SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 16

Tariq Ali über das Weltsozialforum in Pakistan

Wanderzirkus der schönen Gefühle

Ende März wurde das Weltsozialforum in Karachi eröffnet — mit virtuoser Sufi-Musik und Redebeiträgen — während zur selben Zeit die Herrschenden das hundertjährige Bestehen der Moslemliga begingen. (Die Moslemliga ist jene Partei, die Pakistan einst gegründet hat; seither wechselt eine Bande von Schurken die andere ab, heute befindet sich die Partei in den Händen von Politzuhältern, die sie wie ein Bordell führen.)
Die Führer der säkularen Opposition, Nawaz Sharif und Benazir Bhutto, haben in ihrer Amtszeit darum gewetteifert, wer das meiste Geld anhäuft. Heute sind beide im Exil. Bei ihrer Rückkehr müssten sie befürchten, wegen Korruptionsverdacht verhaftet zu werden. Aber weder Sharif noch Bhutto verspüren große Lust, zu Märtyrern zu werden oder die Kontrolle über ihre Organisationen abzugeben.
Unterdessen setzen die religiösen Parteien in der von ihnen kontrollierten nordwestlichen Grenzprovinz fröhlich neoliberale Politik um. Unfähig sich um die Belange der Armen zu kümmern, richten sie ihr Feuer lieber gegen Frauen und jene gottlosen Liberalen, die die Frauen verteidigen.
Und weil das Militär sich seiner Herrschaftsrolle so sicher ist und die offiziellen Politiker so nutzlos, boomt die "Zivilgesellschaft". Private TV-Sender und NGOs schießen wie Pilze aus dem Boden, die meisten Aussagen sind erlaubt (ich wurde bspw. von einem Sender eine Stunde lang über "die Zukunft der kommunistischen Weltbewegung" interviewt).
Eine Ausnahme bilden offene Angriffe gegen die Religion oder das Militär bzw. gegen jene militärischen Netzwerke, die Pakistan heute regieren. Sollte die pakistanische Zivilgesellschaft allerdings zu einer wirklichen Gefahr für die Eliten werden, würde aus dem Applaus sehr rasch eine Drohgebärde werden.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch das WSF von der Lokalregierung in Karachi erlaubt und unterstützt wurde. Das Weltsozialforum ist inzwischen Teil der globalisierten Landschaft und hilft rückwärts gewandten Herrschern, sich modern zu fühlen.
Die Veranstaltung in Karachi war nicht anders als andere WSFs auch. Es kamen mehrere tausend Menschen, hauptsächlich aus Pakistan, vereinzelt auch Delegiertengruppen aus Indien, Bangladesh, Sri Lanka, Südkorea und einigen anderen Ländern.
Nicht vertreten waren Chinas aufsteigende Bauern- und Arbeiterbewegung und die kritische chinesische Intelligenz. Auch aus dem Iran und Malaysia war niemand da. Die israelischen Zwingherren, die die jordanische Regierung beherrschen, schikanierten eine palästinensische Delegation. Nur eine Handvoll Delegierter konnte deshalb durch die Checkpoints nach Karachi gelangen.
Das große pakistanische Erdbeben 2005 hat viele WSF-Pläne zunichte gemacht. So war es den Organisatoren nicht möglich, umher zu reisen und Menschen aus anderen Regionen des Kontinents davon zu überzeugen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Sonst wären auf dem WSF — so die Organisatoren —, auch Stimmen aus Abu Ghraib, Guantánamo und Fallujah zu hören gewesen.
Doch allein schon die Tatsache, dass eine solche Veranstaltung überhaupt in Pakistan stattfand, ist positiv zu bewerten. Die Menschen hier sind es nicht gewohnt, andere Meinungen und andere Stimmen zu hören. Das WSF hat es vielen Menschen aus unterdrückten sozialen Schichten und religiösen Minderheiten möglich gemacht, sich zu versammeln und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen — so den verfolgten Christen aus dem Punjab oder Hindus aus Sind. Von überallher kamen Frauen und erzählten erschütternde Geschichten von Unterdrückung und Diskriminierung.
Ebenfalls vertreten war ein wichtiger Faktor im Klassenkampf: Bauern, die gegen die Privatisierung der Militärfarmen von Okara kämpfen, und Fischer aus Sind, deren Existenzgrundlage bedroht ist, weil der Indus umgeleitet und damit den einfachen Menschen das Wasser genommen wird, das sie seit Jahrtausenden nutzen — seit Anbeginn der menschlichen Zivilisation sozusagen. Arbeiter aus Beluchistan kamen und klagten über die Brutalität des Militärs in ihrer Region.
Lehrer kamen und erklärten, dass es praktisch kein pakistanisches Bildungssystem mehr gebe. Die einfachen Leute, die zu Wort kamen, waren eloquent, analytisch und zornig.
Diese Menschen bildeten einen scharfen Gegensatz zur steifen Rhetorik der politischen Kaste Pakistans. Die meisten Redebeiträge wurden von den wichtigsten privaten Sendern in Radio und Fernsehen übertragen. Die Privatsender wetteiferten um die umfassendste Berichterstattung.
So kam der große Wanderzirkus der schönen Gefühle, WSF, nach Pakistan — und zog wieder weiter. Was wird bleiben? Wenig — abgesehen von gutem Willen und dem Gefühl, dass es überhaupt in Pakistan stattfand. Schließlich bleibt die Tatsache bestehen, dass die Politik des Landes von den Eliten beherrscht wird. Darüber hinaus gibt es nicht viel. Die kleinen radikalen Gruppen tun zwar ihr Möglichstes, aber es gibt keine nationale Organisation oder Bewegung, die für die Enteigneten sprechen könnte. Die soziale Lage im Land ist düster — daran ändern auch die manipulierten Statistiken nichts, die der pakistanische Ministerpräsident Shaukat Aziz, ein Mann der Weltbank, in Umlauf bringt.
Die NGOs sind kein Ersatz für echte soziale und politische Bewegungen. In Pakistan selbst mögen sie als NGOs gelten, global gesehen aber sind sie WGOs (Western Governmental Organizations — Regierungsorganisationen des Westens). Gelder fließen nur unter der Bedingung, dass ihre Ziele beschnitten werden. Das soll nicht heißen, dass einige dieser NGOs nicht gute Arbeit leisten, aber alles in allem läuft es doch darauf hinaus, dass durch sie das kleine Potenzial an Linken und liberalen Intellektuellen atomisiert wird. Die meisten dieser Frauen und Männer kämpfen darum, dass ihrer jeweiligen, ihrer individuellen NGO nicht der Geldhahn zugedreht wird. Kleinere Konkurrenzkämpfe haben sich ins Maßlose gesteigert; Politik im Sinne von Graswurzelorganisationen ist hier praktisch nicht erkennbar. Und das lateinamerikanische Modell — wie es sich durch die Siege von Chávez und Morales zu entwickeln beginnt —, ist weit weg von Mumbai, weit weg von Karachi.

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