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Der Angriff der neoliberalen Klonkrieger auf die Fundamente der Republik ist in
vollem Gang. Der Zug zu einer der grundlegendsten Umgestaltungen der BRD scheint fast nicht mehr aufzuhalten zu
sein. Auf das Stehvermögen von SPD-Abgeordneten um den Bundestagsvizepräsidenten Thierse, die
wenigstens für den Bereich Bildung das Schlimmste verhindern wollen, ist wenig Verlass: zu sehr wirkt
letzten Endes immer noch die autoritäre innerfraktionelle Disziplinierung. Thierse ist eben kein Jedi-
Ritter.
Spät, zu spät, ist von der Öffentlichkeit, der kritischen und linken gar nicht zu
sprechen, bemerkt worden, was da zur Zeit in Bundestag und Bundesrat unter der Tarnkappenbezeichnung
Föderalismusreform verhandelt wird. In SoZ 4/04 wies ich darauf hin, was mit der Umsetzung dieses
großkoalitionären Vorhabens droht: der Einstieg in den föderalen Wettbewerbsstaat.
Die parlamentarischen Beratungen dieses Mammutunternehmens haben nun am 10.März 2006 begonnen und
sollen nach dem Willen von CDU und SPD noch vor der parlamentarischen Sommerpause beendet werden. Nur die
Linkspartei im Bundestag und Ministerpräsident Ringstorff für das "rot-rote" Mecklenburg-
Vorpommern gehören zur kleinen Schar derer, die in Bundestag und -rat die zusehends zerschlissene Fahne
des föderativen Bundes mit Sozialstaatsverpflichtung hochhalten. Kein Zweifel: der Angriff der
neoliberalen Klonkrieger auf die bereits rissigen Fundamente des alten bundesrepublikanischen Föderalismus
hat begonnen, ein Sieg des Imperiums ist sehr wahrscheinlich.
Bundestag und Bundesrat hatten im Oktober 2003
eine gemeinsame Kommission zur "Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" eingesetzt.
Vordergründig ging es darum, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu
verbessern und die Finanzverantwortlichkeiten den jeweiligen politischen Entscheidungsebenen von Bund und
Ländern besser zuzuordnen. Dazu sollten die Gesetzgebungskompetenzen neu verteilt, die wechselseitigen
Mitwirkungsrechte verschlankt und die Finanzbeziehungen neu geordnet werden.
Es war gemeinsamer Befund der großen
Parteien und der Ländermehrheit, dass die bundesstaatliche Ordnung von langwierigen und komplizierten
Entscheidungsprozessen geprägt sei und an einem "Übermaß an demokratie- und
effizienzhinderlichen Verflechtungen" von Bund und Ländern leide. Das führe zur
Verzögerung, gar Verhinderung wichtiger Gesetze oder zu in sich nicht stimmigen Kompromissen, bei denen
die jeweilige politische Verantwortlichkeit oft nicht zu erkennen sei.
Die von dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden
Müntefering und auf Länderseite von Stoiber geleitete Kommission legte ein knappes Jahr später
ein Ergebnis vor, das sich jedoch am 17.12.2004 als nicht einigungsfähig erwies. Die Verhandlungen
köchelten auf kleiner Flamme bis zu den von Schröder herbeigeputschten Bundestagswahlen. Im
Koalitionsvertrag vom 18.11.2005 erzielten SPD und CDU eine Einigung über die Umsetzung der
Föderalismusreform. Allein dies zeigt, welche Bedeutsamkeit dieses Vorhaben für die Neoliberalen in
den Parteien hat.
Allerdings: vordergründig handelt es sich
um ein Vorhaben, dass in seiner Schlichtheit von imperialer Seite bestechend dargestellt wird und auch von
Demokraten und Sozialisten unterstützt werden könnte. Wer wollte etwas gegen Transparenz und
Klarheit, die Zusammenführung von politischer und Finanzierungsverantwortlichkeit haben? Kein Linker
jedenfalls. Aber natürlich verbirgt sich hinter dem Anspruch eine vollkommen andere Absicht.
Mit der Föderalismusreform werden den Ländern Gesetzgebungskompetenzen in den Bereichen
Öffentliches Dienstrecht, Hochschulrecht, Umweltrecht, Versammlungsrecht, Strafvollzug, Ladenschluss
u.v.m. übertragen. Der Bundesrat soll zukünftig weit weniger Bundesgesetzen als bisher zustimmen
müssen.
