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Mit diesen Worten kommentiert die türkische Regisseurin Yesim Ustaoglu
ihren neuen Film Waiting for the Clouds (Bulutlari Beklerken). In dem Film geht es um die Geschichte der
pontischen Griechen, die seit dem 8. Jahrhundert v.u.Z. an der Schwarzmeerküste der heutigen
Türkei siedelten und die in den 1920er Jahren unter Atatürk im Rahmen des sog.
Bevölkerungsaustauschs mit Griechenland vertrieben wurden.
Hauptperson des Films ist Ay¸se, die
eigentlich Eleni heißt und Griechin ist. Sie lebt in einem Dorf in Nordostanatolien am Schwarzen Meer.
Als Kind wurde sie von ihrer Familie getrennt und von einer türkischen Familie adoptiert, als die
Griechen aus der Türkei vertrieben wurden. Dabei musste sie auch ihren kleinen Bruder im Stich lassen.
Durch den Tod ihrer Adoptivschwester und das Auftauchen von Tanasis, der ebenfalls als Kind vertrieben
wurde, wird Ay¸se/Eleni veranlasst, sich wieder zu ihren griechischen Wurzeln zu bekennen. Sie
verlässt die Türkei und reist nach Griechenland, um ihren Bruder zu suchen. Im Dorf hatte zuletzt
nur noch der 11-jährige Mehmet zu ihr gehalten.
Der Film versucht, die gesamte
türkisch-griechische Geschichte des 20.Jahrhunderts zu verarbeiten. Die Haupthandlung spielt Mitte der
70er Jahre. Es gibt Rückverweise auf den Ersten Weltkrieg, wo das jungtürkische Regime alle
nichttürkischen Bevölkerungsgruppen im Osmanischen Reich blutig verfolgte. Höhepunkt war der
Völkermord an den Armeniern 1915. Eine große Rolle spielt die Vertreibung der Griechen in den
20er Jahren, für die die neue Türkische Republik unter der Präsidentschaft von Mustafa
Kemal, der später Atatürk genannt wurde, verantwortlich war. Gleichzeitig wurden in Griechenland
alle dort noch ansässigen Türken vertreiben. Auch die Geschichte des Zweiten Weltkriegs spielt
eine Rolle. Pontische Griechen beteiligten sich in Griechenland am Widerstand gegen die deutsche Besatzung.
Nach der Niederlage der Kommunisten gegen die Monarchisten im Bürgerkrieg, der dem Zweiten Weltkrieg
folgte, mussten sie erneut ins Exil, diesmal in die Sowjetunion. Auch die Konflikte in der Türkei der
70er Jahre werden angedeutet. Im Dorf werden immer wieder von jungen Leuten linke Plakate geklebt.
Ein Problem des Films ist, dass er viel
Wissen voraussetzt. Alle historischen Ereignisse werden nur angedeutet und nicht wirklich erzählt. Das
macht den Film für westeuropäische Zuschauerinnen und Zuschauer schwer verständlich.
Lediglich die Verfolgung der Armenier im Ersten Weltkrieg hat in letzter Zeit größere
öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Alle anderen für das Verständnis des Films wichtigen
historischen Ereignisse sind hierzulande weitgehend unbekannt.
Der Film wird sehr ruhig erzählt und
kommt mit wenigen Schnitten aus. Die beindruckende Landschaft in der Nordosttürkei wird mit wirklich
schönen Bildern zu einer weiteren Hauptdarstellerin im Film. Das Alltagsleben der
Dorfbevölkerung, die ihr Leben teils an der Küste und teils im Gebirge verbringt, kommt ebenfalls
vor. Die Regisseurin erweckt Sympathie für die Dorfbewohner, deren Alltag nicht gerade einfach ist und
zeigt gleichzeitig die Zwänge der Dorfgemeinschaft. Als aus Ay¸se wieder Eleni wird und sich die
scheinbare Muslimin als orthodoxe Christin zu erkennen gibt, schlägt ihr Misstrauen und z.T. auch
Feindschaft entgegen. So wird weder verteufelt noch idealisiert und auch die Vorurteile Europas gegen den
werden nicht bedient. Es wird lediglich sowohl die Schönheit als auch die Enge einer ländlich-
dörflichen Gemeinschaft gezeigt, die genauso auch in einem nichtislamischen Land existieren
könnte. Hauptthema des Films aber sind die unverheilten Wunden der türkischen Geschichte, die
durch staatlich verordnetes Verdrängen und Leugnen nur immer tiefer und schwerer heilbar werden und
aktuell in der offiziell nicht existierenden Diskriminierung der Kurden ihre Fortsetzung findet. Dieser
Wunde hatte Ustaoglu ihren Film Reise zur Sonne im Jahr 1999 gewidmet.
Obwohl der Film manchmal schwer
verständlich ist, regt er zur Beschäftigung mit der Geschichte der Türkei im 20.Jahrhundert
und allgemein zur Beschäftigung mit der Frage an, wie eine multikulturelle Gesellschaft funktionieren
kann. Und das betrifft bestimmt nicht nur die Türkei. Als Appell für Toleranz und Humanität
ist dem Film in jedem Land eine weite Verbreitung zu wünschen.
(Derzeit ist der Film leider nur in wenigen
Programmkinos zu sehen, deshalb muss man verstärkt auf Ankündigungen achten.)
Andreas Bodden
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