SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2006, Seite 20

Antje Babendererde: Die Suche. Roman, Giffkendorf: Merlin Verlag, 2005, 353 S., 19,50 Euro

Indianer(jugend)literatur

Indianerliteratur gibt (gab) es reichlich. Wer kennt nicht die Helden von Karl May, Friedrich Gerstäcker oder James Fenimore Cooper. Wobei der erste reine Fantasiegeschichten schrieb, der zweite die Situation von persönlichen Reisen her kannte (und politisch aktiv war) und der dritte als einziger tatsächlich Amerikaner war. Schon nicht so bekannt (im Westen) sind die Romane von Liselotte Welskopf-Henrich, die in der damaligen DDR realistische historische Romane über dieses Thema schrieb. Fast unbekannt ist uns Louise Erdrich, die 1954 als Tochter eines Deutschen und eines Indianers in North Dakota geboren wurde. Es handelt sich bei diesen Schmökern — wenn man von L.Erdrich oder dem noch nicht genannten Wolfgang Bittner mit seinen unbedingt zu empfehlenden "Kanadabüchern" absieht — um historische Romane, die die heutige Zeit nicht mehr treffen.
Und dann taucht plötzlich diese 1963 in Thüringen geborene, aufgewachsene und immer noch dort lebende Antje Babendererde 2001 mit ihrem Erstling Der Pfahlschnitzer auf dem Buchmarkt auf. Erschienen im kleinen Hannah-Verlag, ohne großartige Werbung, vermag dieser Roman kaum zum Leser durchzudringen. Heute ist er vergriffen. Aber mit diesem Werk wurde der Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt. Die folgenden Romane für Erwachsene erscheinen (im ebenfalls kleinen aber bekannterem) Merlin-Verlag: Der Walfänger (2002), Wundes Land (2003) und Die Suche (2005). Die Taschenbuchausgabe von Wundes Land (2005) ermöglicht dann den Durchbruch im Erwachsenensektor. Dazwischen liegen drei Jugendbücher Der Gesang der Orcas (2003), Lakota Moon (2005) und Talitha Running Horse (2005), die alle im Ensslin-Verlag bzw. dem zur gleichen Verlagsgruppe gehörenden Arena-Verlag erschienen sind. Seit Lakota Moon wurden die Spezialisten der Jugendbuchszene auf diese Autorin aufmerksam, Preise waren die Folge.
Babendererde schildert die Probleme der heutigen Indianer in der bestehenden Gesellschaft der USA. Meistens in der Form einer gut erzählten Liebesgeschichte mit Anleihen beim Kriminalroman. Denn ihre "Helden" geraten oft mit dem Gesetz in Konflikt. Denn dieses respektiert die ursprüngliche Lebensweise — auch in der heutigen modifizierten Form — der Ureinwohner nicht. Der Landraub findet immer noch statt, die Ausbeutung der Boden- und Naturschätze schreitet voran. Dies wird relativ leicht gemacht, denn auch in den Reservaten herrscht Neid und Korruption. Und die Entwurzlung der Bewohner in Verbindung mit Alkoholismus und Drogenmissbrauch zeigen Folgen.
In diesem Spannungsfeld spielen die Geschichten, die sie blendend erzählt. Und wer wissen will, wie man eine Pferde- und Pubertätsgeschichte mal abseits der üblich heruntergeleierten Form schreiben kann, dem empfehle ich z.B. Talitha Running Horse. Ganz normal in die Handlung eingebunden wird der Todesmarsch der Sioux und die Erinnerung daran erzählt und bildet unversehens den Höhepunkt dieses Romans.
Antje Babendererde kennt die Verhältnisse aus persönlichen Eindrücken, vielen Aufenthalten in den betreffenden Reservaten. Ganz selbstverständlich fügt sie reale Gegebenheiten in ihre Romane ein. So schildert sie z.B. in Lakota Moon das kriminelle paramilitärische Vorgehen des FBI gegen einen indianischen Nutzhanfpflanzer, das dessen wirtschaftliche Existenz vernichtet. Dies nahm der Schreiber dieser Zeilen z.B. nicht ganz ernst. Umso überraschter war ich bei der Betrachtung des hervorragenden Videos Die Donnervogelfrau über die Indianeraktivistin Winona LaDuke, in der LaDuke genau diese Tatsache schilderte.
Ebenso real der juristische Kampf in ihrem letzten Roman für Erwachsene Die Suche. Die Geschichte spielt im (in diesem Fall von der Autorin erfundenen) Dog-Lake-Reservat im heutigen Kanada. Cree-Indianer kämpfen gegen den mächtigen Papierkonzern Shimada, der ihre Wälder abholzen will. Deren Sprecher, Jem Soonias, hat aber eigentlich ganz andere Probleme, denn sein neunjähriger Sohn ist verschwunden. Und die Zusammenarbeit mit der Polizei ist von gegenseitigem Misstrauen und Nichtverstehen geprägt. Die Lösung sei hier nicht verraten, aber dass sich in diesem Buch noch eine herrlich erzählte Liebesgeschichte verbirgt, will ich doch nicht verschweigen.
Oder zum Schluss noch der Kampf der Makah- Indianer im Bundesstaat Washington. Sie erhalten Ende der 90er Jahre das Recht auf Wiederbelebung ihrer uralten Tradition. Die Walfangkommission erlaubt ihnen die Tötung eines Wals. Diese Jagd droht den Stamm zu entzweihen und bringt Tierschützer gegen sie auf. Diese Begebenheit bildet den Hintergrund für die beiden Bücher Der Walfänger und Der Gesang der Orcas.
Im letztgenannten Jugendbuch spielen die 15-jährige Sofie, deren Vater und der 16-jährige Makah-Junge Javid die Hauptrolle. Sofie und ihr Vater können den Tod der Mutter nur schwer verwinden und jeder trauert auf eigene, einsame Weise. Eine gemeinsame Reise an die Nordwestküste Amerikas soll beide einander wieder näher bringen. Aber Sofie verliebt sich in den Makah-Indianer Javid und verbringt viel Zeit mit ihm, während ihr Vater seinem Beruf nachgeht und fotografiert.
Sofie und Javid haben ein Geheimnis: So oft es geht sind sie mit einem Schlauchboot auf dem Meer und besuchen eine kleine Orcagruppe, die sich vor der Küste aufhält. Als sie einmal von einem Sturm überrascht werden und eine Nacht in einer Fischerhütte verbringen müssen, kommt es beinahe zum Bruch zwischen Sofie und ihrem Vater. Aber Sofie hält zu Javid und geht ihren eigenen Weg. Und Javid lebt in der Tradition seines Volkes. Ein wundervolles Buch!
Wer sich noch mehr für die Geschichte der Indianer interessiert, dem sei außerdem das ausgezeichnete, leider nur noch antiquarisch zu erhaltende, Sachbuch Die Sioux von H.J.Stammel empfohlen. Es macht klar, dass es zumeist wirtschaftliche Gründe waren, die zur fast vollständigen Ausrottung führten. So wurden bspw. die als "zivilisiert" geltenden Cheyenne erst erbarmungslos dezimiert, als der Staat Georgia und seine Bevölkerung 1828 so hoch bei den Cheyenne verschuldet waren, dass Staatsbankrott drohte. 40 Jahre später drohte der Zusammenbruch der Aktiengesellschaften, die gegründet worden waren, um die großen Eisenbahnlinien zu errichten. Nun wurden die Rechte der letzten Reitervölker mit einem Federstrich endgültig beseitigt und die Sioux abgeschlachtet und in die Reservate gezwungen.

Ulrich Klinger

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