SoZ - Sozialistische Zeitung |
Im Jahre 1993 reiste ich mit vier weiteren Personen heimlich durch Osttimor,
um Beweise für den von der indonesischen Diktatur verübten Genozid zu sammeln. Es herrschte ein
derart tiefes Schweigen über dieses winzige Land, dass die einzige Landkarte, die ich vor Antritt der
Reise finden konnte, Lücken mit dem Stempel "Höhenangaben unvollständig" aufwies.
Wenige Landstriche sind von
mörderischen Kräften dermaßen verheert und missbraucht worden. Nicht einmal Pol Pot war es
gelungen, im Verhältnis so viele Menschen umzubringen, wie es der indonesische Tyrann Suharto in
geheimem Einverständnis mit der internationalen Gemeinschaft fertigbrachte. In Osttimor traf ich auf
ein Land, das mit Gräbern übersät war, deren schwarze Kreuze einem ins Auge stachen: Kreuze
auf Gipfeln, Kreuze reihenweise an den Hängen, Kreuze am Straßenrand. Sie kündeten von der
Ermordung ganzer Gemeinden, von den Säuglingen bis zu den Alten. Im Jahr 2000, als die Osttimoresen in
einem Akt von Mut, der nur wenige historische Parallelen hat, ihre Freiheit gewannen, setzten die Vereinten
Nationen eine Wahrheitskommission ein; ihr 2500 Seiten starker Bericht wurde nun am 24.Januar
veröffentlicht.
Ich hatte bislang nie derartiges gelesen.
Der Bericht zählt unter Zuhilfenahme zumeist offizieller Dokumente in schmerzlicher Detailliertheit
die gesamte Schande von Osttimors blutigem Leidensweg auf. Er besagt, dass 180000 Osttimoresen von der
indonesischen Armee getötet wurden oder verhungerten. Er beschreibt die "grundlegende
Rolle", die die Regierungen der USA, Großbritanniens und Australiens bei diesem Massaker
spielten.
Amerikas "politische und
militärische Unterstützung war fundamental" bei Verbrechen, die von "Massenexekutionen
zu Zwangsumsiedlungen, sexuellen und anderen schrecklichen Formen von Folter sowie zum Missbrauch von
Kindern" reichten. Großbritannien, ein Mitverschwörer bei der Invasion, war der
größte Waffenlieferant.
Wer durch den gegenwärtig über
dem Irak hängenden Nebel durchblicken und den wirklichen Terrorismus begreifen will, sollte dieses
Dokument lesen. Als ich es las, dachte ich zurück an die Briefe, die Offizielle des
Außenministeriums an besorgte Vertreter der Öffentlichkeit und an Parlamentsabgeordnete nach der
Ausstrahlung meines Films Death of a Nation geschrieben hatten. Obwohl sie die Wahrheit wussten, leugneten
sie, dass von Großbritannien gelieferte Hawk-Kampfflugzeuge in Osttimor mit Strohdächern
versehene Dörfer zerstörten und von Großbritannien gelieferte Maschinengewehre der Marke
Heckler und Koch die Bewohner erledigten. Sie logen auch über das Ausmaß des Leidens.
Und all dies geschieht wieder, eingehüllt in dasselbe Schweigen, und mit einer
"internationalen Gemeinschaft", die erneut die Rolle einer Unterstützerin und
Nutznießerin der Vernichtung eines schutzlosen Volkes spielt. Indonesiens brutale Besetzung
Westpapuas, einer gewaltigen, an Ressourcen reichen und wie Osttimor seiner Bevölkerung gestohlenen
Provinz, ist eines der großen Geheimnisse unserer Zeit.
