SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2006, Seite 21

Die Grenzgänger & Frank Baier: 1920 — Lieder der Märzrevolution, Bremen: Müller-Lüdenscheidt-Verlag/Conträr-INDIGO, 17,90 Euro. Infos und Hörbeispiele: "www.revoluzzen.de"

Tage des Donners

Keine anderthalb Jahre nach der unvollendet gebliebenen deutschen Novemberrevolution, am 13.März 1920, begann die Konteroffensive der reaktionären und ständestaatlichen Kräfte. Die bei Berlin stationierte Brigade Ehrhardt marschierte mit Stahlhelm und Hakenkreuz durch das Brandenburger Tor.
Der Kapp-Putsch war ernst gemeint, aber noch recht dilettantisch ausgeführt. Die Regierung floh Hals über Kopf ins schwäbische Stuttgart und rief die Bevölkerung dazu auf, "die Sache selber in die Hand" zu nehmen. Arbeitergruppen im ganzen Land bewaffneten sich und ergänzten den umfassend ausbrechenden Generalstreik. Nach fünf Tagen konnte die Regierung erfolgreich nach Berlin zurückkehren, doch der Gegen-Aufstand hatte schon eine über die Abwehr der rechtsradikalen Gefahr hinausweisende Eigendynamik entfaltet. Vor allem im Ruhrgebiet, dem industriellen Herz Deutschlands, hatte sich eine Rote Ruhrarmee gebildet, die mehrere zehntausend bewaffnete Kämpfer zählte und einen konsequenteren Kurs gegen Kaisertreue und Anhänger der Profitwirtschaft forderte.
Der Arbeiteraufstand blieb jedoch isoliert und wurde mit dem Einmarsch der Regierungstruppen und Freikorps blutig niedergeschlagen. Die berüchtigten Freikorps hatten 1919 bereits den Berliner Spartakusaufstand und die Münchner Räterepublik niedergemetzelt und u.a. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Gustav Landauer ermordet. Nun schickte der sozialdemokratische Reichswehrminister Noske seine Bluthunde gegen die Rote Ruhrarmee. Über 1000 Rotarmisten und Zivilisten wurden daraufhin massakriert — mit Methoden eines weißen Terrors, der bereits Ähnlichkeiten zu den Methoden der späteren Naziherrschaft aufweist.
Der in Blut ertränkte "Frühling im Revier" — "der einzige politische Generalstreik in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, der diesen Namen verdient", "ein Markstein in der demokratischen Tradition Deutschlands", wie ihn der Historiker Erhard Lucas nannte — wurde schnell der Verleumdung und Vergessenheit anheim gegeben. Doch in den gesellschaftlichen Subkulturen, vor allem in der Subkultur der alten Arbeiterbewegung, lebte die Erinnerung an die Ereignisse weiter, in mündlich weiter getragenen Geschichten und in Volksgesängen. Erst nach "1968", in den 70er Jahren, nahmen sich politisch Engagierte, Historiker (v.a. Erhard Lucas) und Künstler (u.a. Ton Steine Scherben) dieses Themas wieder an und begannen, den tiefen Riss in der Geschichte aufzuarbeiten.
Die Bremer Grenzgänger, Preisträger der deutschen Schallplattenkritik, haben sich nun dieses Themas wieder angenommen und zusammen mit dem Ruhrgebiets-Original Frank Baier eine CD produziert, die höchsten Ansprüchen genügt und nicht nur durch viel Liebe und Sorgfalt besticht, sondern auch durch eine musikalische Vielfältigkeit, die man im Bereich des eher altbackenen Arbeiterliedgutes selten antrifft. Neben Liedern und Sprechgesängen, die direkt im Kontext der Roten Ruhrarmee und der damaligen Arbeiterviertel des Ruhrgebiets entstanden, finden sich ungewöhnliche Adaptionen der Internationale oder von Rio Reiser. Beeindruckend auch die Vertonung eines ergreifenden Gedichts von Ferdinand Freiligrath aus dem Revolutionsjahre 1848, und überaus erfrischend sind gerade jene alten Lieder, die nun als Rap daherkommen und keine Spur von Kitsch oder bemühter Langeweile aufweisen.
Insgesamt ein gelungenes musikalisches Crossover, dass die historischen Auseinandersetzungen zwischen Herr und Knecht ebenso aufzeigt wie ihre Aktualität. Beigefügt ist zudem ein ausgesprochen schön gemachtes und informatives 68- seitiges Booklet.

Christoph Jünke

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