Die Länder übernehmen in den
Bereichen sozialer Wohnungsbau, Gemeindeverkehrsfinanzierung, Hochschulbau und Bildungsplanung die Aufgaben des
Bundes und erhalten dafür zweckgebundene Kompensationszahlungen von etwa 2,5 Milliarden Euro jährlich
bis 2013; danach wird erneut verhandelt. Für den Bereich des Umweltrechts behält der Bund seine volle
Regelungskompetenz, aber die Länder haben ab 2009 Abweichungsrechte, mit denen sie Sonderregelungen und
Ausnahmetatbestände treffen können.
Umstritten sind nach langem
Dornröschenschlaf der Bildungspolitiker in den großen Parteien und Ländern besonders die
Fragen der Bildungs- und Hochschulbaukompetenz. 16 verschiedene Bildungssysteme in Deutschland ein
Alptraum; der Verteilungsschlüssel für die vom Bund zu übertragenden Hochschulbaumittel
benachteiligt die Nordländer, wie diese nach drei Jahren Verhandlungen nun doch bemerkt haben.
Fazit: Rechtszersplitterung, Ungleichheit und
Aufgabe des Anspruchs auf gleichmäßige Entwicklung der Republik alles Elemente des gewollten
Wettbewerbsföderalismus. Man reibt sich die Augen und fragt: wie konnten denn diese Leute so lange so
ahnungslos sein wie die Jedi-Ritter vor der Rache der Sith?
Unverkennbar hat damit nach Einschätzung
aller kritischen Beobachter eine Entwicklung ihren ersten Höhepunkt erreicht, mit der "die
Voraussehbarkeit, ja die Steuerbarkeit des politischen Prozesses erheblich" (Michael Jäger)
beeinträchtigt wird. Oder zugespitzter formuliert: die Formierung der Bundesrepublik im Sinne einer
neoliberalen "Wettbewerbsordnung" ist erheblich vorangekommen. Konkurrenz um die besten
Standortbedingungen für transnationale Konzerne bei gleichzeitiger autoritärer innerer Formierung der
Bundesländer, am besten nach dem Vorbild Bayerns, wird nun zum gewohnten Alltag eines Föderalismus.
Seine Funktion als ein jeden autoritären Zentralismus hemmender Verfassungsgrundsatz verliert er damit.
Denn eines ist auch klar: weitere Schritte
werden folgen die reichen Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und
Bayern werden bei der nun folgenden Runde den Ausgleichsfaktor Länderfinanzausgleich in seiner alten
Funktion beseitigen. Der hessische Finanzminister Weimar hat dies im Zusammenhang mit den Klagen Berlins,
Bremens und des Saarlands gegen den Bund auf weitere Ergänzungszuweisungen vor dem
Bundesverfassungsgericht bereits angekündigt. Das wäre das endgültige Ende der alten Republik.
Der deutsche Föderalismus hat in seiner Geschichte einen mehrfachen Funktionswechsel hinter sich, auf
dessen Verteidigung sich die Linke nicht versteifen sollte.
Die Vielzahl der deutschen Länder unter
einem ökonomisch, militärisch und politisch dominanten Preußen war ein Relikt aus der Geschichte
Deutschlands. Aus Klein- und Kleinststaaten war mit dem Deutschen Reich 1871 politisch eher ein Staatenbund als
ein Bundesstaat entstanden. Die Nazis setzten nach ihrer Machtergreifung 1933 und der Ausschaltung ihrer
bürgerlichen Koalitionspartner der Eigenexistenz der Länder recht bald ein Ende und bereinigten die
bunte Karte der deutscher Länder. Völlig gleichgültig gegenüber der alten historischen
Gliederung der Deutschen in Landschaften und Länder sollte der Berliner Zentralismus dafür sorgen,
die Ressourcen der Länder in einer zentralistischen Diktatur für Aufrüstung, Krieg und
Völkermord besser nutzen zu können.
Nach der Niederlage des Faschismus schufen die
Alliierten nach Gesichtspunkten verwaltungsmäßiger und wirtschaftlicher Praktikabilität neue
Gebilde wie Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Sie zerschlugen den alten
Moloch Preußen, andererseits aber auch die Kleinstaaterei mit Miniaturgebilden wie Schaumburg-Lippe oder
der einer Freien Hansestadt Lübeck. Im Grundgesetz wurde das Föderalismusprinzip auf dieser neuen
territorialen Grundlage verankert und die neuen Länder gegen Verfassungsänderungen geschützt,
wodurch sie die Qualität von Staaten oder deren wesentlichen Attribute einbüßten: der
"Rheinische Kapitalismus" war nach Artikel 72 und 106 des Grundgesetzes auf die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im
gesamtstaatlichen Interesse vereidigt. So wurde das agrarisch geprägte Bayern nach 1949 durch eine
Kombination aus der "Republikflucht" qualifizierter Facharbeit aus dem Osten und umlagefinanzierter
Wirtschaftsförderung aus dem Westen zu dem katholisch-autoritären Musterland des Südens, als das
es sich heute gegenüber dem ärmeren Norden und proletarischen Berlin aufzuspielen versucht.