Man schätzt, dass 100000 Papuaner
10% der Bevölkerung vom indonesischen Militär getötet wurden. Nach Angaben von
Flüchtlingen ist dies nur ein Bruchteil der wirklichen Anzahl. Im Januar erreichten 43 Westpapuaner
die australische Nordküste nach einer gefahrvollen, sechs Wochen dauernden Reise in einem Einbaum. Sie
hatten keine Nahrung mehr, und die letzten Tropfen Trinkwasser hatten sie ihren Kindern gegeben. "Wir
wussten", sagte Herman Wanggai, ihr Anführer, "dass die meisten von uns hätten sterben
müssen, wenn das indonesische Militär uns gefangengenommen hätte. Sie behandeln die
Westpapuaner wie Tiere. Sie töten uns wie Tiere. Zu diesem Zweck haben sie Milizen geschaffen. Es ist
genauso wie in Osttimor."
Über ein Jahr lang versteckten sich
etwa 6000 Menschen im dichten Dschungel, nachdem ihre Dörfer und ihre Ernten von indonesischen
Spezialeinheiten zerstört worden waren. Das Hissen der Flagge von Westpapua wird als
"Verrat" betrachtet. Schon für den Versuch wurden zwei Männer zu 10 bzw. 15 Jahren
Gefängnis verurteilt. Nach einem Angriff auf ein Dorf wurde ein Mann als "Beispiel"
präsentiert und mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt.
Als die Niederlande Indonesien 1949 in die
Unabhängigkeit entließen, argumentierten sie, dass Westpapua eine getrennte geografische und
ethnische Einheit mit einem unterschiedlichen Nationalcharakter sei. Ein im November 2005 vom Institut
für niederländische Geschichte in Den Haag veröffentlichter Bericht enthüllte, dass die
Niederländer insgeheim den "unverkennbaren Beginn der Formierung eines papuanischen Staates"
anerkannt hatten, aber von der US-Regierung unter John F. Kennedy eingeschüchtert wurden, die
"vorübergehende" indonesische Kontrolle über wie es ein Berater des Weißen
Hauses nannte "einige tausend Meilen Kannibalenland" zu akzeptieren.
Die Westpapuaner wurden reingelegt. Die
Niederländer, Amerikaner, Briten und Australier unterstützten einen "Act of Free
Choice", der angeblich von der UNO organisiert wurde. Die Bewegungen eines UN-Beobachterteams aus 25
Personen wurden vom indonesischen Militär eingeschränkt und es wurden ihnen keine Dolmetscher
erlaubt. Im Jahr 1969 stimmten etwa 1000 der 800000 Westpapuaner ab. Sie alle waren von den Indonesiern
ausgewählt worden.
Mit vorgehaltener Waffe waren sie
"einverstanden", unter der Herrschaft von General Suharto zu bleiben. Dieser hatte 1965 die Macht
übernommen; die CIA beschrieb seine Machtübernahme später als "einen der schlimmsten
Massenmorde des späten 20.Jahrhunderts". Im Jahr 1981 vernahm das im Exil abgehaltene Tribunal
über die Menschenrechte in Westpapua von Indonesiens erstem Gouverneur der Provinz, Eliezer Bonay,
dass von 1963 bis 1969 annähernd 30000 Westpapuaner ermordet worden seien. Davon wurde im Westen wenig
berichtet.
Das Schweigen der "internationalen
Gemeinschaft" erklärt sich durch den fantastischen Reichtum Westpapuas. Im November 1967, nachdem
Suharto seine Macht gefestigt hatte, sponserte die Time-Life Corporation eine außerordentliche
Konferenz in Genf. Zu den Teilnehmern gehörten die mächtigsten Kapitalisten der Welt,
angeführt vom Bankier David Rockefeller. Ihnen gegenüber saßen Suhartos Männer, die als
"Berkeley-Mafia" bekannt waren, da einige von ihnen mit Hilfe von Stipendien der US-Regierung an
der University of California in Berkeley studiert hatten.
