SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 10

Kommunalwahlkampf in Hessen

Eine Auswertung

Das Ergebnis der hessischen Kommunalwahl zeigt, dass eine vereinte Linke aus WASG, Linkspartei und den sozialen Bewegung möglich und nötig ist. Das belegen die sehr guten Ergebnisse, die in einigen Städten und Landkreisen erzielt wurden.
Abgestraft wurde die Konkurrenzkandidatur in Darmstadt, wo die WASG und Die Linke gegeneinander antraten. Beide Parteien liegen dort nur bei etwa 2%. Insgesamt hat die WASG/PDS nach dieser Wahl über hundert Mandatsträger in Hessen.
Die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50% zeigt allerdings auch, dass das Wählerpotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft werden konnte. insbesondere die Präsenz in den Medien war nicht vergleichbar mit der Bundestagswahl. Aus dem Wahlkampf in Hessen lassen sich einige Schlussfolgerungen ziehen, die auch für kommende Wahlkämpfe und die weitere Arbeit beider Parteien von Bedeutung sein können.
Grundlage für das erfolgreiche Abschneiden war die Zusammenarbeit beider Parteien. Im Wahlkampf sind gemeinsame Strukturen entstanden, der Parteineubildungsprozess wurde nicht abstrakt diskutiert, sondern vor Ort in Gang gesetzt. Gemeinsame Wahlkampfteams koordinierten die Ausarbeitung der Wahlprogramme, Organisation und Abläufe, vielerorts gab es nur noch gemeinsame Mitglieder- und Vorstandstreffen.
Die Kommunalwahlen haben den Parteineubildungsprozess in Hessen an den meisten Orten beschleunigt. Hier hat sich gezeigt, dass die Vorreiter des Parteibildungsprozesses nicht im Bundes- oder in den Landesvorständen sitzen, sondern dass dies die Aktiven vor Ort sind, die aus der konkreten Notwendigkeit heraus das einzig Richtige tun: die Kräfte zu bündeln und sich zusammen zu schließen. Ein Teil der Kreisverbände ist nun bereits "fusioniert", weil sie keinen Sinn darin sahen, zwei Strukturen aufrecht zu erhalten.

Kandidaten und Profil

Die Linke (hier stellvertretend für die teilweise örtlich unterschiedlichen Bezeichnungen so genannt) kandidierte in 20 von 21 Landkreisen, in allen fünf kreisfreien Städten und in weit über 30 zusätzlichen Städten und Gemeinden. Sie ist überall mit offenen Listen angetreten und hat Aktive aus sozialen Bewegungen, lokalen Bündnissen und kommunalen Wählerinitiativen eingeladen, sich an der Erarbeitung der Programme und an der Aufstellung der Listen zu beteiligen. Auch in der Listenaufstellung wurde demonstriert, dass die neue Linke mehr ist als die Summe der Mitglieder zweier Parteien. Insgesamt kandidierten weit über 1.400 Kandidatinnen und Kandidaten auf Listen, an denen WASG und Linkspartei beteiligt waren. Etwa die Hälfte davon waren nicht Mitglied einer der beiden Parteien.
An vielen Orten gelang es, Menschen für die Listen zu gewinnen, die seit Jahren und Jahrzehnten für linke Politik in ihrer Kommune stehen, einen Bekanntheitsgrad haben und über große Erfahrung verfügen — darunter viele vor Ort bekannte Gewerkschafter. Alle Alters- und Berufsgruppen waren auf den Listen vertreten, viele darunter, die nie zuvor (partei)politisch aktiv waren.
Die Kandidaturen fanden meist unter dem Namen "Die Linke.WASG"/"WASG. Die Linke" oder "Die Linke" statt, an wenigen Orten auch als "WASG".
Eine Lehre aus dem Bundestagswahlkampf war, dass es eines deutlichen Profils gegen die SPD und links von ihr braucht. Dabei haben sich die Kandidaturen an den Themen orientiert, die die Menschen beschäftigen und die sie in den letzten Jahren auf die Straße gebracht haben: die Ablehnung von Hartz IV (Keine Ein-Euro-Jobs in den Kommunen!), der Kampf gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums (Privatisierung ist Diebstahl!). Letzteres knüpfte an den Unmut breiter Teile der Bevölkerung gegen die Privatisierung der hessischen Unikliniken Marburg und Gießen an, aber auch an die Privatisierungen beim öffentlichen Nahverkehr, bei der Müllentsorgung, bei städtischen Wohnungen, und versuchte, die Folgen darzustellen: die Auswikrungen auf die Beschäftigten (Personalabbau, längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen), die Auswirkungen auf die Bürger (Preissteigerungen und oftmals schlechtere Leistungen), aber auch die Frage von Demokratie und Verfügungsgewalt über die öffentliche Daseinsfürsorge.
Da die Grünen in Hessen sehr stark sind, war es auch wichtig, "grüne" Themen zu besetzen und die ökologische zur sozialen Frage zu machen.

