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Drei Wochen vor dem Bundesparteitag steckt die Wahlalternative Arbeit und
Soziale Gerechtigkeit (WASG) in einer tiefen Krise. Die Mitgliederzahlen stagnieren oder gehen sogar
zurück, die politische Attraktivität sinkt rapide, und der eigenständige Beitrag zum
gemeinsam mit der Linkspartei.PDS angestrebten "Parteibildungsprozess" ist für Mitglieder
wie für Außenstehende nicht erkennbar.
Fast unberührt von diesen inneren Auflösungserscheinungen bleiben die Umfrageergebnisse
für die fiktive "Linkspartei" konstant bei 8 oder sogar 9%. Ein Kontrast zwischen
Wirklichkeit und Möglichkeit, zwischen objektiver Chance und subjektivem Versagen tut sich hier auf,
der eigentlich alle Beteiligten aufrütteln und zu großer Anstrengung ermutigen sollte, das
Projekt einer neuen, breiten und schlagkräftigen Partei der Linken nicht völlig zu verspielen.
Die allgemeine Entwicklung der WASG in den
zwei kurzen Jahren ihrer Existenz ist im Gegensatz zu ihrer heutigen subjektiven Verfassung eher ein Grund
zur Freude: Ohne große Atempausen hat sie sich zu einer programmatisch begründeten echten
Linkspartei entwickelt, mit lebensfähigen Strukturen in fast allen Städten und
Bundesländern. Die diffusen Vorstellungen ihrer ursprünglichen Initiatoren, eine
"Wahlalternative" zu schaffen, die sich irgendwo zwischen der SPD von Godesberg und der SPD von
heute ansiedelt, eher einen moralischen als einen organischen Zusammenhalt mit aktiven Gewerkschaftern und
sozialen Bewegungen sucht und keinerlei Vorstellungen von der strategischen Umsetzung ihrer hehren Ziele
entwickelt, sind verschwunden, teilweise sogar mit einer kleinen Austrittswelle physisch zur Seite
getreten. Stattdessen wurden 12000 Mitglieder angezogen, die in ihrer großen Mehrheit eine linke
Partei haben wollen. Sie sind heute in der Lage, nicht nur im Bündnis mit der fünfmal so
großen L.PDS zu bestehen, sondern in fast allen Fragen als linkes Korrektiv gegenüber der schon
arg von "Realpolitik" gebeutelten L.PDS zu wirken.
Die Entwicklung der WASG vom spießigen Verein einiger militanter Gewerkschafter, über die
Parteigründung mit einem bunten Haufen versprengter Linker und ehemaliger Sozialdemokraten, die
Teilnahme an den Landtagswahlen in NRW und die gemeinsame Listenaufstellung mit der L.PDS zur vorgezogenen
Bundestagswahl bis hin zum Projekt der Bildung einer neuen gemeinsamen Partei der Linken war fast
ungebrochen ein Marsch nach links. Eine andere Richtung stand ihr nicht offen.
Millionen von Menschen wünschten und
wünschen sich eine grundlegende politische Alternative zur neoliberalen Einheitssoße der anderen
Parteien. Es war dieser Sog vom lange Zeit gespürten politischen Vakuum auf der Linken, der ihren
Erfolg ausmachte. Die "Zeit war reif" was Oskar Lafontaine zum Motto seines
persönlichen Wahlkampfs machte, war unendlich wichtiger als ausgefeilte Programme oder gar einzelne
"Umbaupläne", die sich in Sachen Kostenneutralität, Machbarkeit und Akzeptanz durch
alle Gesellschaftsklassen mit den bürgerlichen Parteien messen wollten.
Fünfzehn Jahre nach dem
fürchterlichen Ende des sog. "sozialistischen Lagers" und der mit ihm verbundenen Parteien
und angesichts des unaufhaltsamen Abstiegs der Sozialdemokratie in die Niederungen einer Partei, die die
Rolle rückwärts vom Sozialstaat in den Manchesterkapitalismus betreibt, bedurfte es nur eines
kleinen glaubwürdigen Funken, um die wichtigste politische Neugründung in Deutschland zu
entfachen.
