SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2006, Seite 18

Feminismus, Sozialismus, Marxismus

Ein fragwürdiger Versuch über eine denkwürdige Debatte

Maria Pachinger von der Arbeitsgruppe Marxismus in Wien will an Hand einiger Arbeiten von acht europäischen und nordamerikanischen Feministinnen den «feministische[n] Ansätze[n] mit einem antipatriarchalen und antikapitalistischen Charakter, die seit Ende der 60er Jahre von sozialistischen und marxistischen Feministinnen entwickelt wurden», nachspüren.

Die Beschränkung der behandelten Autorinnen auf «Westeuropa und Nordamerika» (auf Christine Delphy, Heidi Hartmann, Frigga Haug, Maria Rosa Dalla Costa, Nacy Hartsock, Michele Barret, Johanna Brenner, Martha E.Gimenez) begründet sie mit der «Hegemonie v.a. des Englischen» und damit, dass «durch die materielle Einbindung der Mittelschichten und Teilen der Lohnabhängigen in den imperialistischen Ländern für Individuen und Gruppen größere Spielräume für theoretische Beschäftigung entstanden sind».
Afroamerikanerinnen wie etwa Audre Lorde, Alice Walker, Tony Morrison, Barbara Smith, Barbara Christian oder Angela Davis spielen für sie daher ebenso wenig eine Rolle wie britische Feministinnen mit Migrationshintergrund wie Pratibha Parmar, Afua Cooper, Rhonda Cobham, Merle Collins oder Buchi Emecheta. Dass sie auch kein Wort über die verschiedenen afrikanischen Feminismen verliert, etwa über den afrikanischen Womanismus oder Stiwanismus (Social Transformation Including Women in Africa) mag daran liegen, dass sie die Konzepte dieser Feministinnen als nicht antikapitalistisch ansieht. Auch ostdeutsche Feministinnen lässt sie unerwähnt, obwohl es seit Anfang des vergangenen Jahres mit dem 560 Seiten-Werk von Karin Aleksander (Frauen und Geschlechterverhältnisse in der DDR und in den neuen Bundesländern) eine kompetente Bibliografie dazu gibt.

Fragwürdige Zielstellung

Zielstellung ihrer Broschüre ist «zu überprüfen, inwieweit die behandelten Theoretikerinnen ihren Ansprüchen, Kapitalismus und Patriarchat zu überwinden, gerecht werden können, ob und wenn ja, welche konkreten politischen Strategien sie dafür entwickeln und wie Erfolg versprechend diese einzuschätzen sind». Auch will Pachinger «die Methoden der behandelten Autorinnen» untersuchen und prüfen, ob «Ansätze eines eigenen Konzepts entwickelt werden, welche nicht nur den Anspruch haben, das Verhältnis von Klassenausbeutung und Frauenunterdrückung zu klären, sondern auch die Perspektiven geben können, diese politisch zu überwinden».
Einer solchen Zielstellung, die im Übrigen keine der behandelten Autorinnen anstrebt, wird heute allerdings keine der linken politischen Parteien oder der sozialen Bewegungen in Deutschland oder Österreich und daher auch keine der von der Verfasserin behandelten Theoretikerinnen gerecht. Auch kann die emanzipatorische Leistung der verschiedenen feministischen Richtungen, einschließlich der materialistischen und marxistischen, nicht adäquat gewürdigt werden, wenn man wie sie davon ausgeht, dass, «um die Mehrheit der Frauen von Ausbeutung und Unterdrückung befreien zu können», das kapitalistische System durch den Kampf einer «geeinten ArbeiterInnenklasse konkret mit einer revolutionär-kommunistischen Partei» beseitigt wird, «die Organisierung von Frauen in spezifisch antisexistischen Vereinen und Initiativen» daher lediglich ein «progressiver Akt» ist, der «keinen Ersatz für eine revolutionäre Organisation bzw. Partei darstellen» kann.
In einer solchen Partei sei «eine aktive und bewusste Förderung von Frauen in der Organisation notwendig, um die vorherrschenden geschlechtlichen Sozialisationsmuster wirklich auszumerzen», weshalb «Frauen auch das Recht haben müssen, gesonderte Treffen abzuhalten». Dabei berichtet Pachinger in einer Fußnote, dass der «tägliche Kleinkrieg gegen den männlichen Chauvinismus der Genossen», dem «die Genossinnen nicht gewachsen sind», selbst in der trotzkistischen Linken dazu führte, dass viele Frauen die Organisation verließen. Daraus hätte doch wohl die Legitimität eigener Frauenvereinigungen geschlossen werden müssen.

