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Einmal mehr befindet sich Deutschlands Linke in einem große Hoffnungen
weckenden Neuformierungsprozess. Bildet sich hier eine neue, erstmals wirklich gesamtdeutsche Linkspartei
heraus, die in der Lage ist, die vorherrschende Hegemonie des rot-schwarz-gelb-grünen Neoliberalismus
gleichermaßen ideologisch wie praktisch in Frage zu stellen?
Der Historiker und Publizist Manfred
Behrend hält die Chancen für eine linke Umkehrung der vorherrschenden Trends für groß.
Doch nicht weniger groß schätzt er die Gefahren des konkreten Vereinigungsprojektes ein. Um seine
Sicht angemessen in die Diskussion einzubringen, hat er ein ganzes Buch geschrieben: die, wie sie der
Verlag nennt, erste sozialistische Geschichte der PDS.
Behrend versteht sein Werk als eine
Provokation zum Streit. Doch, nicht ungewöhnlich für diesen Autor, das Buch provoziert weniger
durch Wortgewaltigkeit oder geschliffene Eleganz als durch die schnörkellose Nüchternheit, mit
welcher Behrend der PDS (und der Linken) den Spiegel vorhält.
Behrend betätigt sich einmal mehr als
Chronist, der nacherzählt, "wie es gewesen ist", wie sich die PDS in den 15 Jahren ihrer
Existenz entwickelt hat, welche Sträuße sie ausgefochten und welche Debatten sie geführt
hat. Seine nichts desto trotz vorhandene Parteilichkeit für die heterogene Parteilinke bleibt dabei
unaufdringlich und bewahrt sich ihr gegenüber eine erfrischend kritische Distanz.
Behrend distanziert sich gleich zu Beginn
von jenen Linken, für die der Zusammenbruch der DDR und die ihr folgende Entwicklung der PDS ein
Produkt westlich-bürgerlicher Verschwörung gewesen sei. Er spendet stattdessen der PDS der ersten
Jahre viel Lob, beschreibt sie als antistalinistische und lebendige linke Oppositionspartei, die "von
den zum System gehörenden Gruppen größtenteils erbittert bekämpft (wurde)".
Er macht jedoch gleichzeitig aus dem
paternalistischen Politbürokratismus fortwirkende Traditionen eines Vorstandszentralismus von oben und
eine allzu subalterne Unterordnungsbereitschaft der überwiegend passiven Mitgliedschaft aus. Von
Beginn an hätten sich zudem "sozialdemokratische" Illusionen in einen vermeintlich
überwundenen Herrschafts- und Klassencharakter der westdeutschen Verhältnisse mit
"sozialdemokratischen" Träumen vom parlamentarischen Weg in einen neuen Sozialismus gepaart.
Schlüssig zeigt er auf, wie sich die
die weitere Parteigeschichte prägenden innerparteilichen Strömungen erst im Kontext der
späteren Auseinandersetzungen herausgebildet haben. Die "Neoreformisten", die
zivilgesellschaftlichen Modernisierer um die Gebrüder Brie und Gregor Gysi also, und die sich vor
allem um die Kommunistische Plattform (KPF) und ihre DDR-Identität gruppierenden
"Neostalinisten" verfingen sich ab 1990/91 in einem Flügelkampf, dessen dynamischen
Hintergrund Behrend treffend andeutet, als er en passant darlegt, wie sich in der ersten Hälfte der
90er Jahre ein Schleier der Ohnmacht und Entpolitisierung über die Bevölkerung in Ost und West
legte. Die Parteikämpfe spiegelten die wirklichen gesellschaftlichen Kämpfe nur noch recht
verzerrt wieder. Und der um die "Modernisten" sich gruppierende Parteiapparat spielte seine
institutionellen Machtmöglichkeiten zunehmend aus. Stützen konnte er sich dabei auf die mit den
Wahlerfolgen im Osten einhergehende kommunalpolitische Funktionärsbasis der Partei, deren Arbeitslogik
nicht gerade der Logik linker Gegenmachtskonzepte folgte.
