SoZ - Sozialistische Zeitung |
Frankreichs Regierung ist mit ihrem Gesetz für einen
Erstanstellungsvertrag, der eine zweijährige Probezeit ohne Kündigungsschutz vorsah, gescheitert.
Zuvor hatte Staatspräsident Chirac versucht, das Gesetz zu retten, indem er ankündigte, er werde
es unterzeichnen, zugleich einen Brief an Behörden und Unternehmerverbände richtet, es solle
nicht angewandt werden. Die Fraktion der gaullistischen Partei (UMP) in der Nationalversammlung hat
unterdessen Gewerkschaften und Arbeitgeber zu einer ersten Verhandlung über ein neues Gesetz
eingeladen. Premierminister Villepin hat angekündigt, das gescheiterte Gesetz durch andere
Bestimmungen über eine Förderung für jugendliche Berufsanfänger ersetzen zu wollen, die
in Schwierigkeiten stecken. Die SoZ sprach mit Maxime Combes, Student der Wirtschaftswissenschaften in
Paris und aktiv in der globalisierungskritischen Initiative Vamos!
Ihr habt einen Erfolg auf der ganzen Linie errungen wie seht ihr das?
Was die Rücknahme des Gesetzes betrifft, war es ein voller Erfolg aber es bleibt auch
darauf beschränkt. Als Villepin im Januar den Gesetzesentwurf ankündigte und die Mobilisierung
losbrach, stand in der Tat die Rücknahme des Gesetzes im Mittelpunkt. Im Verlauf der Proteste hat sich
der Forderungskatalog jedoch ausgeweitet: es ging dann auch um die Rücknahme des
Neuanstellungsgesetzes (CNE), das im vergangenen Jahr beschlossen worden ist, um das ganze Gesetz über
die Chancengleichheit, von dem das CPE nur ein Teil ist, und generell um eine Politik, die die
Prekarisierung stoppt. Der kleinste gemeinsame Nenner aber war die Rücknahme des CPE. Das haben wir
durchgesetzt, und das ist sehr wichtig, weil wir lange Zeit starke soziale Mobilisierungen hatten
gegen die Rentenreform, gegen die Ausbildungsreform u.a. , die keinen Erfolg gebracht haben.
Selbst der Erfolg des Nein zur EU-
Verfassung hatte nicht bewirkt, dass sich am innenpolitischen Kurs etwas ändert. Die Jugendlichen
haben jetzt gezeigt, dass es sich doch lohnt, auf die Straße zu gehen, dass wir gegen die Regierung
etwas durchsetzen können. Das verändert das gesellschaftliche Klima. Man wird bei uns uns auch in
anderen europäischen Ländern nicht mehr so tun können, als sei die Flexibilisierung und
Prekarisierung der Arbeitskraft die einzige Lösung für das Problem der Arbeitslosigkeit.
Darüber hinaus hat die Mobilisierung
einen enormen Politisierungsschub bewirkt Hunderttausende sind neu in die politische Debatte
eingestiegen, haben sich über den Gesetzestext und über das bestehende Arbeitsrecht informiert
und darüber diskutiert. Die Regierung wird den Leuten jetzt keine Märchen mehr auftischen
können…
Bei uns im Fernsehen haben sie unterschiedliche Reaktionen gezeigt: Gewerkschafter waren sehr
froh über das Ergebnis, Studierende eher frustriert, weil Villepin eine berufliche Förderung
für Berufsanfänger mit Schwierigkeiten, aber nichts für Studierende in Aussicht gestellt
hat.
Das stimmt. Die Jugendlichen wollten mehr als nur die Rücknahme des Gesetzes.
Was haben sie denn erwartet? Gab es einen gemeinsamen Willen für eine positive Alternative
und wie sollte die aussehen?
Es gab einen gemeinsamen Willen, eine breite Debatte zu eröffnen und so etwas wie
Generalstände der Jugend einzurichten zu Themen wie Ausbildungsbedingungen,
Einstellungsbedingungen, Jugendarbeitslosigkeit u.ä. Villepin hatte gesagt, das CPE sollte die
Jugendarbeitslosigkeit senken. Nun wird das Gesetz zurückgezogen. Die Jugendarbeitslosigkeit aber
bleibt, die Jugendlichen leben und arbeiten weiterhin unter prekären Bedingungen, die Hälfte der
Studierenden muss weiterhin arbeiten, um ihr Studium zu finanzieren, die Probleme an den Schulen sind
unverändert, in einigen Schichten der Bevölkerung finden 40% der Jugendlichen keine Arbeit, weil
sie keinen Schulabschluss haben, die Ausgrenzung der Jugendlichen der Vorstädte geht weiter all
diese Problemen sind ungelöst. Man muss also Diskussions- und Verhandlungsspielräume öffnen,
die erlauben, diese Fragen anzupacken.
Ich bin da etwas beunruhigt, weil ich
befürchte, dass diese großartige Mobilisierung und die Debatte, die durch sie losgetreten wurde,
bald überlagert werden wird von einer verengten politischen Debatte über die
Präsidentschaftswahlen 2007.
Das heißt, die Bewegung hat keine gemeinsame positive Forderung zur Überwindung der
Prekarisierung hervorgebracht?
Es gab verschiedenen Forderungen, aber keine, die die Bewegung insgesamt getragen hätte. So
etwas zu entwickeln, dazu bestände heute die Chance. Man müsste die Debatte auf örtlicher
Ebene beginnen und dann in Generalständen münden lassen. Es wäre sehr wichtig, dass wir uns
jetzt auf gemeinsame positive Alternativen verständigen. Ich habe aber Sorge, dass das jetzt in den
Streitigkeiten um die Präsidentschaftswahlen untergeht.
