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Auf dem DGB-Bundeskongress hat Michael Sommer der Großen Koalition eine
klare Abfuhr erteilt: Nein zur Rente mit 67, Nein zum Niedriglohnsektor, Nein zur Aushöhlung des
Kündigungsschutzes, Nein zur geplanten Gesundheitsreform, Nein zur Haushaltspolitik und zur
Erhöhung der Mehrwertsteuer. Im Herbst will die Mehrzahl der Einzelgewerkschaften wieder auf die
Straße gehen. Zentrale Forderung: 7,50 Euro Mindestlohn.
Michael Sommer hat sich auf dem DGB-
Bundeskongress mit einer sehr kämpferischen Rede profiliert. Die wurde nicht von allen acht
Einzelgewerkschaften, die im DGB zusammengeschlossen sind, geteilt. Mindestens fünf Gewerkschaften
IG Metall, Ver.di, IG BAU, NGG und GEW sind sich jedoch einig, dass eine verschärfte
Weiterführung der Agenda 2010, wie die Große Koalition sie vorhat und nun mit erhöhtem Tempo
durchsetzen will, nicht akzeptiert werden kann. Sommer hat damit die überwiegende Stimmung auf dem
Kongress wiedergegeben.
Diese Haltung hat sich auch in einem Antrag niedergeschlagen, in dem gesagt wird: Wir wollen, dass die
Große Koalition einen Politikwechsel vornimmt, und der im letzten Absatz die Einzelgewerkschaften
auffordert, im Herbst öffentliche Aktionen zu machen, um drei Forderungen zu unterstreichen: Nein zur
Rente mit 67 und zur Gesundheitsreform und für einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Der DGB-Kongress
greift damit eine Stimmung in der Bevölkerung auf. Deren anfängliche Bereitschaft abzuwarten, ob
die Große Koalition nicht doch etwas Vernünftiges zuwege bringt, geht mehr und mehr zur Neige.
Die Bereitschaft selber aktiv zu werden, nimmt zu.
Es wird im Herbst also Demonstrationen
geben. Die Einzelgewerkschaften sind aufgefordert, entsprechende Beschlüsse herbeizuführen. Der
Vorstand der IG Metall wird sich im Juni damit befassen. Danach wird es Gespräche mit
Bündnispartnern geben.
Die Festlegung auf einen Mindestlohn von 7,50 Euro ist ein bemerkenswertes Signal. Es ist ein
Fortschritt, dass der DGB sich jetzt so klar gegen den Niedriglohnsektor positioniert. Vor drei Jahren gab
es da noch überwiegend Ablehnung, auch die IG Metall war sehr skeptisch. Dann hat der DGB aber
Verhandlungsrunden zwischen den Einzelgewerkschaften organisiert, die haben dazu geführt, dass es nun
zu einem tragfähigen Kompromiss gekommen ist. In der Höhe sind sich die Einzelgewerkschaften
einig unter 7,50 Euro geht nichts.
Der Beschluss registriert aber, dass es
verschiedene Formen gibt, einen Mindestlohn zu regeln. Das kann ein Entsendegesetz sein, das kann die
Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sein, das kann auch sein, was die IG Metall stark
favorisiert, dass man einen Mindestlohn auf Branchenebene macht damit ist dann die unterste Gruppe
im Tarifvertrag gemeint. Aber alle sind sich einig: Wo die gewerkschaftliche Macht nicht ausreicht oder
Tarifverträge im Keller sind, muss eine gesetzliche Regelung her. Das bedeutet auch: Dort, wo
Gewerkschaften noch regelungsstark sind und bessere Bedingungen in Tarifverträgen durchsetzen
können, können Mindestlöhne auch höher liegen.
Nun hängt alles davon ab, dass der
nötige Druck auf der Straße geschaffen wird weil es sonst gesetzliche Mindestlöhne
wenn überhaupt von 4,50 Euro gibt. Es ist gut, dass IG BAU und NGG heftig Druck machen in dieser
Frage, sie sind ja am stärksten gebeutelt. Und wo Gewerkschaften besonders handlungsfähig sind,
müssen sie versuchen Beispiele zu setzen für tarifvertragliche Regelungen z.B. im
Maschinenbau. Es gibt ja auch Branchen, wo die Arbeitgeber selber einem Mindestlohn nicht abgeneigt sind.
Vielleicht kriegen die Gewerkschaften es am ehesten hin, dass das Entsendegesetz auf andere Branchen
ausgeweitet wird.
Es gab noch weitere bemerkenswerte Signale von diesem Bundeskongress. Da waren zum einen Sommers
Ausführungen zur EU-Verfassung. Hier hat er einen Positionswechsel des DGB vorgetragen. Er hat in
seiner Grundsatzrede gesagt: Wir brauchen eine EU-Verfassung, aber nicht die, die derzeit vorliegt. Und er
hat gefordert, dass die Europawahl 2009 zugleich als Wahl zu einer Verfassung gebenden Versammlung
organisiert wird.
Sommer hat auch eine Regulierung der
Finanzmärkte durch die (Wieder-)Einführung der Börsenumsatzsteuer (die in Deutschland 1991
abgeschafft wurde) und durch die Abschaffung der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne
gefordert.
