SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 21

Manfred Behrend: Eine Geschichte der PDS. Von der zerbröckelnden Staatspartei zur Linkspartei, Köln: ISP, 2006, 212 Seiten, 16,90 Euro

Das Vermächtnis der "Ankommer"

Einmal mehr befindet sich Deutschlands Linke in einem große Hoffnungen weckenden Neuformierungsprozess. Bildet sich hier eine neue, erstmals wirklich gesamtdeutsche Linkspartei heraus, die in der Lage ist, die vorherrschende Hegemonie des rot-schwarz-gelb-grünen Neoliberalismus gleichermaßen ideologisch wie praktisch in Frage zu stellen?
Der Historiker und Publizist Manfred Behrend hält die Chancen für eine linke Umkehrung der vorherrschenden Trends für groß. Doch nicht weniger groß schätzt er die Gefahren des konkreten Vereinigungsprojektes ein. Um seine Sicht angemessen in die Diskussion einzubringen, hat er ein ganzes Buch geschrieben: die, wie sie der Verlag nennt, erste sozialistische Geschichte der PDS.
Behrend versteht sein Werk als eine Provokation zum Streit. Doch, nicht ungewöhnlich für diesen Autor, das Buch provoziert weniger durch Wortgewaltigkeit oder geschliffene Eleganz als durch die schnörkellose Nüchternheit, mit welcher Behrend der PDS (und der Linken) den Spiegel vorhält.
Behrend betätigt sich einmal mehr als Chronist, der nacherzählt, "wie es gewesen ist", wie sich die PDS in den 15 Jahren ihrer Existenz entwickelt hat, welche Sträuße sie ausgefochten und welche Debatten sie geführt hat. Seine nichts desto trotz vorhandene Parteilichkeit für die heterogene Parteilinke bleibt dabei unaufdringlich und bewahrt sich ihr gegenüber eine erfrischend kritische Distanz.
Behrend distanziert sich gleich zu Beginn von jenen Linken, für die der Zusammenbruch der DDR und die ihr folgende Entwicklung der PDS ein Produkt westlich-bürgerlicher Verschwörung gewesen sei. Er spendet stattdessen der PDS der ersten Jahre viel Lob, beschreibt sie als antistalinistische und lebendige linke Oppositionspartei, die "von den zum System gehörenden Gruppen größtenteils erbittert bekämpft (wurde)".
Er macht jedoch gleichzeitig aus dem paternalistischen Politbürokratismus fortwirkende Traditionen eines Vorstandszentralismus von oben und eine allzu subalterne Unterordnungsbereitschaft der überwiegend passiven Mitgliedschaft aus. Von Beginn an hätten sich zudem "sozialdemokratische" Illusionen in einen vermeintlich überwundenen Herrschafts- und Klassencharakter der westdeutschen Verhältnisse mit "sozialdemokratischen" Träumen vom parlamentarischen Weg in einen neuen Sozialismus gepaart.
Schlüssig zeigt er auf, wie sich die die weitere Parteigeschichte prägenden innerparteilichen Strömungen erst im Kontext der späteren Auseinandersetzungen herausgebildet haben. Die "Neoreformisten", die zivilgesellschaftlichen Modernisierer um die Gebrüder Brie und Gregor Gysi also, und die sich vor allem um die Kommunistische Plattform (KPF) und ihre DDR-Identität gruppierenden "Neostalinisten" verfingen sich ab 1990/91 in einem Flügelkampf, dessen dynamischen Hintergrund Behrend treffend andeutet, als er en passant darlegt, wie sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre ein Schleier der Ohnmacht und Entpolitisierung über die Bevölkerung in Ost und West legte. Die Parteikämpfe spiegelten die wirklichen gesellschaftlichen Kämpfe nur noch recht verzerrt wieder. Und der um die "Modernisten" sich gruppierende Parteiapparat spielte seine institutionellen Machtmöglichkeiten zunehmend aus. Stützen konnte er sich dabei auf die mit den Wahlerfolgen im Osten einhergehende kommunalpolitische Funktionärsbasis der Partei, deren Arbeitslogik nicht gerade der Logik linker Gegenmachtskonzepte folgte.
