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Seit den 90er Jahren warnt die WHO vor dem Ausbruch einer erneuten
Grippepandemie und empfahl bereits 1999 allen Ländern dringend, einen sog. Pandemieplan auszuarbeiten.
Im Prinzip sind sich alle Epidemiologen einig, dass es nicht die Frage ist, ob eine mit den drei Pandemien
des 20.Jahrhunderts vergleichbare Grippewelle stattfinden wird, sondern nur, wann. Die Bundesregierung hat
sich etwas Zeit gelassen, der Empfehlung der WHO nachzukommen, aber seit Juli 2005 liegt nun der
"Nationale Influenzapandemieplan" vor.
Pandemien nennt man allgemein den länderübergreifenden oder weltweiten Ausbruch einer
Erkrankung. Pandemien hat es in der Geschichte immer wieder gegeben von der Pest bis zu AIDS. Was
die Influenza A, um eine derer Varianten es sich bei der sog. Vogelgrippe handelt, betrifft, so kostete die
Pandemie von 1918 weltweit zwischen 20 und 50 Millionen Menschen das Leben, bei den Pandemien von 1957 und
1968 starben jeweils etwa 1 Million.
Die Bekämpfung und/oder Verhütung
kann prinzipiell auf drei Wegen erfolgen: Zum einen die Ausrottung der Vektoren (Keimträger) bzw.
allgemeiner gesagt, die Verhinderung der Weiterverbreitung des Virus und des Kontakts mit ihm. Das wurde
bspw. 1997 in Hongkong praktiziert, als man den gesamten Geflügelbestand kurzerhand nach Ausbruch
einer H5N1-Epidemie tötete. Heute würde das jedoch bedeuten, dass man prinzipiell weltweit
sämtliche Vögel töten müsste.
Die zweite Methode ist die der
Schutzimpfung. Impfstoffe gegen H5N1 für Tiere sind bereits erhältlich für Menschen
allerdings nicht. Das hat den Grund, dass der derzeitige H5N1-Erreger für Menschen wenig pathogen ist
und dass zu erwarten ist, dass erst nach einer Mutation des Virus der Erreger entstehen wird, der dann eine
Pandemie auslösen könnte.
Die dritte Methode ist die der Behandlung
der Erkrankung. Dafür stehen im Wesentlichen zwei Mittel zur Verfügung, die jedoch erstens wie
alle antiviralen Medikamente nicht ganz ungiftig sind, zweitens auch keinen vollen Schutz bieten und
drittens gegen bestimmte Mittel bereits Resistenzen bei den Erregern nachgewiesen wurden.
Prinzipiell war bereits 1993 auf einer internationalen Tagung in Berlin eine weltweite
Influenzapandemieplanung gefordert worden. 1999 veröffentlichte die WHO dann einen Musterplan, der
allerdings nach einer Vorbereitungsarbeit des Robert-Koch-Instituts in der BRD erst 2001 auf Initiative der
Bundesländer Anlass für eine nationale Pandemieplanung war. Letztendlich dauerte es dann noch bis
zum Juli 2005, bis dieser Plan veröffentlicht werden konnte.
Allerdings ist er in der
Öffentlichkeit nicht besonders bekannt gemacht worden und ein Teil der daraus folgenden, bereits
laufenden Maßnahmen auch nicht. Da ist zum einen die Frage, wer im Pandemiefalle als erstes in den
Genuss der für rund 15% der Bevölkerung gebunkerten Medikamente kommen soll. Da wird in dem Plan
eine klare Aussage getroffen: "Die Abgabe antiviraler Medikamente im Bedarfsfall sollte, solange diese
nur begrenzt verfügbar sind, priorisiert erfolgen", d.h. für bestimmte Personengruppen
bevorzugt. Das ist ein schöneres Fremdwort als der böse Ausdruck Triage (Aussortieren,
Aussondern).
Gleiches wird über den Einsatz
zukünftiger Impfstoffe diskutiert. Ein Impfstoff gegen ein neues Grippevirus ist frühestens drei
Monate nach erfolgter Identifizierung des Erregers verfügbar und das Problem bei der Vogelgrippe ist,
dass diese Impfstoffe bisher auf angebrüteten Hühnereiern gezüchtet wurden und letztere
naturgemäß bei Ausbreitung der Erkrankung entsprechend dem Ausmaß des Hühnersterbens
knapper werden.
An erster Stelle der
"Priorisierung" stehen generell die Beschäftigten im Gesundheitswesen, an zweiter Stelle die
Ordnungskräfte. Die Autoren des Plans halten sich aber etwas bedeckt: Sie beschreiben drei
mögliche Impfstrategien:
Eine Strategie, die sie mit
"politisch-sozialer Aspekt" überschreiben, wobei die drei priorisierten Gruppen das
medizinische und Pflegepersonal, die Ordnungskräfte und die Berufstätigen sind. Ziele in diesem
Fall sind "die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung und der staatlichen Infrastruktur sowie
die Minimierung der wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie".
Eine zweite, die unter dem
"Aspekt der maximalen Reduktion der Krankheitslast" entwickelt wird. Das Problem besteht darin,
dass unter dem Motto der Verhinderung einer möglichst großen Zahl von Todesfällen zuerst die
Alten geimpft werden müssten, unter dem des wirtschaftlichen Nutzens aber vorrangig junge Erwachsene
und Kinder. Subtile Modellrechnungen untermauern diese Szenarien.
