SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2006, Seite 07

Protestwelle an NRW-Unis

Nicht mehr nur die "üblichen Verdächtigen"

Besetzte Senate, Demonstrationen, Banner an den Hochschulgebäuden — die Universitäten in Nordrhein-Westfalen scheinen aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Allerdings ist der küssende Prinz keineswegs der Schwiegersohn, den sich aufgeklärte Eltern wünschen würden.
Die Landesregierung von NRW hat sich aufgemacht, das Hochschulwesen grundlegend umzuwälzen. Nicht nur die Abschaffung der Breitenbildung steht auf ihrer Agenda, sondern auch die vollständige Umstrukturierung der universitären Strukturen. Es sind zwei Gesetze, die die Studierenden endlich aufrütteln: Das Hochschulgebührengesetz und das Hochschul"freiheits"gesetz.
Das Hochschulgebührengesetz ermöglicht den Hochschulen, ab dem Sommersemester 2007 Studiengebühren bis zu 500 Euro pro Semester zu erheben. Damit hat die Regierung den Schwarzen Peter unverblümt an die Hochschulen weitergereicht. Jede einzelne Uni kann entscheiden, ob sie Gebühren erhebt und sich damit von dem Recht auf kostenfreie Bildung für alle verabschiedet. Oder ob sie alternativ auf Gebühren verzichtet und riskiert, die laufenden Kosten (bspw. der Energieversorgung) nicht mehr begleichen zu können.
Viele Universitäten stehen vor einem Millionendefizit, das von der Landesregierung nicht beglichen wird. Studiengebühren scheinen der Weisheit letzter Schluss zu sein.
Der Druck erhöht sich durch das bereits angekündigte zweite Gesetzesprojekt der Landesregierung: Das Hochschul"freiheits"gesetz. Mit ihm werden die Hochschulen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts umgewandelt. Sie wären künftig insolvenzfähig. Entscheiden wird in Zukunft nicht mehr der — wenigstens annähernd — demokratisch legitimierte Senat, sondern ein "Hochschulrat", der sich aus Vertretern der Wirtschaft zusammensetzen wird. Was Bildungsminister Pinkwart (FDP) vollmundig als den Beginn von Freiheit und Lehre und die Unabhängigkeit der Hochschulen zu loben nicht müde wird, setzt die Universitäten den Regeln des freien Marktes aus.
Was soll aber eine kapitalistische Wirtschaft mit kritischen Wissenschaften, nachhaltigen Wirtschaftskonzepten oder ökologischer Forschung? Sie will sie abschaffen. Dazu hat sie fürderhin alle Möglichkeiten: Die öffentliche Finanzierung wird zurückgeschraubt, Drittmittel müssen akquiriert werden, die Haushaltslage für Forschung und Lehre, die nicht marktschnittig arbeiten, wird zunehmend prekär. Der Hochschulrat wird sich den "Sachzwängen" nicht entziehen können, geschweige denn wollen, und unliebsame Fakultäten schließen.
Dieser Generalangriff auf das Bildungswesen geht selbst den friedlichen bundesdeutschen Studierenden zu weit.
Zum Unglück der Landesregierung kämpften parallel zu den anstehenden Entscheidungen über die Einführung von Gebühren die Studierenden der französischen Hochschulen erfolgreich gegen die Einführung des CPE. An vielen Unis fanden spontan Veranstaltungen unter dem Titel "Von Frankreich lernen, heißt siegen lernen" statt. Zahlreiche Studierende, die bisher scheinbar unberührt von den Ereignissen an ihrer eigenen Uni waren, wurden mitgerissen und politisiert. Es sind längst nicht mehr die "üblichen Verdächtigen" allein, die den Widerstand an den Unis tragen. Dass sich dann auch noch die Beschäftigten der Universitäten im Streik befanden und sich mit den Studierenden solidarisierten — das konnten Herr Pinkwart und seine Kumpane nun wirklich nicht ahnen, als sie die Gesetze auf den Weg brachten.
Völlig neu an den jetzigen Aktionen ist die enge Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten und Studierenden. Bei der Senatsbesetzung an der Ruhruni Bochum war eine Delegation von Deilmann-Haniel anwesend. Die Streikenden der Ver.di unterstützten den Protest. Die landesweite Demo in Düsseldorf am 16.Mai wurde von den Streikenden und Studierenden gemeinsam getragen.
Seit dem 22.Mai gibt es nun die "Freie Uni Bochum". Spontan gegründet wurde sie, nachdem der Senat durch die kalte Küche die Erarbeitung einer Gebührensatzung beschlossen hatte. Studierende der Uni Münster hielten über Tage das Schloss in Münster besetzt. Der Kölner Senat verlegte seine Gebührenentscheidung aus Angst vor Protesten ins Kernforschungszentrum Jülich. An vielen anderen Unis regt sich der Widerstand und vor allem der Wille, miteinander das Hochschul"freiheits"gesetz zu verhindern. Hier stehen Beschäftigte und Studierende und zunehmend auch Lehrende Seite an Seite.
Für Ende Juni ist eine breit angelegte Demonstration vor dem Landtag gegen den Bildungsabbau geplant. Die Organisatoren werden sich darauf einrichten müssen, dass ihr Widerstand mit massiver Polizeigewalt beantwortet wird. Das haben bereits die Proteste der letzten Wochen gezeigt. Fast alle Senate wurden polizeilich und nicht eben zimperlich geräumt, Teilnehmende der Demo in Düsseldorf über zwei Stunden eingekesselt, als sie auf dem Weg nach Hause waren. Der friedliche Widerstand soll kriminalisiert werden. Die Studierenden antworten darauf mit Wortgewalt und Solidarität.

Katharina Schwabedissen

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