SoZ - Sozialistische Zeitung |
Keine Privatisierung größeren Stils geht ohne Berater.
"Berater" klingt diskret, professionell, kompetent. Doch die Berater, die als
Wirtschaftsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuer- und Unternehmensberater tätig sind, stellen
selbst eine extrem profitorientierte Industrie dar. Und die traditionelle Bindung der Berater an die
Privatunternehmen ist stärker als die Bindung an die neuerdings beratenen Staaten und Kommunen.
Seit 1912 gehörten die Rheinischen Wasserwerke (RWW) den Städten Mülheim, Bottrop
und Gladbeck. Als CDU und Grüne 1999 in Mülheim die erste schwarz-grüne Koalition in einer
deutschen Großstadt bildeten, lautete ihr wichtigster Programmpunkt: Privatisierung. Es wurde
beschlossen, 60% der RWW zu verkaufen, eine Sperrminorität von 25% sollte bei den Kommunen bleiben.
Mit dem Verkaufserlös wollten die drei Städte ihre überschuldeten Haushalte sanieren. Damals
galt in der ganzen Republik das Glaubensbekenntnis: "Ein kommunales Unternehmen kann nur mit einem
starken strategischen Partner überleben."
Ohne Ausschreibung wurde mit RWE Aqua
verhandelt, der Wasserholding der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE).
Nachträglich machte die Gelsenwasser AG ein Angebot, das etwa 40 Millionen Euro höher lag.
Trotzdem bevorzugte Mülheims Oberbürgermeister Baganz, der als Verhandlungsführer agierte,
das niedrigere RWE-Angebot. Außerdem ging er ohne Ratsbeschluss auf den Vorschlag von RWE ein, statt
60% 80% zu verkaufen, sodass die Städte ihre Sperrminorität verloren. Im April 2002 wurde der
Vertrag unterzeichnet, natürlich in der Schweiz darauf hatte RWE Wert gelegt.
Danach wurde weiter privatisiert: Das
städtische Energieunternehmen (MEDL Mülheimer Energiedienstleistungs-GmbH) verkaufte 49%
an Rhenag, eine RWE-Tochter; die städtische Abfallgesellschaft (MEG Mülheimer Entsorgungs-
GmbH) verkaufte 49% an Trienekens, eine RWE-Tochter usw., jeweils ohne Ausschreibung. Inzwischen sind nur
die städtischen Altenheime noch nicht privatisiert.
So geriet die "grüne Stadt" des Ruhrgebiets unter die Kontrolle von RWE. Das merkte in
der Öffentlichkeit kaum jemand und hätte sich kaum geändert, wenn den Akteuren nicht etwas
Ungeplantes passiert wäre: Ende 2002 trat die so erfolgreich scheinende Symbolfigur zurück. Der
junge, dynamische usw. Oberbürgermeister erklärte, kurz nachdem er schon seine Kandidatur
für die nächste Wahl angekündigt hatte, seinen Rücktritt. Der Grund hatte mit den
Privatisierungen scheinbar nichts zu tun: Er habe, so Baganz, ein außereheliches Verhältnis mit
der Rechtsanwältin Ute Jasper, die für die Stadt arbeite.
In Wirklichkeit agierte die Anwältin
als Beraterin für alle Privatisierungen. Das wusste die Öffentlichkeit aber kaum, denn die
Beraterin war nie offiziell beauftragt worden. Im Beratungszeitraum wurde sie vom Oberbürgermeister
geschwängert. Der Skandal war groß, vor allem wegen der außerehelichen Beziehung, denn der
CDU-Hoffnungsträger Baganz war nicht nur als christlicher Politiker, sondern auch als vorbildlicher
Familienvater aufgetreten, und er war Mitglied im Presbyterium seiner Kirchengemeinde.
Daraufhin stellte die kleine Zwei-Mann-
Ratsfraktion der MBI (Mülheimer Bürgerinitiativen), die schon bei allen Privatisierungen
nachgehakt hatte, im Stadtrat den Antrag, die Tätigkeit der Beraterin zu untersuchen. Noch nie hatte
der Stadtrat einem MBI-Antrag zugestimmt. Doch in der aufgewühlten Skandalsituation ging es nicht
anders, der Stadtrat stimmte zu.
