SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2006, Seite 03

Horst Schmitthenner kommentiert den DGB-Bundeskongress

"Trendwende"

Auf dem DGB-Bundeskongress hat Michael Sommer der Großen Koalition eine klare Abfuhr erteilt: Nein zur Rente mit 67, Nein zum Niedriglohnsektor, Nein zur Aushöhlung des Kündigungsschutzes, Nein zur geplanten Gesundheitsreform, Nein zur Haushaltspolitik und zur Erhöhung der Mehrwertsteuer. Im Herbst will die Mehrzahl der Einzelgewerkschaften wieder auf die Straße gehen. Zentrale Forderung: 7,50 Euro Mindestlohn.
Michael Sommer hat sich auf dem DGB- Bundeskongress mit einer sehr kämpferischen Rede profiliert. Die wurde nicht von allen acht Einzelgewerkschaften, die im DGB zusammengeschlossen sind, geteilt. Mindestens fünf Gewerkschaften — IG Metall, Ver.di, IG BAU, NGG und GEW — sind sich jedoch einig, dass eine verschärfte Weiterführung der Agenda 2010, wie die Große Koalition sie vorhat und nun mit erhöhtem Tempo durchsetzen will, nicht akzeptiert werden kann. Sommer hat damit die überwiegende Stimmung auf dem Kongress wiedergegeben.

Kampagne "Trendwende"

Diese Haltung hat sich auch in einem Antrag niedergeschlagen, in dem gesagt wird: Wir wollen, dass die Große Koalition einen Politikwechsel vornimmt, und der im letzten Absatz die Einzelgewerkschaften auffordert, im Herbst öffentliche Aktionen zu machen, um drei Forderungen zu unterstreichen: Nein zur Rente mit 67 und zur Gesundheitsreform und für einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Der DGB-Kongress greift damit eine Stimmung in der Bevölkerung auf. Deren anfängliche Bereitschaft abzuwarten, ob die Große Koalition nicht doch etwas Vernünftiges zuwege bringt, geht mehr und mehr zur Neige. Die Bereitschaft selber aktiv zu werden, nimmt zu.
Es wird im Herbst also Demonstrationen geben. Die Einzelgewerkschaften sind aufgefordert, entsprechende Beschlüsse herbeizuführen. Der Vorstand der IG Metall wird sich im Juni damit befassen. Danach wird es Gespräche mit Bündnispartnern geben.

Mindestlohn 7,50 Euro

Die Festlegung auf einen Mindestlohn von 7,50 Euro ist ein bemerkenswertes Signal. Es ist ein Fortschritt, dass der DGB sich jetzt so klar gegen den Niedriglohnsektor positioniert. Vor drei Jahren gab es da noch überwiegend Ablehnung, auch die IG Metall war sehr skeptisch. Dann hat der DGB aber Verhandlungsrunden zwischen den Einzelgewerkschaften organisiert, die haben dazu geführt, dass es nun zu einem tragfähigen Kompromiss gekommen ist. In der Höhe sind sich die Einzelgewerkschaften einig — unter 7,50 Euro geht nichts.
Der Beschluss registriert aber, dass es verschiedene Formen gibt, einen Mindestlohn zu regeln. Das kann ein Entsendegesetz sein, das kann die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sein, das kann auch sein, was die IG Metall stark favorisiert, dass man einen Mindestlohn auf Branchenebene macht — damit ist dann die unterste Gruppe im Tarifvertrag gemeint. Aber alle sind sich einig: Wo die gewerkschaftliche Macht nicht ausreicht oder Tarifverträge im Keller sind, muss eine gesetzliche Regelung her. Das bedeutet auch: Dort, wo Gewerkschaften noch regelungsstark sind und bessere Bedingungen in Tarifverträgen durchsetzen können, können Mindestlöhne auch höher liegen.
Nun hängt alles davon ab, dass der nötige Druck auf der Straße geschaffen wird — weil es sonst gesetzliche Mindestlöhne wenn überhaupt von 4,50 Euro gibt. Es ist gut, dass IG BAU und NGG heftig Druck machen in dieser Frage, sie sind ja am stärksten gebeutelt. Und wo Gewerkschaften besonders handlungsfähig sind, müssen sie versuchen Beispiele zu setzen für tarifvertragliche Regelungen — z.B. im Maschinenbau. Es gibt ja auch Branchen, wo die Arbeitgeber selber einem Mindestlohn nicht abgeneigt sind. Vielleicht kriegen die Gewerkschaften es am ehesten hin, dass das Entsendegesetz auf andere Branchen ausgeweitet wird.

Signale

Es gab noch weitere bemerkenswerte Signale von diesem Bundeskongress. Da waren zum einen Sommers Ausführungen zur EU-Verfassung. Hier hat er einen Positionswechsel des DGB vorgetragen. Er hat in seiner Grundsatzrede gesagt: Wir brauchen eine EU-Verfassung, aber nicht die, die derzeit vorliegt. Und er hat gefordert, dass die Europawahl 2009 zugleich als Wahl zu einer Verfassung gebenden Versammlung organisiert wird.
Sommer hat auch eine Regulierung der Finanzmärkte durch die (Wieder-)Einführung der Börsenumsatzsteuer (die in Deutschland 1991 abgeschafft wurde) und durch die Abschaffung der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne gefordert.
Am meisten konnte man jedoch auf die DGB- Jugend stolz sein. Der Jugendausschuss hatte einen umfangreichen Antrag zur Berufsausbildung mit sehr konkreten Forderungen vorgelegt: keine Schmalspurausbildung, Ausbildungsplatzabgabe usw. Die Antragsberatungskommission hatte Ablehnung empfohlen. Und da haben diese Jugendlichen noch spät am Abend so glanzvoll gekontert und ihre Ansprüche in klar gegliederten, für alle verständlichen Redebeiträgen so gut zur Geltung gebracht, dass sie die Empfehlungen der Antragsberatungskommission ein ums andere Mal zu Fall gebracht haben. Das zeugte von so großem inhaltlichen Selbstbewusstsein, da konnte man ganz stolz sein.