Für die politischen Kräfte der
Arbeiterbewegung in Deutschland ist die historische Situation heute vergleichbar mit der Suche nach einer
zentralisierenden politischen Idee und einer sie umsetzenden Kraft in der zweiten Hälfte des
19.Jahrhunderts, den Gründerjahren der sozialistischen Bewegung. Allerdings mit einem großen
Unterschied: heute herrscht virulentes Misstrauen gegenüber politischen Programmen, die Akteure zeigen
wenig politisches Selbstbewusstsein und sind angesichts realer und bedeutender Niederlagen eher frustriert
darin ist die heutige Lage eher mit der Situation nach 1914 oder in den späten 20er Jahren
vergleichbar.
Nur in dieser spezifischen Situation konnte
sich ein Modell wie die WASG durchsetzen. Sie stellt, um einen Begriff des britischen Marxisten Alec
Callinicos zu benutzen, eine "politische Einheitsfront besonderer Art" dar, die in anderen
gesellschaftlichen Zusammenhängen so niemals bestand, sondern zwischen verschiedenen unabhängigen
politischen Parteien der Arbeiterbewegung herzustellen war.
Die verschiedenen Komponenten der Linken in
Deutschland brauchen sich im Rahmen dieses Projektes gegenseitig: von der enttäuschten
Sozialdemokratie, der moralisch-christlichen Arbeiterbewegung, über die Reste der organisierten 68er-
Linken bis hin zur Interessenvertretung der Opfer des Anschlusses der DDR in Gestalt einer PDS, die den
Übergang in diese Funktion in den letzten 15 Jahren erstaunlich gut überlebt hat.
Selbst die scheinbar vom Niedergang des
Stalinismus und des Sozialdemokratismus unberührte trotzkistische Linke war und ist nicht in der Lage,
außerhalb einer solchen spezifischen "Einheitsfront" eine glaubwürdige Alternative
aufzubauen. Wer heute aus diesem Projekt einzelne Teile herausschlagen will, ob aus "linker
Ungeduld" oder aus "rechtem Hang zur Realpolitik", wird keinen Sieg erringen, sondern die
Linke insgesamt zurückwerfen.
Erst wenn die wichtigste, vielleicht einzig
lösbare, Aufgabe dieser "Einheitsfront" die Wiederherstellung des Vertrauens in die
Machbarkeit einer grundlegenden Alternative zur herrschenden Politik, die Neubestimmung der konkreten
Utopie einer solidarischen, sozialistischen Gesellschaft im gesellschaftspolitischen Diskurs
erfolgreich erledigt wurde, werden die einzelnen Strömungen in der heutigen WASG/L.PDS auch die Frage
einer unabhängigen Organisierung wieder Erfolg versprechend erörtern können.
Das politische Bewusstsein für diese Aufgabe der WASG ist sowohl auf der Linken wie auch auf der
Rechten in der Partei unterentwickelt. Das ist die eigentliche Ursache für die aktuelle Krise.
Während Kräfte auf dem linken Flügel, namentlich um die SAV herum, die Notwendigkeit der
Einbindung der L.PDS in dieses Bündnis verkennen und lediglich bereit sind, die Ostpartei nach einem
politischen Vollwaschgang zu akzeptieren, verzweifelt die das sozialdemokratische Milieu immer noch mit nur
einem Bein hinter sich lassende Parteirechte an der Wirklichkeit der Parteimitgliedschaft.
Die Gruppe um Klaus Ernst, die nur noch mit
Mühe eine knappe Mehrheit im Bundesvorstand hinter sich sammeln kann, spricht offen von 4060%
"falscher Mitglieder" unter den 12000 WASGlern. Sie sind ihnen zu "links", zu sperrig
und störend in der Umsetzung dessen, was mal wieder als Realpolitik versprochen wird. Diese Gruppe
verfolgt deshalb den Kurs, die simple Vereinigung mit der L.PDS zu beschleunigen und die
Selbstständigkeit von Kreis- und Landesverbänden einzuschränken.