Eine dritte, die davon ausgeht,
zunächst die Gruppen zu impfen, die das Virus am schnellsten weiter verbreiten. Hier läuft nach
der Datenlage alles auf die Beschäftigten im Medizinbereich, Kinder im Schulalter und
arbeitsfähige Erwachsene hinaus.
Eine Entscheidung, welche Priorisierung gewählt werden sollte, trifft der Pandemieplan nicht, das
überlässt er den Politikern. Die allerdings verstoßen im Moment erst einmal munter gegen die
Maßnahme, die in eben diesem Plan richtigerweise als die vordringliche benannt wird: "Je besser
jeder Bürger mit den Tatsachen vertraut ist, desto mehr wird er mit den Informationen etwas anfangen
können, die ihm im Akutfall übermittelt werden ... Dazu bedarf es einer vorhergehenden
Informationspolitik."
Im Gegensatz hierzu versuchen die Landes-
und Bundespolitiker in erster Linie, sich gegenseitig Unfähigkeit nachzuweisen was nicht schwer
ist und die Gelegenheit zu nutzen, Kompetenzen an sich zu reißen, so wie Seehofer, oder gar den
Eindruck zu erwecken, man könne die Influenzawelle durch das Aufsammeln toter Vögel aufhalten,
was grober Unfug ist, denn damit kann man die Ausbreitung allenfalls etwas verlangsamen.
Was allerdings viel schlimmer ist als die
eilfertigen, sich teilweise widersprechenden und nicht gerade der Klarheit dienenden Äußerungen
der politischen Führung ist die Tatsache, dass unter strenger Geheimhaltung die im Pandemieplan
geforderte Priorisierung offensichtlich nicht nur festgelegt wurde, sondern bereits teilweise umgesetzt
wird. Es werden z.B. in Bayern die Angehörigen des Technischen Hilfswerks bereits flächendeckend
gegen Influenza A geimpft. Zwar bestreiten Epidemiologen, dass dies bei einem neu entstandenen Virus viel
nützen wird, aber sicher ist sicher. Damit niemand auf den Gedanken kommt, hier würde jemand
bevorzugt, werden die Geimpften zu strengstem Stillschweigen verpflichtet während in den
letzten Wochen in den Arztpraxen lange Wartelisten für Patienten, die eine Influenzaimpfung
verlangten, angelegt wurden, weil bereits jetzt der Impfstoff knapp geworden ist.
Derartige Geheimstrategien stärken die
Glaubwürdigkeit einer staatlichen Informationspolitik nicht gerade sofern sie überhaupt
stattfindet, denn das, was bisher von Seiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der eigentlich
diese Aufgabe an erster Stelle erfüllen sollte, in dieser Richtung geschah, ist ebenfalls kein
Ruhmesblatt. Und ermannt sich dann doch einmal ein Amtsarzt, wie kürzlich geschehen, und schreibt
einen Leserbrief an die örtliche Zeitung, in dem er angesichts der allgemeinen Hysterie darauf
hinweist, dass in Deutschland jährlich ca. 8000 Menschen an der ganz "normalen" Influenza A
sterben, weltweit bisher aber nur 97 an der Vogelgrippe gestorben sind, dann wird ihm als Beamten die
Veröffentlichung vom Dienstherrn untersagt.
Jede Pandemie macht den inneren und äußeren Rassismus einer Gesellschaft offenbar. Als
seinerzeit die AIDS-Pandemie ausbrach, wurde vollmundig argumentiert, damit sei sozusagen die Schranke
zwischen Industriestaaten und unterentwickelt gehaltenen Ländern aufgehoben. Das erwies sich sehr
schnell als Unsinn, als wirksame und teure Medikamente auf den Markt kamen, die sich in
letzteren niemand leisten konnte. Und so läuft es auch mit der sich anbahnenden Influenzapandemie: In
den reichen Ländern wird Tamiflu gebunkert, dass bei Bayer die Pillenmaschinen heißlaufen
wobei aber auch hier noch feine Unterschiede in der Versorgung gemacht werden , während in den
armen Ländern der Welt dafür kein Geld da ist und natürlich auch keines dafür, tote
Vögel einzusammeln, geschweige denn Katzen einzusperren.
Wenn die Pandemie kommt, dann wird sie ihre
Opfer wieder einmal unter den Ärmsten finden. Denn erstens werden die, wie eben erläutert, als
letzte in den Genuss von Medikamenten und Impfstoffen kommen, und zweitens ist die Sterblichkeit an
Infektionskrankheiten unter anderem sehr stark von der Immunsituation der Betroffenen abhängig, und
letztere wiederum von den Lebens- und insbesondere Ernährungsbedingungen. Und so kommt bei jeder
Epidemie und jeder Pandemie der diesem Gesellschaftssystem innewohnende strukturelle Rassismus zum
Vorschein, sowohl im nationalen wie im internationalen Rahmen. Sollte die Influenzapandemie ausbrechen,
wird man das an den entsprechenden Zahlen ablesen können.
Ernst A. Kluge
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