Drei Tage lang wurde die indonesische Ökonomie aufgeteilt, Sektor für Sektor. Ein Konsortium
aus Amerikanern und Europäern bekam Westpapuas Nickelvorkommen; amerikanische, japanische und
französische Unternehmen seine Wälder. Doch der Hauptpreis die größten
Goldreserven der Welt und das weltweit drittgrößte Kupfervorkommen, buchstäblich ein Berg
aus Kupfer und Gold ging an den US-Bergbaugiganten Freeport-McMoran. Zu dessen Vorstand gehört
Henry Kissinger, der als US-Außenminister Suharto grünes Licht zur Invasion Osttimors gegeben
hatte.
Freeport ist heute wahrscheinlich die
größte einzelne Einkommensquelle für das indonesische Regime: Das Unternehmen soll zwischen
1992 und 2004 33 Milliarden Dollar an Jakarta ausgehändigt haben. Das Volk von Westpapua hat davon nur
wenig gesehen. Im Dezember 2005 sind im Distrikt Yahukimo 55 Menschen verhungert. Die Jakarta Post stellte
die "schreckliche Ironie" des Hungers in solch einer "ungeheuer reichen" Provinz fest.
Laut der Weltbank "leben 38% von Papuas Bevölkerung in Armut, mehr als doppelt soviel wie im
Landesdurchschnitt".
Die Freeport-Minen werden von indonesischen
Spezialkräften bewacht, die zu den kampferprobtesten Terroristen der Welt gehören, wie ihre aus
Osttimor dokumentierten Verbrechen zeigen. Bekannt unter der Bezeichnung Kopassus, wurden sie von den
Briten ausgerüstet und von den Australiern ausgebildet. Im Dezember 2005 verkündete die
australische Regierung Howard, dass sie die "Zusammenarbeit" mit Kopassus auf der australischen
SAS-Basis bei Perth wieder aufnehmen würde. In einer Verdrehung der Wahrheit beschrieb der damalige
australische Verteidigungsminister, Senator Robert Hill, Kopassus als "effizienteste Truppe im Kampf
gegen Flugzeugentführer und Geiselnehmer".
Die Dokumente von
Menschenrechtsorganisationen quellen über mit Beweisen für den Terrorismus von Kopassus. Am
6.Juli 1998 massakrierten Spezialkräfte auf der zu Westpapua gehörenden Insel Biak mehr als
hundert Menschen, darunter überwiegend Frauen. Doch war das indonesische Militär bisher nicht in
der Lage, die Bewegung für ein Freies Papua (OPM Organisasi Papua Merdeki) zu zerschlagen.
Seit 1965 war es fast allein die OPM, die
die Indonesier mutig daran erinnert hat, dass sie Invasoren sind. In den vergangenen zwei Monaten hat der
Widerstand die Indonesier veranlasst, weitere Truppen nach Westpapua zu entsenden. Zwei von
Großbritannien gelieferte gepanzerte Mannschaftstransportwagen sind aus Jakarta angekommen. Sie waren
von den Briten zum ersten Mal während der "ethischen Dimension" der britischen
Außenpolitik unter dem verstorbenen Robin Cook an Indonesien geliefert worden. Von BAE Systems
hergestellte Hawk-Kampfbomber wurden gegen westpapuanische Dörfer eingesetzt.
Das Schicksal der 43 in Australien Asyl
Suchenden ist prekär. Entgegen dem Völkerrecht hat die Regierung Howard sie vom Festland auf die
Weihnachtsinsel verbracht, die Teil einer australischen "Schutzzone" für Flüchtlinge
ist. Wir sollten sorgfältig beobachten, was mit diesen Menschen geschieht.
Wenn die Geschichte der Menschenrechte
nicht die Geschichte der Straflosigkeit der Großmächte ist, dann müssen die Vereinten
Nationen nach Westpapua zurückkehren, wie sie es schließlich in Osttimor getan haben. Oder
müssen wir immer erst warten, bis der Kreuze noch mehr werden?
John Pilger
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