Vorstandswahlen

Trotz seiner kämpferischen Rede bekam Michael Sommer bei den Vorstandswahlen ein eher schlechtes Ergebnis. Dafür gibt es zwei Erklärungen. Zum einen gab es viel Unzufriedenheit darüber, dass Ursula Engelen-Kefer nicht mehr für den geschäftsführenden Vorstand nominiert worden war. Das hat mancher Delegierte sicher mit einem entsprechenden Stimmverhalten bedacht. Einen Schuss vor den Bug gab es auch aus der anderen Ecke — vermutlich deshalb, weil in den letzten vier Jahren deutlich geworden ist, dass Sommer sich mit IG Metall und Ver.di stärker abspricht und andere wie IG BCE und Transnet ihre politischen Positionen bei ihm nicht mehr ausreichend aufgehoben sehen. Das verweist auf eine veränderte Balance im DGB, die es schwerer macht, Positionen auszutarieren. Es gab einmal 16 Einzelgewerkschaften im DGB, jetzt sind es noch acht. Ein DGB-Vorsitzender, der aber außer den acht Gewerkschaften keine eigenen Mitglieder hat, muss immer überlegen: Verbündet er sich mit den stärksten Gewerkschaften oder schaut er auf die Kleinen?
Das Schlimme an Sommers Abstrafung war, dass es zum Geschäftsbericht keine politisch-inhaltliche Diskussion gab, es gab auch keine offene Kritik an seiner Rede, es gab eben nur die Kritik von hinten, bei der Wahl. Dieses Schießen aus dem Hinterhalt ist äußerst bedenklich und übel.

Parteien und soziale Bewegungen

Die Presse hat aufmerksam registriert, dass Oskar Lafontaine mit viel Beifall bedacht wurde, die anderen ParteienvertreterInnen hingegen nicht. Auch darin manifestierte sich die zunehmende Unzufriedenheit mit der Politik: Wenn gleichzeitig mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer angekündigt wird, dass Unternehmer steuerlich entlastet werden, oder die geplante Gesundheitsreform ausschließlich die Versicherten belasten soll — da staut sich etwas auf. Mit der Unzufriedenheit wächst auch die Überzeugung, dass die SPD es nicht mehr richten wird. Der gute Papa, den Gewerkschaften immer im Parlament wähnten und der Schlimmeres verhinderte, ist ihnen abhanden gekommen. Das bedeutet nun nicht, dass die Delegierten die Linkspartei als ihre neue Partei anerkennen würden. Aber die Distanz zu den Parteien ist größer geworden und damit auch die Bereitschaft, sich auf Diskussionen einzulassen, dass man selber etwas tun muss und nicht darauf warten kann, bis auf der politisch- institutionellen Ebene etwas passiert. Das ist vielleicht das Positive an der Veränderung, dass damit die Bereitschaft gewachsen ist, im Bündnis mit anderen auf die Straße zu gehen. Dennoch darf man nicht vergessen: Der Gedanke, dass man Politik nicht allein durch den Kontakt zu Parteien beeinflusst, ist noch keineswegs Allgemeingut in den Gewerkschaften. Dafür muss man immer wieder kämpfen.

Welche Rolle für den DGB?

Die Kampagne "Trendwende", die der DGB jetzt angestoßen hat, soll natürlich auch dazu dienen, dass der DGB als Dachorganisation besser wahrgenommen wird — womit sich im Gegenzug auch die Rahmenbedingungen für die Einzelgewerkschaften verbessern. Damit will der DGB auch dem Mitgliederschwund entgegen steuern. Die organisatorischen Probleme des DGB sind dennoch unübersehbar — an dieser Stelle sei nur der weitere Personalabbau, vor allem in der Fläche genannt. In den Vorbereitungen für den Bundeskongress war darum auch gefordert worden, das Thema Strukturreform auf die Tagesordnung zu setzen. Dem wurde nicht statt gegeben, damit wird sich jetzt der DGB-Bundesvorstand beschäftigen müssen. Da wird man aber ganz grundsätzlich die Frage neu aufrollen müssen: Wofür ist der DGB zuständig, wofür die Einzelgewerkschaften? Denn da liegt eigentlich das Problem, es wird vieles doppelt gemacht.
Was kann ein DGB machen, der zu vermitteln hat zwischen zwei Riesen und sechs Zwergen? Er kann Diskussionen anstoßen, wie beim Mindestlohn. Er kann die unterschiedlichen Positionen und Begründungen aufgreifen und Formen schaffen, in denen sie diskutiert werden können. Er kann dafür sorgen, dass es zwischen den Einzelgewerkschaften zu einem tragfähigen Kompromiss kommt. Allerdings muss er dann auch irgendwann zulassen, dass es eine Mehrheitsentscheidung gibt.
Es gibt noch eine zweite Ebene: Es sind auch Schwerpunkte denkbar, wo der DGB nicht nur eine Koordinationsfunktion, sondern eine eigene Zuständigkeit hat. Europa könnte so ein Thema sein, das wird von den Einzelgewerkschaften nicht sehr stark besetzt, da gäbe es Bereitschaft, ihm Kompetenzen zuzuschreiben. Es wären aber auch andere Bereiche denkbar.

Horst Schmitthenner war 1989—2003 Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall. Jetzt ist er Beauftragter des IG-Metall-Vorstands für das Verbindungsbüro Soziale Bewegungen.



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