Zu kurz kommen bei Behrend allerdings der gesellschaftspolitische Hintergrund und die Rolle der Westlinken. Erst die Rolle der epochalen linken Niederlage in der ersten Hälfte der 90er Jahre (nicht nur in Deutschland) und die Verfallskämpfe der Westlinken erschließen die ganze Tragik der Entwicklung und geben den PDS-"Ankommern" wie den neostalinistischen Verweigerern ihre verheerend erfolgreiche Dynamik. Dass die heterogene Parteilinke (außer der KPF v.a. noch das Marxistische Forum und der Geraer Dialog) nie wirklich zusammengekommen ist, hat gleichermaßen subjektive wie objektive Ursachen.
Auch der sich Ende der 90er Jahre rapide entwickelnde Durchmarsch der "Ankommer"-Fraktion um André Brie, Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Roland Claus fand seinen besonderen Flair in den Illusionen der "rot-grünen" Linken. Endlich sah man seine lange verweigerte gesellschaftliche Anerkennung in greifbarer Nähe, war bereit, den politischen Preis in Form von Zugeständnissen beim Sozialkahlschlag und beim militärischen Marsch in den "humanitären Interventionismus" zu zahlen und polemisierte gegen jene "dogmatischen Linken und Sektierer", die dem entgegenstanden.
Dieselbe "rot-grüne" Dynamik bescherte der Parteiopposition aber auch ihren letzten Höhenflug, als die Parteispitze auf dem Münsteraner Parteitag im April 2000 gerade bei der geforderten Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen eine massive Abstimmungsniederlage erlitt, die, wie Behrend aufzeigt, zwar von den Linken formuliert wurde, aber "aus der Mitte der Partei" kam. Die hierdurch ausgelöste tiefe Parteikrise konnte jedoch von der uneinigen Linken nicht ausgenutzt wurde. Die neue Vorsitzende Gabi Zimmer schwankte und verbündete sich bald erneut mit den marginalisierten "Parteirechten" (Behrend) um Gysi und Co. Es begann die Zeit der Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg- Vorpommern, der Enttäuschungen und Wahlschlappen.
Das unerwartete Scheitern an der 5%- Hürde bei der Bundestagswahl im September 2002 führte schließlich zum innerparteilichen "Putsch" (Behrend) gegen die neue, schwankende Parteiführung um Zimmer, Hiksch und Dehm. Der Geraer Dialog zerfiel, Winfried Wolf verließ die Partei und die KPF und Dieter Dehm machten ihren Frieden mit der Partei.
Die zu Beginn des neuen Jahrhunderts zur reinen Ostpartei heruntergekommene PDS ist also alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Und doch sind gerade jene "Regierungssozialisten", die für diese Entwicklung verantwortlich sind, in den führenden Positionen der sich nun vereinigenden Linkspartei. Und sie tragen noch immer mit Stolz das Banner desjenigen, "der zur Beförderung der eigenen Macht politische Geschäfte machen will und sich dazu immer mehr dem herrschenden System anpasst, das allein lukrative Karrieren gewährleistet — zulasten der eigenen Wählerklientel".
Bietet die aus den auch gegen die PDS- Praxis gerichteten Anti-Hartz-Protesten hervorgegangene WASG ein ausreichendes Gegengewicht? Behrend zeigt sich verhalten: Das "von der WASG mitgeschleppte Gewicht besteht aus weiter vorhandenen sozialbürokratischen und antikommunistischen Traditionen sowie der Gegnerschaft rechts stehender Funktionäre den Linken gegenüber".
Das mag manchem zu pessimistisch sein, doch es ist weder feindlich noch "sektiererisch" gemeint und soll, wie gesagt, zum Streit herausfordern. Leider wird dieser Streit ohne Manfred Behrend stattfinden müssen: Er ist nach Vollendung des Manuskripts im vergangenen Januar viel zu früh verstorben (vgl. SoZ 2/06).

Christoph Jünke

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