Es ist nun die Tragik des Grundgesetzes, dass
mit der in ihm geforderten deutschen Einheit und dem Druck durch neoliberale Globalisierung und die neue
Qualität der Europäischen Union das Ende der alten Föderalordnung eingeläutet wurde. In
seiner jetzigen Gestalt nicht überlebensfähig, halten die politischen Eliten jedoch an diesem Modell
fest, weil sie in den zunehmend funktionslosen Länderparlamenten und Ministerialbürokratien ihre
Pfründe nicht preisgeben wollen.
Es steht also zu befürchten, dass die alte Republik nicht mehr zu retten ist. Mit dem Signal des
Berliner PDS-Chefs Liebich, wegen der Bundesmittel, die im Zuge der geplanten Hauptstadtklausel in das
löcherige Haushaltssäckel Berlins fließen werden, dem Gesamtpaket zuzustimmen, ist nicht einmal
im Bundesrat mit größerem Widerstand zu rechnen. Die Versuche von Ministerpräsident Ringstorff,
das Schlimmste durch Änderungsanträge am Gesetzespaket abzuwenden, sind zwar ehrenhaft, werden aber
erfolglos bleiben. Eben auch kein Jedi-Ritter: zu lange haben alle, auch die Vertreter Schwerins, an der Suppe
mitgekocht, die jetzt serviert wird.
Ein strategischer Ansatzpunkt muss an anderer
Stelle gesucht werden: auf der politischen Tagesordnung steht eine demokratische Länderneugliederung, die
den solidarischen Ausgleich ökonomischer Wachstumszonen und sich entleerender ländlicher Räume
organisiert und die Balance zwischen Nord- und Süd-, West- und Ostdeutschland wiederherstellt.
Die heutigen Bundesländer haben als
politische und ökonomische Funktionseinheiten (mittelfristig) ausgedient. Ein Bundesland Bremen ist ebenso
wie ein Bundesland Saarland anachronistisch. Die regionale Entwicklung im heutigen Europa vollzieht sich real
in grenzüberschreitenden europäischen Großregionen bzw. sog. Metropolregionen. Diese
Metropolregionen sind im Kalkül der politischen Eliten der kapitalistischen Wachstumskerne und Unternehmer
längst ökonomische und regionalpolitische Realitäten.
Die Metropolregion Hamburg mit über 3
Millionen Einwohnern in Hamburg und 14 Landkreisen drumherum ist dafür ein Beispiel. Der Hamburger Hafen
ist ein regional so bedeutsamer Arbeitgeber, das keines der benachbarten Bundesländer ernsthaft gegen
dessen Ansprüche aufzutreten wagt, höchstens bei Marginalien. So wagen weder Kiel noch Hannover
wirklich den Aufstand gegen die ökologisch und ökonomisch unsinnige Vertiefung der Elbe.
Die alte Bund-Länder-Gliederung ist
hierbei also nur noch ein störendes Faktum, aber keine wirkliche Schranke mehr. Selbst bei der EU in
Brüssel findet sich daher eine eigene Vertretung der Metropolregion Hamburg. Der Planungsraum der
Hamburger Senatskanzlei ist der gesamte Ostseeraum. Von Beusts Flächen-, Wirtschafts- und Regionalpolitik
schert sich nur wenig um die Grenzen zu Hannover und Kiel. Beweis dafür sind die Vielzahl
grenzüberschreitender Projekte und Aktivitäten in den Bereichen Wirtschaftsförderung,
Verkehrsnetze, Wissenschaft und Technologie, Telekommunikation, Hafenpolitik, Schifffahrt und Umweltschutz, die
den neoliberalen Modernisierungsprozess befördern. Eine demokratische Kontrolle dieses Prozesses findet
bislang nicht statt.
Durch die geschilderten ökonomischen und
demografischen Entwicklungen verlieren die alten Länder neben ihrer inneren Stabilität auch die
politische Kontrolle. Eine Forderung der Linken muss daher lauten, diese Prozesse durch eine
Länderneugliederung zumindest wieder einer ansatzweisen parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen: das
heißt bspw. für Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen die Schaffung eines Nordstaates
mit starken Regionalversammlungen in den Teilräumen.
In diesen Prozess aktiv einzugreifen, die
parlamentarischen Vertretungen der Linken zu nutzen, um eine solche solidarische Neugliederung mit leistungs-
und lebensfähigen neuen Ländern einzufordern, dass könnte eine Antwort der Linken sein.
Stefan Janson
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