So stellte das städtische
Rechnungsprüfungsamt fest, dass Jasper für alle Privatisierungen in Mülheim die Gutachten
und Empfehlungen ausgearbeitet hatte, insgesamt zwölf. Diese Aufträge hatte sie ohne
Ausschreibung erhalten. Sie bzw. ihre Kanzlei habe die Stellung eines "Hoflieferanten"
innegehabt. Sie hatte in anderthalb Jahren 2200 Stunden mit einem Gesamthonorar von 1,4 Millionen Euro
abgerechnet. Es fehlten Einzelnachweise. Für das Jahr 2001 hatte sie 1175 Stunden abgerechnet
der Spitzenwert der fleißigsten Anwälte beträgt 2400 Jahresstunden (für alle Mandate
zusammen). Das erstaunte umso mehr, als die Staranwältin Jasper gleichzeitig nicht nur mehrere andere
Städte wie Essen und Oberhausen, sondern auch Landesregierungen (NRW: Metrorapid, Hamburg: Kliniken)
beriet. Außerdem war sie als vielgefragte Referentin tätig und veröffentlichte zahlreiche
Fachaufsätze. Die Webseite ihrer Kanzlei verzeichnet für den fraglichen Zeitraum 46
Veröffentlichungen und Vorträge.
Sie hatte auch das Gutachten für den
Verkauf der RWW verfasst. Dabei "vergaß" sie große Grundstücke. Ebenfalls stellte
sich heraus, dass das Honorar für die Beraterin beim Verkauf der Wasserwerke von RWE bezahlt wurde.
Das Honorar für die Beratung bei der Privatisierung der Abfallwirtschaft übernahm der Käufer
Trienekens/RWE. In beiden Fällen war die Stadt Mülheim der Auftraggeber der Beratung.
Nach dem Rücktritt des Oberbürgermeisters wäre eine Korrektur des RWW-Verkaufs notwendig
und möglich gewesen. Aber nichts geschah. Der Antrag der MBI, Schadenersatzansprüche gegen Baganz
und Jasper geltend zu machen, wurde von der Mehrheit der "staatstragenden" Parteien abgelehnt.
Auch der Regierungspräsident hatte nichts zu beanstanden. Das Rechnungsprüfungsamt hatte der
Staatsanwaltschaft empfohlen, gegen den Oberbürgermeister wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme,
Untreue und Verletzung der Vergabeordnung zu ermitteln.
Nach fünf Monaten stellte die
Staatsanwaltschaft fest, es habe sich kein Anfangsverdacht ergeben. Das Innenministerium verzichtete auf
disziplinarische Maßnahmen gegen den Oberbürgermeister. Die Europäische Kommission, von den
MBI angerufen, erklärte, dass sie in einem möglicherweise zu niedrigen Kaufpreis für die RWW
keine ungerechtfertigte Subvention erkennen könne, das Gutachten dafür sei ja professionell
erstellt worden.
Jasper ist nicht nur Mitarbeiterin, sondern
Partnerin also Mitinhaberin der Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek & Partner.
Das ist die größte Kanzlei in NRW. Jasper ist die Staranwältin in Sachen Privatisierung. Die
Rechtskundige übertrat Vorschriften, die sie selbst am besten kennt, z.B. dass Aufträge der
öffentlichen Hand über 200000 Euro öffentlich ausgeschrieben werden müssen; oder dass
bei persönlicher Befangenheit das Mandat abgegeben werden muss. Zu diesen Themen hatte sie
schließlich selbst vielbeachtete Artikel veröffentlicht. Sie forderte und bekam ihre
Aufträge sozusagen "im Schlaf" bzw. davor oder danach und ohne Ausschreibung.
Auch von ihrer "renommierten"
Kanzlei, die mit vielen Kommunen und Ministerien in Deutschland geschäftlich verbunden ist, kam keine
Kritik. "Wir stehen voll hinter Frau Dr.Jasper. Sie hat die Mandate absolut korrekt betreut",
beteuerte Seniorpartner Wolfgang Kühn.
Die Starberaterin nutzte den
Privatisierungsrahmen nicht nur im privatistischen Eigeninteresse. Auch die private Seite, hier RWE, wurde
bevorteilt. Jasper dehnte den Privatisierungsrahmen auch juristisch so weit wie möglich aus. Sie
vertritt das "In-House"-Konstrukt, das sog. "In-sich-Geschäft": Wenn eine Kommune
mit einem Privaten ein gemeinsames Unternehmen gründet und die Kommune die Mehrheit hat, muss dieses
Unternehmen Aufträge öffentlich nicht ausschreiben.
So wurde auch in Mülheim und anderswo
verfahren. Der Europäische Gerichtshof hat Privatisierungsverträge nach diesem Muster inzwischen
für ungültig erklärt.