Fragwürdige Hierarchie

Diesen und anderen Erfahrungen unbenommen ist Pachinger dennoch für eine Hierarchie der Unterdrückungsverhältnisse, in der den Klassenverhältnissen das Primat zukommt, von dem geschlechtliche und ethnische Ungleichheiten lediglich abzuleiten sind. Ihr zufolge spielt «der sozialistische Feminismus, ganz zu schweigen vom marxistischen Feminismus, in der so genannten dritten Welle der Frauenbewegung keine Rolle. Tonangebend ist heute der postmoderne, poststrukturalistische und postkoloniale Diskurs, die über den akademischen Raum hinausgehend kaum Bedeutung haben».
Ungeachtet ihrer erklärten Bedeutungslosigkeit beschäftigt sich Pachinger mit den feministischen Richtungen, die ein antikapitalistisches Konzept vertreten, von denen sie zu Recht sagt, dass sie sich alle mit Marx und dem Marxismus auseinandersetzen; Sozialistische Feministinnen sind für sie diejenigen, die sich negativ und kritisch ablehnend zu Marx positionieren. Dagegen nehmen die marxistischen Richtungen «die Logik der Marxschen Methode in ihre Theoriebildung auf und versuchen, sie auf die Problematik der Geschlechtertrennung anzuwenden».
Eine solche frontale Entgegensetzung von Marxkritikerinnen versus Marxanhängerinnen ist wegen der großen Schwankungsbreite der Marxrezeptionen dieser Feministinnen aber nicht hilfreich. Nur in der Bundesrepublik und nur in der Zeit der so genannten Hausarbeitsdebatte in den 70er Jahren würde diese Unterscheidung Sinn machen. Zwar gibt es antikapitalistische feministische Theoretikerinnen, die den Klassenverhältnissen keine Priorität über die patriarchalen Verhältnissen einräumen. Das macht sie aber ebenso wenig zwangsläufig zu Antimarxistinnen wie die Aneignung moderner psychologischer und strukturalistischer Erkenntnisse und ihre Integration in ein marxistisch-feministisches Verständnis der sozialen Produktion von Frauen antimarxistisch sein muss.
Nach dem Scheitern des «Realsozialismus» kann die Gleichrangigkeit aller gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht mehr mittels Beharren auf einer Hierarchie der Bedeutung von Klasse, Geschlecht und Ethnie vom Tisch gewischt werden. So ist heute auch davon auszugehen, dass der Geschlechterbegriff nicht ohne Akzeptanz der Differenz und damit der ethnischen Komponente gebraucht werden kann. Da «die Geschlechter als Ungleiche aus dem Gesellschaftsprozess treten … ihre Nicht-Gleichheit zur Grundlage weiterer Überformungen wird und Geschlechterverhältnisse fundamentale Regelungsverhältnisse in allen Gesellschaftsformationen werden, [kann] kein Bereich … sinnvoll untersucht werden, ohne die Weise, wie Geschlechterverhältnisse formen und geformt werden, mit zu erforschen.» So Frigga Haug im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Feminismus: «Geschlechterverhältnisse als Verhältnisse, die die Menschen in der Produktion ihres Lebens eingehen, sind immer Produktionsverhältnisse wie Produktionsverhältnisse umgekehrt auch immer Geschlechterverhältnisse sind. Die Doppelung der ‹Produktion› in die von Leben (im weitesten, Aufzucht und Pflege umfassenden Sinn) war Ausgangspunkt der historischen Verselbständigung der Letzteren zum System der Ökonomie und — im Kapitalismus — ihrer Dominanz über die Lebensproduktion.»
Ebenso wenig sind poststrukturalistische/postmoderne Positionen unbedingt inkompatibel mit marxistischen. Wie die englische materialistische Feministin Chris Weedon bereits in ihrem 1987 erschienenen Feminist Practice and Poststructuralist Theory ausführt: «Der poststrukturalistische Feminismus muss die historische Besonderheit der Konstruktion der Frau, der Subjektpositionen und Formen von Weiblichkeit, sowie ihrer Verortung in dem allumfassenden Netzwerk gesellschaftlicher Machtverhältnisse beachten. Darin ist die Bedeutung biologischer Differenz niemals endgültig festgelegt. Vielmehr ist diese ein Ort der Auseinandersetzung über Bedeutung und Ausübung patriarchaler Macht. Diese Auseinandersetzung der Diskurse, in der Frauen gegen bestimmte Bedeutungen und Machtverhältnisse Widerstand leisten können, ist von historischen Veränderungen abhängig. Ein Verständnis, wie Diskurse biologischer sexueller Differenz in einer bestimmten Gesellschaftsordnung, zu einer bestimmten Zeit mobilisiert werden, ist die Voraussetzung für jede Intervention mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderung.»