Zu kurz kommen bei Behrend allerdings der
gesellschaftspolitische Hintergrund und die Rolle der Westlinken. Erst die Rolle der epochalen linken
Niederlage in der ersten Hälfte der 90er Jahre (nicht nur in Deutschland) und die Verfallskämpfe
der Westlinken erschließen die ganze Tragik der Entwicklung und geben den PDS-"Ankommern"
wie den neostalinistischen Verweigerern ihre verheerend erfolgreiche Dynamik. Dass die heterogene
Parteilinke (außer der KPF v.a. noch das Marxistische Forum und der Geraer Dialog) nie wirklich
zusammengekommen ist, hat gleichermaßen subjektive wie objektive Ursachen.
Auch der sich Ende der 90er Jahre rapide
entwickelnde Durchmarsch der "Ankommer"-Fraktion um André Brie, Gregor Gysi, Dietmar Bartsch
und Roland Claus fand seinen besonderen Flair in den Illusionen der "rot-grünen" Linken.
Endlich sah man seine lange verweigerte gesellschaftliche Anerkennung in greifbarer Nähe, war bereit,
den politischen Preis in Form von Zugeständnissen beim Sozialkahlschlag und beim militärischen
Marsch in den "humanitären Interventionismus" zu zahlen und polemisierte gegen jene
"dogmatischen Linken und Sektierer", die dem entgegenstanden.
Dieselbe "rot-grüne" Dynamik
bescherte der Parteiopposition aber auch ihren letzten Höhenflug, als die Parteispitze auf dem
Münsteraner Parteitag im April 2000 gerade bei der geforderten Beteiligung an internationalen
Militäreinsätzen eine massive Abstimmungsniederlage erlitt, die, wie Behrend aufzeigt, zwar von
den Linken formuliert wurde, aber "aus der Mitte der Partei" kam. Die hierdurch ausgelöste
tiefe Parteikrise konnte jedoch von der uneinigen Linken nicht ausgenutzt wurde. Die neue Vorsitzende Gabi
Zimmer schwankte und verbündete sich bald erneut mit den marginalisierten "Parteirechten"
(Behrend) um Gysi und Co. Es begann die Zeit der Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-
Vorpommern, der Enttäuschungen und Wahlschlappen.
Das unerwartete Scheitern an der 5%-
Hürde bei der Bundestagswahl im September 2002 führte schließlich zum innerparteilichen
"Putsch" (Behrend) gegen die neue, schwankende Parteiführung um Zimmer, Hiksch und Dehm. Der
Geraer Dialog zerfiel, Winfried Wolf verließ die Partei und die KPF und Dieter Dehm machten ihren
Frieden mit der Partei.
Die zu Beginn des neuen Jahrhunderts zur
reinen Ostpartei heruntergekommene PDS ist also alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Und doch sind
gerade jene "Regierungssozialisten", die für diese Entwicklung verantwortlich sind, in den
führenden Positionen der sich nun vereinigenden Linkspartei. Und sie tragen noch immer mit Stolz das
Banner desjenigen, "der zur Beförderung der eigenen Macht politische Geschäfte machen will
und sich dazu immer mehr dem herrschenden System anpasst, das allein lukrative Karrieren gewährleistet
zulasten der eigenen Wählerklientel".
Bietet die aus den auch gegen die PDS-
Praxis gerichteten Anti-Hartz-Protesten hervorgegangene WASG ein ausreichendes Gegengewicht? Behrend zeigt
sich verhalten: Das "von der WASG mitgeschleppte Gewicht besteht aus weiter vorhandenen
sozialbürokratischen und antikommunistischen Traditionen sowie der Gegnerschaft rechts stehender
Funktionäre den Linken gegenüber".
Das mag manchem zu pessimistisch sein, doch
es ist weder feindlich noch "sektiererisch" gemeint und soll, wie gesagt, zum Streit
herausfordern. Leider wird dieser Streit ohne Manfred Behrend stattfinden müssen: Er ist nach
Vollendung des Manuskripts im vergangenen Januar viel zu früh verstorben (vgl. SoZ 2/06).
Christoph Jünke
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