Es soll doch Verhandlungen geben?
Eigentlich ja, aber wie du selbst gesagt hast, die Gewerkschaften wollen etwas anderes als die
Jugendlichen. Selbst untereinander vertreten die Jugendlichen unterschiedliche Richtungen. Die
Studentengewerkschaft (UNEF) gibt sich damit zufrieden, dass das Gesetz zurückgenommen wurde, und
denkt nicht über weitergehende Schritte nach. Tausenden von Jugendlichen reicht das aber nicht.
Was wollen die Gewerkschaften denn jetzt aushandeln? Nimmt die Studentengewerkschaft an den
Verhandlungen teil?
Ich weiss nicht, was die UNEF tun wird. Wie weit die Gewerkschaftsverbände in den
Verhandlungen kommen werden, ist unklar. Für Villepin wird es sehr gefährlich, bis September
einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der ihm dann im Vorwahlkampf auseinandergepflückt wird. Ich
befürchte, dass der Präsidentschaftswahlkampf bis ins nächste Jahr jede Initiative
blockieren wird.
Ihr habt gewonnen, weil es euch gelungen ist, ein ganz breites Bündnis aufzubauen. Wir
betrachten das mit Neid und Staunen, weil wir das nicht hinkriegen. Wie ist euch das gelungen? Wer hat
alles mitgemacht? Wie wart ihr organisiert?
Das Bündnis war sehr breit, es gab aber mehrere Entscheidungszentren. Unmittelbar nachdem
Villepin das neue Gesetz angekündigt hatte, bildete sich ein nationales Kollektiv der Jugend
darin waren alle Jugendorganisationen vertreten: Trotzkisten, Anarchisten, PCF-Jugend, Sozialdemokraten bis
hin zu Jugendorganisationen, die der liberalen Partei UDF nahestehen, sogar fachbereichsbezogene
Studentengruppen waren darunter, die keinen politischen Anspruch erheben.
Auch solche, die der Regierung nahestehen?
Nein. Bei Mitte-Rechts hörte das auf. Wir konnten das Bündnis in dieser Breite aufbauen,
weil das Gesetz so schlecht war. Es hat keiner sehr großen Anstrengung bedurft, das Bündnis kam
sehr schnell zusammen. Es hat die Mobilisierung losgetreten und in den ersten sechs Wochen die
entscheidende Rolle gespielt. Die Aktionen mündeten in einen flächendeckenden Hochschulstreik,
der in Westfrankreich begann. Weil es diese Geschlossenheit bei der Jugend und die Hochschulstreiks gegeben
hat, hat es dann auch eine Einheit unter den Gewerkschaften gegeben. Wir haben sie gedrängt, am Anfang
wollten sie nicht mitmachen, als sie dann aber gesehen haben, wie geschlossen die Jugendlichen auftraten,
blieb ihnen nichts anderes übrig als ebenfalls geschlossen aufzutreten. Als sie dann gleichfalls zu
Aktionstagen aufgerufen haben, war das der Punkt, wo wir gewonnen haben.
Neben dem Kollektiv der
Jugendorganisationen und der Koalition der Gewerkschaften (die UNEF war das Bindeglied zwischen beiden) hat
sich im Verlauf der Hochschulstreiks noch eine Studentenkoordination gebildet, die alle im Streik
gewählten Delegierten umfasste. Das war ein dritter Pol.
Zwischen politischen Jugendorganisationen,
eher ständisch orientierten Gewerkschaften wie FO und der Streikvertretung der Studierenden gab es
durchaus Verständigungsschwierigkeiten, aber auch einen gewissen Wettbewerb. Jeder musste den anderen
verstehen und respektieren, jeder wusste, dass man nur gemeinsam gewinnen konnte. Deshalb haben alle die
Handbremse gelöst und sich voll in die Mobilisierung geworfen, auch wenn es dagegen anfänglich
Bedenken gab. Der Erfolg der Aktionstage am 18.März, 28.März und 4.April ist darauf
zurückzuführen.
Machen diese Koordinationen jetzt weiter?
Die studentische Koordination ruft zur Fortsetzung der Aktionen auf, die UNEF aber nicht, für
die ist der Kampf vorbei. Das nationale Kollektiv der Jugendorganisationen ist im letzten Monat nicht mehr
zusammengetreten, da wird man sehen. Die Gewerkschaften werden eventuell ihre Verhandlungspositionen
abstimmen.
Hat euer Kampf auch unmittelbar politische Auswirkungen?
Eine unmittelbare Auswirkung wäre der Rücktritt des Ministerpräsidenten gewesen
das ist nicht geschehen. Unter der Oberfläche ist die Rechte aber zerrissen, Chirac hat keine
Legitimität mehr, nachdem er dazu aufgerufen hat, das Gesetz, das er unterzeichnet hat, nicht
anzuwenden; der Ministerpräsident ist stark geschwächt, dasselbe gilt für Sarkozy. Der Riss
zwischen der regierenden (gaullistischen) UMP (deren Vorsitzender Sarkozy ist) und der (liberalen
bürgerlichen Oppositionspartei) UDP war noch nie so tief. Auf der Linken wiederum habe ich nicht den
Eindruck, dass diese Mobilisierung Bewegung in die Suche nach einer gemeinsamen Kandidatur zu den
Präsidentschaftswahlen gebracht hätte. Ich sehe noch nicht, dass LCR und PCF ihre Meinung da
geändert hätten. Deshalb sage ich, es ist schön, dass wir gewonnen haben, aber ich
befürchte, davon bleibt nicht viel übrig.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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