Fragwürdige Kritiken

Bei ihren Bemühungen, die von den behandelten Autorinnen entwickelten neuen Erkenntnisse dort zurückzuweisen, wo sich diese vom traditionell-marxistischen Ausschluss der unbezahlten Reproduktionsarbeit abgrenzen, missversteht oder ignoriert Pachinger deren emanzipatorischen, den Marxismus weiter entwickelnden Gehalt.
So ist für sie bedeutsam, dass Christine Delphy die Frauen zu einer eigenen Klasse macht, was von anderen Feministinnen zu Recht kritisiert wurde. Delphys Erkenntnis, dass Frauen Teil eines patriarchalen Ausbeutungssystems sind, dessen konkrete Form sich aus den Produktionsverhältnissen ergibt, hält sie dagegen für einen nichtmarxistischen Analyserahmen. Auch Heidi Hartmanns Verdienst, die Erkenntnis, dass der Keim des Patriarchats die Verfügung über weibliche Arbeitskraft sei, ist für Pachinger zweitrangig gegenüber dem Vorwurf, «geschlechtsspezifische Interessen» festgestellt zu haben.
Maria Rosa Dalla Costa wird Vulgärmaterialismus vorgeworfen, weil sie Frauenunterdrückung in den ökonomischen Verhältnissen fundiert. Nancy Hartsocks Versuch, die erkenntnistheoretischen Konsequenzen eines feministischen historischen Materialismus auszuloten, wird von Pachinger als problematisch bewertet, weil damit «eine klassenunspezifische, vereinheitlichende Betrachtung von Frauen» verbunden sei. Dabei konzentriert sich Hartsock, wie Donna Haraway im Wörterbuch des Feminismus unter dem Stichwort «Geschlecht» schreibt, «auf die Kategorien … die der Marxismus nicht hat historisieren können: die sinnliche Arbeit der Frauen bei der Erschaffung menschlicher Wesen durch Schwangerschaft und das Aufziehen von Kindern sowie die vielfältigen Formen weiblicher Ernährungs- und Subsistenzarbeit», also auf geschlechtsspezifische Facetten, die vielfach klassenübergreifend sind.
In ähnlich oberflächlicher Weise geht sie auch mit den übrigen von ihr behandelten Autorinnen um. Paradigmatisch ist ihre sachlich nicht zutreffende Bemerkung über Frigga Haug: «Die Übertragung von marxistischen Begrifflichkeiten in einen ganz anderen Kontext, wie die Gleichsetzung von Produktionsverhältnissen und Geschlechterverhältnissen, macht ihr mangelndes Kapitalismusverständnis deutlich.»
Es ist bedauerlich, dass die Verfasserin nicht bereit war, die emanzipatorischen Leistungen des modernen Feminismus als Weiterentwicklung linker theoretischer Positionen zu würdigen. Der dringende Bedarf nach einer populärwissenschaftlichen Darstellung des modernen Feminismus muss daher immer noch befriedigt werden.

Hanna Behrend

Maria Pachinger, Sozialistischer und marxistischer Feminismus. Positionsentwicklungen in den letzten 35 Jahren, Marxismus, Heft 27, Dezember 2005, Wien: AGM Wien (www.agmarxismus.net), 175 Seiten, 9 Euro

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