SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die zentrale Forderung einer internationalistischen Linken kann unseres
Erachtens nur die Delegitimierung der G8 sein. […]
Der G8 mangelt es in zweifacher Hinsicht an
Legitimation: Sowohl gemessen an den für viele Menschen katastrophalen Ergebnissen ihrer Politik, als
auch gemessen am eklatanten Missverhältnis zwischen den Beteiligten und den Betroffenen der G8-
Entscheidungen. Was dieses Missverhältnis angeht, so erfüllt die G8 nicht einmal die selbst
gesetzten Standards liberaler Demokratie. Acht Regierungen maßen sich an Beschlüsse zu treffen,
deren symbolische und materielle Auswirkungen weltweit zu spüren sind. Die Regierungschefs der G8 sind
auf nationalstaatlicher Ebene zwar formal demokratisch legitimiert, faktisch agieren sie aber auf
vermachteten Terrains, auf denen nur diejenigen gesellschaftlichen Interessen Wirkung entfalten
können, die mit den herrschenden Problemdefinitionen vereinbar sind. Dazu kommt, dass im Falle Putins
selbst die formaldemokratische Legitimation in Frage steht und dass politische Herrschaft sich auch in den
so genannten westlichen Demokratien ihres liberal-demokratischen Mantels immer weiter entledigt, zunehmend
autoritäre Züge annimmt und sich damit gemessen an den eigenen Legitimationsstandards selbst in
ein Legitimationsproblem manövriert.
Dass Delegitimierung eine
schlagkräftige Forderung sein kann, zeigen die Konflikt- und Mobilisierungsformen in der
argentinischen Krise. Die Parole "¡Que se vayan todos!" (Sie sollen alle abhauen!) brachte hier
eine Strategie der Delegitimierung auf den Punkt, d.h. verdichtete sie in einer griffigen und
einleuchtenden Forderung, die eine hohe Mobilisierungswirkung entfalten konnte.
Delegitimierung beinhaltet
grundsätzlich drei Elemente: Erstens spricht sie den Regierenden das Recht ab, Entscheidungen in der
Form und mit den Inhalten zu treffen, wie sie es tun, weil diejenigen, die die Suppe auslöffeln
müssen, nicht mitkochen durften (Element eins: Ihr habt nicht das Recht!). Zweitens macht sie
deutlich, dass die gesellschaftlichen Möglichkeiten, ein menschenwürdiges Leben jenseits vom
Zwang zu sinnloser Arbeit zu führen, gegeben sind, dass diese Potenziale aber nicht ausgeschöpft,
sondern interessengeleitet negiert werden (Element zwei: Es ist genug für alle da!). Drittens verweist
sie auf bereits praktizierte bzw. angedachte Alternativen selbstbestimmten und solidarischen Zusammenlebens
und postuliert deren Verallgemeinerungsfähigkeit (Element drei: Wir können es besser!).
Eine Herausforderung besteht darin, diese
Kritik nicht nur auf die G8 zu beziehen, sondern auf soziale Konflikte in unterschiedlichen Kontexten
anzuwenden und radikaldemokratische Alternativen aufzuzeigen. Nicht nur die G8 als ein Ausdruck globaler
Herrschaftsverhältnisse muss delegitimiert werden, sondern die zugrundeliegenden Formen und
Definitionen von Politik, Entscheidungsfindung und gesellschaftlicher Struktur. Emanzipatorische
Veränderungen muss sich klar gegen den kapitalistischen und patriarchalen Staat und internationale
politische Institutionen, gegen herrschende Politikvorstellungen und Naturverhältnisse positionieren,
aber auch gegen sich quer durch die Gesellschaft ziehende Hierarchien in Bezug auf Herkunft, Geschlecht,
Klasse und gesellschaftlichen Vorstellungen von Normalität.
Der G8-Prozess kann von emanzipatorischer Seite dazu genutzt werden, dass sich unterschiedliche soziale
und politische Spektren stärker aufeinander beziehen und nach gemeinsamen Handlungsansätzen
suchen…
Einen breiten Konsens könnte es
inhaltlich dahingehend geben:
Wir fordern erstens die Auflösung
der Gruppe der 8 und nicht ihre Erweiterung etwa durch die Einbeziehung anderer Länder.
Wir verweigern uns dem Dialog mit den
Regierungen, die ihm Rahmen der G8 die global herrschenden Interessen koordinieren. Damit laufen wir nicht
Gefahr, dem Prozess über "konstruktive Kritik" Legitimität zu verleihen.
Wir sehen, dass viele Menschen in den
Metropolen die herrschenden Verhältnisse entweder passiv-resignierend hinnehmen oder sogar aktiv
unterstützen ein schlichtes "Die da oben, wir hier unten" geht also nicht auf. Wir
benötigen überzeugende Argumente und müssen für interessierte Menschen und Medien
ansprechbar sein. Die Kunst besteht darin, radikale Kritik und Forderungen zu formulieren und sich
gleichzeitig über den Kreis der ohnehin Überzeugten hinaus zu begeben.
Unsere Kritik ist berechtigt, auch
wenn wir keinen umfassenden Gegenentwurf präsentieren. Wir haben keinen, und wir wollen keinen. Eine
andere Welt kann nicht autoritär geplant und durchgesetzt werden, sondern muss in Lernprozessen, durch
Erfahrungsaustausch und Beteiligung aller entstehen.
Darüber hinaus muss es ein Teil der
Proteste sein, den Unsichtbaren, Stimmlosen und Marginalisierten hierzulande und international dazu zu
verhelfen, dass sie gesehen und gehört werden und ihre Kritik und Alternativen formulieren
können. Das bedeutet, einige Themen systematisch zu bearbeiten und in einer breiteren
Öffentlichkeit zu verankern: bspw. Migration und die Lebensverhältnisse der Menschen, die aus
anderen Ländern nach Westeuropa kommen; die Situation der vielen Ausgegrenzten ohne Stimme und ohne
Gesicht oder die Lebensverhältnisse in den sogenannten peripheren Gesellschaften.
Diese Themen sollten mit den Politiken im
Rahmen der G8, mit Verschuldung und Weltmarktkonkurrenz, aber auch mit den hiesigen Produktions- und
Konsumweisen in Verbindung gebracht werden.
Schließlich: Vielleicht gelingt es,
Begriffe zu finden, in denen sich die aktuellen Kämpfe und Anliegen verdichten und ihnen eine
gemeinsame Perspektive geben. Das zapatistische "¡Ya basta!" oder "Eine andere Welt ist
möglich!" haben diese Funktion.
Globaler Protest darf sich nicht in inhaltlicher Kritik erschöpfen, sondern muss sich in einen
kreativen Prozess umwandeln. Dabei geht es um das fragende Voranschreiten hin zu einer
Veralltäglichung von Widerstand, dem Aufbau und Leben von Alternativen. Die G8-Mobilisierung muss sich
als Teil verschiedener Formen des praktizierten sozialen Protests verstehen, in all seiner
Widersprüchlichkeit…
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04