Auch Oberbürgermeister Baganz kam
glänzend aus der Sache. Wozu ist ein wegen Unregelmäßigkeiten zum Rücktritt gezwungener
Oberbürgermeister in Deutschland prädestiniert? Natürlich zum Berater. Der Christdemokrat
gründete die Beratungsfirma Econopolis GmbH und beriet Städte. Dann wurde er Partner bei
Goetzpartners Management Consultants. Drei Jahre reichen für politische Vergessensarbeit. 2005, nach
dem Wahlsieg der CDU, wurde Baganz von NRW-Ministerpräsident Rüttgers zum Staatssekretär im
Wirtschaftsministerium berufen, Verantwortungsbereich: Kommunen.
Die von Baganz/Jasper zugunsten von RWE
durchgeführten Privatisierungen wurden nicht überprüft, geschweige denn korrigiert. Auch die
benachteiligten Firmen trugen nichts zur Korrektur bei. Die Gelsenwasser AG wollte sich ihren "guten
Ruf" auf dem Markt nicht durch das "Anschwärzen" eines Konkurrenten verderben. Das
Abfallunternehmen Rethmann (heute Remondis) klagte zwar gegen seine Benachteiligung bei der MEG-
Privatisierung, will aber öffentlich nichts sagen.
Wie in Berlin wurden die Wasserpreise zwei
Jahre lang nicht erhöht, aber dann explodierten sie. Ebenso die Preise und Gebühren für
Abwasser, Abfall, Strom und Gas. Das große Versprechen, die städtischen Finanzen zu sanieren, hat
sich nicht erfüllt. Die Neuverschuldung Mülheims stieg von 23 Millionen Euro (1999) auf 100
Millionen (2005), die Gesamtverschuldung von 400 auf 700 Millionen; darin sind die Schulden der
privatisierten Unternehmen noch nicht enthalten. Die Einmaleffekte aus den Privatisierungsverkäufen
sind verpufft. Mehrere Dutzend Beschäftigte in den privatisierten Unternehmen sind
"freigesetzt".
Die SPD, die nach dem Abtritt von Baganz die Oberbürgermeisterin stellt, führt den Kurs fort.
Sie will mit CDU und FDP auch den Rest privatisieren, also die Altenheime. Wie ihr Vorgänger wurde die
SPD-Frau, deren Frau-Sein an der Sache sowenig ändert wie bei der Beraterin Jasper, in einen RWE-
Aufsichtsrat berufen; das Mandat ist mit 99000 Euro pro Jahr dotiert.
Daran und dass ihr die Tantieme
persönlich zusteht, hält die SPD-Frau Mühlenfeld so selbstverständlich fest wie der
CDU-Mann Baganz. Möglicherweise ist das eine (Teil-)Erklärung für die verbissene,
geschlechtsübergreifende Privatisierungsliebe.
Inzwischen wurde die
außerparlamentarische Opposition gegen die Privatisierung stärker. Seit der Kommunalwahl 2004
haben die MBI fünf Vertreter im Rat, und mit der WIR (WählerInitiative Ruhr) wurde eine weitere
Oppositionsfraktion in den Rat gewählt. Mit ihrer Unterstützung gelang im Februar 2005 ein
Bürgerentscheid: Überraschend für die Privatisierungsparteien und für das Pressemonopol
der WAZ stimmten 27400 Bürger gegen jegliche weitere Privatisierungen. Zu diesem Erfolg haben viele
beigetragen, die sich in einer neuen Koalition zusammenfanden. Neben MBI und WIR waren dies die
Gewerkschaft Ver.di und Attac.
Der Bürgerentscheid sollte den
Verkauf des letzten größeren Eigentums, das der Stadt verblieben ist vier Altenheime mit
großen Grundstücken , verhindern. Doch die große Koalition will ihn unterlaufen. Der
Werksausschuss der Altenheime hat nach dem Bürgerentscheid ein Gutachten in Auftrag gegeben, und zwar
bei einem Konsortium aus drei Privatisierungsakteuren: die Privatbank Merck, Finck & Co, die auf
Sozialimmobilien spezialisierte Terranus-Gruppe und die Anwaltskanzlei Latham & Watkins LLP. Sie werben
damit, dass sie die Städte Kiel und Goslar beim Verkauf ihrer Krankenhäuser und Altenheime an die
Unternehmen Senator und Asklepios beraten haben.
Das Gutachten hat gut 100000 Euro gekostet.
Darin heißt es, die Stadt könne schon vor Ablauf der zweijährigen Bindungsfrist tätig
werden: "Der insofern eindeutige Wortlaut des Bürgerentscheids steht der Veräußerung
von Vermögensgegenständen in Form eines Asset-Deal grundsätzlich nicht entgegen." Ein
Asset-Deal würde so ablaufen: Die Stadt bringt die Altenheime in eine neugegründete private
Gesellschaft ein, an der sie einen privaten Träger beteiligt. An die könnte die Stadt dann die
Grundstücke und Altenheime verkaufen.
Werner Rügemer
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04