SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2006, Seite 06

Bei DaimlerChrysler Stuttgart geht die IG Metall gegen die Opposition vor

Flurbereinigung

Im DaimlerChrysler-Werk Untertürkheim eskaliert der Konflikt zwischen den Spitzen von Betriebsrat und IG Metall auf der einen und deren linken Kritikern auf der anderen Seite.

Bei den Betriebsratswahlen im März dieses Jahres hatten die auf der Liste "alternative/Klartext" zusammengeschlossenen Oppositionellen einen Achtungserfolg eingefahren. Seither stellen sie mit zehn Sitzen die zweitstärkste Fraktion in der 45-köpfigen Beschäftigtenvertretung.
Nun verweigern die zuständigen Ortsverwaltungen der IG Metall, Stuttgart und Esslingen, den Betriebsräten der kritischen Gruppe — allesamt langjährige aktive Gewerkschafter — die Teilnahme an den Versammlungen des Vertrauenskörpers, der aus rund 600 durch Wahlen in den Bereichen legitimierten Mitgliedern besteht.
Zu den Fraktionssitzungen der IG Metall werden die "alternative"-Betriebsräte bereits seit Herbst 2004 nicht mehr zugelassen.
"Ohne jede satzungsrechtliche Grundlage wird die Teilnahme von Vertrauensleuten an den betrieblichen Gewerkschaftsstrukturen verhindert", empört sich der oppositionelle Betriebsrat Tom Adler im Gespräch. In keinem anderen Betrieb der Region sei bislang Ähnliches vorgefallen. "Das ist ausschließliches Daimler-Recht", stellt Adler fest. Dem widerspricht der 2.Bevollmächtigte der Stuttgarter IG Metall, Uwe Meinhardt. Er beruft sich darauf, dass die Satzung der Gewerkschaft eine Bestätigung der IG-Metall-Betriebsräte als Vertrauensleute durch die Ortsverwaltungen vorsieht.
Dass diese Bestätigung nicht erteilt wird, passiere "immer wieder mal" und sei gerechtfertigt, da die Kollegen auf einer "gegnerischen Liste" kandidiert hätten. Dies sei "kein Funktionsverbot", betont er. Für Adler ist die Maßnahme hingegen "ein Funktionsverbot auf kaltem Weg", da den Betroffenen — an den Statuten vorbei — die Übernahme von Positionen unmöglich gemacht werde.
Das Vorgehen der IG-Metall-Spitze sieht der linke Aktivist als "gewerkschaftsinterne Flurbereinigung", mit der kritische Stimmen zur Politik des "Co-Managements" zum Schweigen gebracht werden sollten. Hintergrund sind die massiven Einschnitte bei dem Autokonzern. Der operativen Planung zufolge sollen 23000 Jobs in den deutschen DaimlerChrysler-Werken wegfallen. "Gegen diesen Kahlschlag wird von seiten des Gesamtbetriebsrats und der Gewerkschaftsführung Null Komma Null Widerstand organisiert", sagt Adler. Und diese Kritik verbreitet seine Gruppe in der zwei- bis dreiwöchentlich erscheinenden Betriebszeitung alternative — mit großem Erfolg, wie nicht zuletzt die Betriebsratswahlen gezeigt haben. 3100 Stimmen — vor allem aus den kampfstarken Produktionsbereichen im Werksteil Mettingen — hatte die Liste dabei auf sich vereinigen können.
"Dieses Ergebnis ist Ausdruck davon, dass unter den Kollegen enormer Unmut besteht", so Adler. Da die Betriebsratsspitze Zugeständnisse aufgrund des globalisierten Wettbewerbs aber für unvermeidlich halte und von ihrem Verzichtskurs nicht abrücken wolle, werde diese Kritik als Gefahr betrachtet.
"Die IG Metall ist eine Gewerkschaft mit unterschiedlichen Meinungen und Strömungen — und das ist auch gut so —, aber es gibt eine Grenze: die offene Fraktionierung", hält Meinhardt dem entgegen. Die "von den Leuten der alternative bewusst herbeigeführte Spaltung" gefährde die Handlungsfähigkeit der IG Metall.
"Man hat von uns verlangt, die Publikation unserer Zeitung einzustellen — das war für uns unannehmbar und hat uns dazu gezwungen, eigenständig zu kandidieren", erwidert Adler. Auch den Vorwurf, "die Handlungsfähigkeit der IG Metall zu gefährden", will er nicht auf sich sitzen lassen und betont, die "alternative"-Aktivisten hätten sich an allen Streiks und Aktionen der vergangenen Jahre beteiligt und diese zum Teil selbst organisiert.
Vielbeachtetes Beispiel: Die Besetzung der sechsspurigen B10 im Juni 2004. Zudem habe der Wahlerfolg der "alternative" gezeigt, dass viele Metaller im Werk die Kritik der Gruppe teilen. "Diese müssen in den Gremien der IG Metall auch eine Stimme haben — uns wird aber jegliche Möglichkeit genommen, unsere Positionen in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit überhaupt zu artikulieren", kritisiert Adler. Auch Meinhardt gibt zu, dass etliche Gewerkschaftsmitglieder die "alternative" gewählt haben. Er sei offen für inhaltliche Diskussionen mit den Kritikern, wolle aber keinesfalls eine weitere "Fraktionierung". Eben diese treibe der Apparat mit seinem Vorgehen aber voran, so Tom Adler. "Wenn man wieder zusammenführen will, warum grenzt man uns dann aus?", fragt er.
Einschüchtern lassen wollen sich die Oppositionellen von den Maßnahmen jedoch nicht. "Wir suchen jetzt die gewerkschaftliche und breitere Öffentlichkeit, um uns gegen dieses undemokratische Gebaren zur Wehr zu setzen", erklärt Adler. Unterstützung erhofft sich der Betriebsrat von anderen kritischen Gewerkschaftern und aus der Linken. "Hier geht es um mehr als um Daimler. Sie wollen, dass der Einfluss der ohnehin noch schwachen kapitalismuskritischen Kräfte in der Gewerkschaft zurückgedrängt wird", sagt er. Dass die IG-Metall-Funktionäre nun gerade in diesem Werk — wo die Gewerkschaftslinke eine lange Tradition und großen Einfluss hat — gegen kritische Mitglieder vorgehen, passt dabei ins Bild.

Daniel Behruzi

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