SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 10

Präzedenzfall Berlin

Durchmarsch der linken Sozialliberalen

von SEBASTIAN GERHARDT

Ein gern gepflegtes, oft bestätigtes Vorurteil besagt, dass Politiker um ihrer Eigeninteressen willen ihre wahren Ziele gern verschleiern und die Öffentlichkeit gezielt hinters Licht führen. Die Politik der Führungsspitze der Berliner Linkspartei.PDS (L.PDS) ist geeignet, solche vereinfachten Vorstellungen zu widerlegen. Kompromisslos steht sie zum Primat der Haushaltskonsolidierung. Und der Erfolg gibt ihr Recht: auch ohne ein einziges Zugeständnis hat sie vom WASG-Bundesvorstand und der Spitze der Linksfraktion am Morgen des 6.April in der Bundespressekonferenz einen Persilschein erhalten.
Denn um nichts anderes als einen Persilschein handelt es sich bei dem Papier, das als "Inhaltliche Positionen für einen gemeinsamen Wahlkampf der L.PDS und der WASG Berlin" (www.pds- berlin.de/partei/deba/2006/positionen.html) vorgestellt wurde. Von höchster Stelle, vom Vorsitzenden der Linksfraktion Oskar Lafontaine und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Ulrich Maurer, von Axel Troost und Bodo Ramelow wurde die Berliner Landespolitik vom Vorwurf des "Neoliberalismus" freigesprochen. Keine Rede war mehr davon, dass die Kürzungen deutlich zur schlechten wirtschaftlichen Lage der Stadt beitragen. Solche Nörgelei überlässt man den Regionalökonomen des DIW. Keine Rede von der Ausweitung der Privatisierungen öffentlichen Eigentums in den letzten fünf Jahren. Keine Rede davon, dass die Berliner Tarifflucht Anfang 2003 den Startschuss zur offenen Demontage des Flächentarifs durch die Bundesländer darstellte. Im Gegenteil, Lafontaine fand sogar freundliche Worte für den Anwendungstarifvertrag, der damals nach erfolgreicher Erpressung der Gewerkschaften abgeschlossen worden war: Er lobte ausdrücklich die Kombination von allgemeinen Lohn- und Gehaltskürzungen mit einer gar nicht allgemeinen Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst.
Das vorgestellte Papier ist — bei aller Kürze — höchst eindeutig. Zwar fehlt das offensive Bekenntnis zur Sparpolitik, doch lässt sich in allen zentralen Punkten die Orientierung an dieser Generallinie nachweisen: in Auslassungen, Einschränkungen oder Relativierungen der herausgestellten positiven Ziele (www.wasg- berlin.de). Ein Kampf für ein Sozialticket zu 18 Euro — gern! Aber ohne städtische Gelder, in der Zuständigkeit der Verkehrsbetriebe und der Arbeitsagentur. Ein Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften — niemals! Doch einige Wohnungsbestände wird man vielleicht doch verkaufen müssen, um die angestrebte "Neuordnung und ökonomische Stabilisierung des städtischen Wohnungsbestandes" zu erreichen.
Und selbst vor offenem Hohn schreckten die Autoren nicht zurück. Sie erklären etwa, der Berliner Anwendungstarifvertrag solle "mittelfristig" an die bundesweiten Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes "angekoppelt" werden. Dabei ist im Anwendungstarifvertrag bereits festgeschrieben, dass das Land Ende 2009 zum bundesweiten Tarifniveau zurückkehrt. Eine — für Kürzungen offene — Ankopplung macht nur Sinn, wenn man diese Rückkehr zum Flächentarifvertrag nicht mehr anstrebt. Tatsächlich verbucht der Senat die Einsparungen bei den Personalkosten bereits als langfristigen Konsolidierungsbeitrag der Beschäftigten. Offenbar geht es schon heute darum, eine neue Billiglösung für die Zeit nach 2009 vorzubereiten, und zwar in aller Öffentlichkeit und ohne schlechtes Gewissen. Völlig zu Recht konnte der Berliner L.PDS-Vorsitzende Klaus Lederer auf dem Landesparteitag seiner Partei am 7.April feststellen, dass die Tags zuvor präsentierten Punkte "keine Umkehr und keine Richtungsänderung" bedeuten.
Die Berliner Linkspartei hält ihren Kurs schon lange für alternativlos. Neu ist, dass sich die Bundesebene der WASG diesem Standpunkt anschließt. So offensiv, dass man auf der Pressekonferenz am 6.April nicht nur die positive Botschaft einer Einigung mit der Berliner L.PDS (und zu den Konditionen der Berliner L.PDS) verkündete, sondern zugleich mit der direkten Intervention der Bundesebene drohte. Der Bundesvorstand werde selbst die Wahlanzeige in Berlin zurückziehen, wenn die Berliner Mehrheit keine Einsicht zeige. Und auch der nächste Eskalationsschritt wurde angedeutet, denn auf dem Podium der Pressekonferenz war zwar kein Vertreter des Berliner Landesvorstands der WASG erwünscht, dafür durfte ein Vertreter der Minderheit, Klaus-Dieter Heiser von der Initiative Rixdorf, das ausgehandelte Papier sogar vorstellen. Der Bundesvorstand zielt — in seiner Mehrheit — offen auf eine Spaltung der Partei.
Berlin ist dabei zum Präzedenzfall gemacht worden, weil die Widersprüche des neuen Parteiprojekts nirgendwo so deutlich wie hier sind, dem einzigen Bundesland aus "Ost" und "West". Es geht heute um die politische Breite und die Gestalt der neuen Linkspartei. Die Nominierung Harald Wolfs zum Spitzenkandidaten in Berlin und seiner persönlichen Mitarbeiterin Katina Schubert als stellvertretende Parteivorsitzende der L.PDS machen deutlich, dass hier offen und schmucklos um die Dominanz der Sozialliberalen im neuen Parteiprojekt gekämpft wird — in gut begründeter Übereinstimmung mit den Leuten um Lafontaine, Maurer und Ernst.
Es ist höchste Zeit, dass auch die Linke in beiden Parteien lernt, offen und schmucklos für ihre Ziele zu streiten. Eine sozial verankerte Linke kann man nicht bilden, solange man als Trittbrettfahrer mit der L.PDS auf Reisen ist.

Sebastian Gerhardt ist aktiv in der WASG Berlin.



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