Ein Mittel dazu sollte die bundesweite
Urabstimmung sein. Unglücklicherweise verriet der ungestüme Klaus Ernst bereits vor dem Beschluss
über eine solche Abstimmung, er verbinde damit die Absicht, die Partei zu spalten. Die darauf folgende
Parteidebatte über das Mittel, nicht über den Inhalt der Urabstimmung zwang ihre Initiatoren, die
Fragestellung so banal zu gestalten, dass genau diese spalterische Klärung der Verhältnisse nicht
eintrat. Sie geriet deshalb zu einem gut 20000 Euro teuren Flop. Zuletzt wurde sie nur noch als
Ergebenheitsritual gegenüber der Bundesvorstandsmehrheit durchgepeitscht, und die Hälfte der
Mitglieder weigerte sich daran teilzunehmen.
Das nächste Kampffeld ist Berlin.
Während hier die L.PDS die verheerenden Folgen einer linken Realpolitik bilanziert und, wie die
persönlichen Attacken von Oskar Lafontaine zeigen, mit wenig politischem Druck und Selbstbewusstsein
seitens der WASG zur Änderung dieser Politik und zur Beendigung der Regierungsbeteiligung hätte
gedrängt werden können, zelebrieren WASG-Linke und -Rechte einen bizarren Stellvertreterkrieg.
Die "Linke" möchte die Unterwerfung der L.PDS erzwingen obwohl eine große,
wahrscheinlich mehrheitliche Strömung in der WASG bei erstbester Gelegenheit bereit wäre, in
gleicher Weise Regierungsverantwortung zu übernehmen wie die Berliner PDS.
Und die Bundesvorstandsgruppe um Klaus
Ernst und Axel Troost plant die offene Spaltung zunächst des unbotmäßigen Berliner
Landesverbands und darauf aufbauend der gesamten WASG. Sie setzt auf die alte sozialdemokratische
Bürokratenleier, dass prominente Führungsfiguren allemal wichtiger sind als Mitglieder.
Dazwischen finden die unseligen
Eitelkeitskämpfe von älteren, männlichen Polithähnen in Fraktion und
Parteivorständen von L.PDS und WASG statt. Nicht so sehr in den schmutzigen Spaltungsmanövern,
aber in der tiefen Abscheu gegenüber der "normalen Mitgliedschaft" trifft sich die Ernst-
Gruppe mit der sich gern als Chefideologin der WASG verstehenden Gruppe um Joachim Bischoff und die
Zeitschrift Sozialismus. Mitgliedschaft, soziale Bewegungen und sonstige "Massenstrukturen"
lösen bei diesen Gelehrten regelmäßig Pickel aus. Sie begnügen sich mit dem Wunsch,
möglichst bald "linker und weiser Thinktank" am Rande einer großen Partei zu sein, die
gern viel falsch machen darf, weil dann auch viel zu kritisieren ist.
Angesichts einer rechten
Durchmarschstrategie und linken Sektierertums sind die Aussichten der "Opposition" im
Bundesvorstand um Sabine Lösing, Rainer Spilker und Thies Gleiss, die historischen Möglichkeiten,
die im Projekt WASG stecken, aufzuzeigen und der Mitgliedschaft zu vermitteln, nicht gerade rosig. Als
Gremium oder gar als politische Führung hat sich der Bundesvorstand derzeit jedenfalls komplett
abgemeldet. Die einzelnen Strömungen bereiten sich auf den vielleicht schon finalen Showdown auf dem
kommenden Bundesparteitag vor.
Die Aufgaben dieses Parteitags wären
dabei so klar wie verwirklichbar:
Die Wahl eines autoritativen und
integrativen Führungsgremiums; mehr und klareres politisches Selbstbewusstsein gegenüber der
L.PDS; die Verteidigung des Konzepts einer pluralistischen und demokratisch organisierten Massenpartei; die
Ausarbeitung eines Projekts für eine wirkliche politische und organisatorische Neugründung einer
Partei der gesamten Linken, die kampagnenfähig ist und kompromisslos für die Interessen der Opfer
der herrschenden neoliberalen Politik eintritt.
Hubert Kaiser
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