Am meisten konnte man jedoch auf die DGB-
Jugend stolz sein. Der Jugendausschuss hatte einen umfangreichen Antrag zur Berufsausbildung mit sehr
konkreten Forderungen vorgelegt: keine Schmalspurausbildung, Ausbildungsplatzabgabe usw. Die
Antragsberatungskommission hatte Ablehnung empfohlen. Und da haben diese Jugendlichen noch spät am
Abend so glanzvoll gekontert und ihre Ansprüche in klar gegliederten, für alle
verständlichen Redebeiträgen so gut zur Geltung gebracht, dass sie die Empfehlungen der
Antragsberatungskommission ein ums andere Mal zu Fall gebracht haben. Das zeugte von so großem
inhaltlichen Selbstbewusstsein, da konnte man ganz stolz sein.
Trotz seiner kämpferischen Rede bekam Michael Sommer bei den Vorstandswahlen ein eher schlechtes
Ergebnis. Dafür gibt es zwei Erklärungen. Zum einen gab es viel Unzufriedenheit darüber,
dass Ursula Engelen-Kefer nicht mehr für den geschäftsführenden Vorstand nominiert worden
war. Das hat mancher Delegierte sicher mit einem entsprechenden Stimmverhalten bedacht. Einen Schuss vor
den Bug gab es auch aus der anderen Ecke vermutlich deshalb, weil in den letzten vier Jahren
deutlich geworden ist, dass Sommer sich mit IG Metall und Ver.di stärker abspricht und andere wie IG
BCE und Transnet ihre politischen Positionen bei ihm nicht mehr ausreichend aufgehoben sehen. Das verweist
auf eine veränderte Balance im DGB, die es schwerer macht, Positionen auszutarieren. Es gab einmal 16
Einzelgewerkschaften im DGB, jetzt sind es noch acht. Ein DGB-Vorsitzender, der aber außer den acht
Gewerkschaften keine eigenen Mitglieder hat, muss immer überlegen: Verbündet er sich mit den
stärksten Gewerkschaften oder schaut er auf die Kleinen?
Das Schlimme an Sommers Abstrafung war,
dass es zum Geschäftsbericht keine politisch-inhaltliche Diskussion gab, es gab auch keine offene
Kritik an seiner Rede, es gab eben nur die Kritik von hinten, bei der Wahl. Dieses Schießen aus dem
Hinterhalt ist äußerst bedenklich und übel.
Die Presse hat aufmerksam registriert, dass Oskar Lafontaine mit viel Beifall bedacht wurde, die anderen
ParteienvertreterInnen hingegen nicht. Auch darin manifestierte sich die zunehmende Unzufriedenheit mit der
Politik: Wenn gleichzeitig mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer angekündigt wird, dass Unternehmer
steuerlich entlastet werden, oder die geplante Gesundheitsreform ausschließlich die Versicherten
belasten soll da staut sich etwas auf. Mit der Unzufriedenheit wächst auch die
Überzeugung, dass die SPD es nicht mehr richten wird. Der gute Papa, den Gewerkschaften immer im
Parlament wähnten und der Schlimmeres verhinderte, ist ihnen abhanden gekommen. Das bedeutet nun
nicht, dass die Delegierten die Linkspartei als ihre neue Partei anerkennen würden. Aber die Distanz
zu den Parteien ist größer geworden und damit auch die Bereitschaft, sich auf Diskussionen
einzulassen, dass man selber etwas tun muss und nicht darauf warten kann, bis auf der politisch-
institutionellen Ebene etwas passiert. Das ist vielleicht das Positive an der Veränderung, dass damit
die Bereitschaft gewachsen ist, im Bündnis mit anderen auf die Straße zu gehen. Dennoch darf man
nicht vergessen: Der Gedanke, dass man Politik nicht allein durch den Kontakt zu Parteien beeinflusst, ist
noch keineswegs Allgemeingut in den Gewerkschaften. Dafür muss man immer wieder kämpfen.
Die Kampagne "Trendwende", die der DGB jetzt angestoßen hat, soll natürlich auch
dazu dienen, dass der DGB als Dachorganisation besser wahrgenommen wird womit sich im Gegenzug auch
die Rahmenbedingungen für die Einzelgewerkschaften verbessern. Damit will der DGB auch dem
Mitgliederschwund entgegen steuern. Die organisatorischen Probleme des DGB sind dennoch unübersehbar
an dieser Stelle sei nur der weitere Personalabbau, vor allem in der Fläche genannt. In den
Vorbereitungen für den Bundeskongress war darum auch gefordert worden, das Thema Strukturreform auf
die Tagesordnung zu setzen. Dem wurde nicht statt gegeben, damit wird sich jetzt der DGB-Bundesvorstand
beschäftigen müssen. Da wird man aber ganz grundsätzlich die Frage neu aufrollen
müssen: Wofür ist der DGB zuständig, wofür die Einzelgewerkschaften? Denn da liegt
eigentlich das Problem, es wird vieles doppelt gemacht.
Was kann ein DGB machen, der zu vermitteln
hat zwischen zwei Riesen und sechs Zwergen? Er kann Diskussionen anstoßen, wie beim Mindestlohn. Er
kann die unterschiedlichen Positionen und Begründungen aufgreifen und Formen schaffen, in denen sie
diskutiert werden können. Er kann dafür sorgen, dass es zwischen den Einzelgewerkschaften zu
einem tragfähigen Kompromiss kommt. Allerdings muss er dann auch irgendwann zulassen, dass es eine
Mehrheitsentscheidung gibt.
Es gibt noch eine zweite Ebene: Es sind
auch Schwerpunkte denkbar, wo der DGB nicht nur eine Koordinationsfunktion, sondern eine eigene
Zuständigkeit hat. Europa könnte so ein Thema sein, das wird von den Einzelgewerkschaften nicht
sehr stark besetzt, da gäbe es Bereitschaft, ihm Kompetenzen zuzuschreiben. Es wären aber auch
andere Bereiche denkbar.
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