Aktiver Wahlkampf

Dennoch haben sich die Kandidaten nicht in der Kommunalpolitik verloren, sondern haben bundesweite Themen und Stimmungen in den Wahlkampf mit aufgenommen und die Große Koalition nicht außer acht gelassen (so die Frage der Rente mit 67).
Eine bedeutende Frage und das wichtigste Gegenargument der Gegner war die Finanzierbarkeit der Forderungen. Die finanzielle Not in den Kommunen ist Tatsache, sie wegzureden würde Illusionen schaffen in die derzeitigen Möglichkeiten und Spielräume von Kommunalpolitik. Anders als alle anderen Parteien, die Rücksicht auf ihre Bundesverbände nehmen mussten, war Die Linke jedoch nicht gezwungen, sich auf die kommunale Ebene zu beschränken. Sie zeigte die Verantwortung der Bundespolitik für die katastrophale Finanzsituation der Kommunen auf und forderte eine andere Steuerpolitik.
Es wurde ein offensiver Straßenwahlkampf geführt — dort wo wir die Menschen erreichen können: vor den Betrieben, in den Wohnsiedlungen, vor den Einkaufszentren, vor den Arbeitsämtern. Vielerorts wurde wir nicht erst im März mit dem Wahlkampf begonnen, sondern bereits im Januar/Februar. Soziale Proteste und Aktionen vor Ort wurden ernst genommen und aufgegriffen — so bei Solidaritätsaktionen mit dem Ver.di-Streik.
Kurz vor den Wahlen sorgte der hessische Innenminister Volker Bouffier für eine bundesweite Diskussion über den hessischen "Einbürgerungstest" betitelt wurde. Wir wandten uns mit Aktionen und einem kurzfristig erstellten Flugblatt gegen diesen "Gesinnungstest" und forderten seine Rücknahme. In einigen Kreisen gab es in der letzten Wahlkampfwoche noch Stände und Aktionen "Koch sucht den Superdeutschen", wo Passanten aufgefordert wurden, einige Fragen aus dem Test zu beantworten.

Schwierigkeiten und Störfeuer

Die Veranstaltungen mit Lafontaine und Gysi waren überall sehr erfolgreich. Zum Auftritt Gysis an der Marburger Universität kamen fast 1000 Menschen, zu Oskar Lafontaine in Kassel und Frankfurt ebenso viele. Der SPD-Vorsitzende Platzeck sprach wenige Tage zuvor in Frankfurt im gleichen Saal vor nur 400 Menschen. In einigen Kreisen bestritt Die Linke die größten Wahlkampfveranstaltungen.
Die Auseinandersetzungen in Berlin zwischen WASG und Linkspartei sowie innerhalb der WASG und deren Auswirkungen auf die Bundesebene machten sich im Wahlkampf deutlich bemerkbar. Nach der Berliner Urabstimmung gab es unzählige Presseanfragen, wobei die Journalisten meist nach dem "Berlin in Hessen" suchten. Die Besucher der Stände waren sichtbar verunsichert, weil sie in der Mehrzahl geglaubt hatten, WASG und PDS seien schon eine Partei.
Ein echtes Problem für den Wahlkampfendspurt war der Verkauf der städtischen Wohnungen in Dresden mit der Zustimmung einer knappen Mehrheit der dortigen Linkspartei-Fraktion. Dies war gerade deshalb problematisch, weil Die Linke mit dem Profil gegen Privatisierung auftrat und in vielen Städten, darunter Frankfurt, explizit den Verkauf städtischer Wohnungen thematisierte. Besonders dankbar war die SPD, die hier eine Chance sah, sich links zu profilieren. Frankfurts SPD-Spitzenkandidat trat auf Wahlkampfveranstaltungen mit der Parole auf: "So neoliberal wird die Frankfurter SPD nie werden."

Janine Wissler

Die Autorin war für die WASG in der Wahlkampfleitung.







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