin nach der Situation des Frauenfußballs und was die AUF für dessen Förderung tue. Batalla legte die Stirn in Falten und erklärte dann, es gäbe zwei Bereiche, in denen sich die AUF stärker engagieren müsse, im Frauenfußball und im Kleinfeldfußball.
Als er beim Wort «Kleinfeldfußball» einen fragenden Ausdruck auf unseren Gesichtern bemerkte, nutzte er freudig die Gelegenheit, einen fünfminütigen Vortrag über die Regeln des Kleinfeldfußballs zu handeln, die enormen pädagogischen Möglichkeiten, die diesem im Rahmen des Schulsports zukommen könnten und weitere reichlich uninteressante Details. Als er endlich zum Schluss kam, hatte er — leider, leider — den nächsten Termin. Zum «wichtigen Thema» Frauenfußball konnte er nur noch sagen, dass es den bestimmt eines Tages in Uruguay geben werde und dass er dann sicher einen wichtigen Stellenwert haben würde.
Wie wir später von uruguayischen Freundinnen erfuhren, hätte er auch mit mehr Zeit nicht mehr sagen können, weil Frauenfußball für die AUF schlicht kein Thema war. Diese kleine Anekdote mag illustrieren, welches Mauerblümchendasein der Frauenfußball in den lateinamerikanischen Fußballverbänden lange führte bzw. bis in die Gegenwart führt. Nun ist das freilich nichts Besonderes, namentlich der Deutsche Fußballbund (DFB) hielt sich in Sachen Förderung des Frauenfußballs lange vornehm zurück.

Eine Klasse für sich: Brasilien

Aus Lateinamerikas Frauenfußball wurden international lange nur die Brasilianerinnen wahrgenommen. Sie nahmen seit 1991 an allen Weltmeisterschaften und olympischen Turnieren teil. Seit einigen Jahren gehören sie zur absoluten Weltspitze. Bei den Weltmeisterschaften 1999 kamen sie bis ins Halbfinale, wo sie den Gastgeberinnen aus den USA unterlagen. Im Spiel um den dritten Platz schlugen sie Norwegen im Elfmeterschießen. Bei den Olympischen Spielen 2000 erreichten sie ebenfalls das Halbfinale, wo sie erneut an den USA scheiterten. Im Spiel um die Bronzemedaille verloren sie gegen Deutschland mit 0:2. Bei der WM 2003 mussten sie sich im Viertelfinale von den späteren Finalistinnen aus Schweden geschlagen geben.
Ihren bislang größten internationalen Erfolg erzielten die Brasilianerinnen bei den Olympischen Spielen 2004 in Sydney, wo sie das Endspiel erreichten. Da warteten wieder die US-Amerikanerinnen. Nach Ende der regulären Spielzeit stand es 1:1. In der Verlängerung erzielte Abby Wambach in der 112.Minute den Siegtreffer für das US-Team. Brasiliens Fußballfrauen gewannen die Silbermedaille. Ihre offensive und technisch elegante Spielweise begeisterte Publikum und Presse. Natürlich wurde gleich wieder das Klischee vom Samba- Fußball hervorgeholt — als ob deutsche Fußballerinnen Ländler- oder Schuhplattler- Fußball spielen würden.
In Südamerika sind die Brasilianerinnen eine Klasse für sich. 16mal standen sie bislang Teams aus der Region in WM- Qualifikationsspielen gegenüber. Sie gewannen all diese Spiele und erzielten dabei die unglaubliche Tordifferenz von +133, d.h., sie siegten im Schnitt mit mehr als acht Toren Unterschied. Deshalb veranstaltete der südamerikanische Fußballverband CONMEBOL für das Olympische Turnier in Sydney 2004 erst gar keine Qualifikation, sondern meldete die Brasilianerinnen gleich.
Deren Spielstärke hat inzwischen zum gleichen Phänomen wie bei ihren männlichen Kollegen geführt, nämlich der Abwanderung von Spitzenspielerinnen. Für die Frauen sind allerdings weniger die europäischen Clubs interessant, als vielmehr die Profiliga der Women‘s United Soccer Association (WUSA) in den USA. So spielen die beiden herausragenden brasilianischen Stürmerinnen Marta Viera da Silva und Katia Cilene da Silva Teixeira gemeinsam bei den Cyper Rays im kalifornischen San José. Die Torschützenkönigin des Olympischen Turniers von Sydney, Cristiane Rozeira de Souza Silva, kam dagegen nach Europa, sie spielt seit 2005 beim 1.FFC Turbine Potsdam. In Brasilien existiert keine nationale Profiliga für Frauen, es gibt nur regionale Ligen, in denen die Teams nicht unter professionellen Bedingungen arbeiten und vom Fußballspielen leben können.
Während dem südamerikanischen Verband CONMEBOL bei Weltmeisterschaften bis 1999 nur ein Platz zustand, gab es 2003 zwei Startplätze. Erstmals kam bei der Qualifikation Spannung auf, denn es galt als offen, wer die Nummer Zwei in Südamerika wäre. Aus zwei Vorrundengruppen erreichten Brasilien, Argentinien, Kolumbien und Peru das Ausscheidungsturnier im April 2003 in Perus Hauptstadt Lima. Hinter der souveränen brasilianischen Auswahl erreichten die Argentinierinnen Platz zwei. Ihnen genügte ein knappes 3:2 über Kolumbien und ein 1:1 gegen Peru, um erstmals an einer Weltmeisterschaft teilnehmen zu können. Beim WM-Turnier vom 20.September bis zum 12.Oktober 2003 in den USA, zeigte sich aber, dass die Argentinierinnen noch weit von der Weltspitze entfernt sind. In der Vorrunde unterlagen sie den Teams aus Japan mit 0:6, Kanada mit 0:3 und Deutschland mit 1:6 und mussten mit 0 Punkten und 1:15 Toren die Heimreise antreten.
Für den lateinamerikanischen Fußball gibt es keinen gemeinsamen Verband. Während die zehn südamerikanischen Länder die CONMEBOL bilden, gehören die zentralamerikanischen Staaten, Mexiko und die karibischen Länder dem Nord- und Mittelamerikanischen Verband CONCACAF an. Beim Frauenfußball stehen der CONCACAF bei Weltmeisterschaften und Olympia zwei Startplätze zu. Stärkstes Team waren stets die US- Amerikanerinnen, den zweiten Platz sicherten sich meist die Kanadierinnen. Bei der Qualifikation für das Olympische Turnier in Sydney erwies sich die mexikanische Auswahl als sehr stark. Die Mexikanerinnen besiegten im Halbfinale die favorisierten Kanadierinnen und qualifizierten sich damit erstmals für Olympia. Dort wurden sie zusammen mit den Teams von Deutschland und China in die Vorrundengruppe F gelost. Nach einer 0:2 Niederlage gegen die deutschen Frauen, genügte ihnen ein 1:1 gegen die Chinesinnen um aufgrund des besseren Torverhältnisses Platz zwei in der Gruppe F zu belegen und überraschend das Viertelfinale zu erreichen. Hier unterlagen sie den starken Brasilianerinnen dann aber deutlich mit 0:5.

Förderung Fehlanzeige

Anders als bei den Männern, wo jedes Team, das sich auf der Ebene des südamerikanischen bzw. des nord- und mittelamerikanischen Fußballverbands für eine WM oder ein olympisches Turnier qualifiziert, potenziell auch in der Lage ist, dort die Vorrunde zu überstehen (auch wenn dies nicht immer gelingt), haben die lateinamerikanischen Fußballfrauen mit Ausnahme der Brasilianerinnen bislang noch nicht den Anschluss an das internationale Niveau gefunden. Hierfür ist sicher maßgeblich das mangelnde Interesse in den nationalen Fußballverbänden verantwortlich, zusammenhängend damit auch das weitgehende Desinteresse der Medien und potenzieller Sponsoren. Die Förderung des Frauenfußballs bewegt sich vielerorts auf niedrigstem Niveau, sofern sie überhaupt stattfindet.
Auf einem FIFA-Symposium über Frauenfußball am 9./10.Oktober 2003 in Long Beach, USA, stellte die Chilenin Alexandra Benado Vergara die Probleme der Fußballerinnen in ihrem Land dar. In Chile gab es zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Frauenligen, nicht einmal auf lokaler Ebene. Der chilenische Fußballverband habe lediglich einige Regionalturniere organisiert. Die Frauenteams in den Vereinen seien keine professionell geführten und trainierten Einheiten, sondern würden eher informell in Familienregie betrieben. Weder die Clubs noch der Verband betrieben eine systematische Jugendarbeit.
Ein Auswahlteam wurde bisher immer nur vor den WM-Qualifikationen einberufen, zwischen den Weltmeisterschaften gab es weder Länderspiele noch Trainingslager für die Spielerinnen. So könnten auch keine neuen Frauen an den Kader herangeführt werden. Deshalb sei das chilenische Team bei der Qualifikation für die WM 2003 überaltert gewesen, die meisten Spielerinnen waren älter als 30 Jahre. Angesichts dieser Defizite überrasche es kaum, dass die chilenischen Kickerinnen das Schlusslicht in Südamerika bildeten.
Zweifellos sind die Bedingungen in Chile wegen der Diktaturvergangenheit besonders schwierig — Frauenfußball wurde erst 1992 formal anerkannt. Doch die genannten strukturellen Probleme wie fehlender Ligabetrieb, vor allem auf nationaler Ebene, zu wenige ausgebildete Trainer im Frauenbereich, die mangelnde Bereitschaft der Verbände, den Frauenfußball zu fördern und der Medien, darüber ernsthaft zu berichten, gelten für viele Länder. Solange daran nichts geändert wird, werden die lateinamerikanischen Fußballerinnen mit Ausnahme der Brasilianerinnen international zweitklassig bleiben.

Gert Eisenbürger

Die Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem im März erscheinenden und von Dario Azzellini und Stefan Thimmel herausgegebenen Buch Futbolistas. Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz, Berlin/Hamburg: Assoziation A, 256 Seiten, 18 Euro.





Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang