SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2006, Seite 20

Andreas Diers: Arbeiterbewegung — Demokratie — Staat. Wolfgang Abendroth Leben und Werk 1906—1948, Hamburg: VSA, 2006, 630 Seiten, 39,80 Euro
Wolfgang Abendroth: Gesammelte Schriften, Bd.1. 1926—1948, Hannover: Offizin, 2006, 585 Seiten, 24,80 Euro
CD-ROM: Wolfgang Abendroth für Einsteiger und Fortgeschrittene, Bonn: Pahl-Rugenstein, 2006, 25 Euro

Der frühe Abendroth

Wie ist Wolfgang Abendroth eigentlich zu jenem strömungsübergreifenden Linken geworden, als der seit den 60er Jahren verehrt wird? Zwei sich ergänzende Buchpublikationen bieten nun die Möglichkeit, dieser Frage sehr viel genauer nachzugehen als bisher.
Da ist zuerst die voluminöse Biografie von Andreas Diers zu nennen, die Abendroths Leben und Werk (allerdings nur!) bis 1948 behandelt. Detailliert wertet Diers die historischen Quellen und den umfangreichen Nachlass Abendroths aus und verfolgt in akribischer Fleißarbeit — vielleicht zu akribisch — dessen Werdegang. Er zeigt auf, dass und wie Abendroth ein Kind der klassischen Arbeiterbewegung des beginnenden 20.Jahrhunderts gewesen ist. Quer durch die Familie ging der Riss der Strömungen: Waren die Eltern eher gemäßigte Sozialdemokraten, vertraten die Großeltern, denen sich der junge Wolfgang besonders nahe fühlte, radikalere Traditionen. Bereits als politisierter Jugendlicher versuchte Abendroth, zwischen den Strömungen zu vermitteln, neigte jedoch deutlich der kommunistischen Strömung zu und engagierte sich in den 20er Jahren vor allem in der unabhängigen Jugendbewegung. Bereits damals — und das ist in dieser Form neu — kritisiert er aufs Schärfste die Stalinisierung der kommunistischen Bewegung und verbindet die politischen Analysen der linken Opposition um Trotzki und Korsch mit denen der "rechten" Opposition um Brandler/Thalheimer.
Diers zeigt auf, wie intellektuell abgeklärt er den Aufstieg der faschistischen Barbarei analysiert und bekämpft und wie hart ihn dagegen die Moskauer Schauprozesse sowie der Hitler-Stalin-Pakt treffen. Und er zeigt den Bruch in Abendroths politisch-theoretischem Werk auf: die Wandlung vom jugendlichen Linksradikalen, der an der bürgerlichen Demokratie kein gutes Haar lässt, zum marxistischen Staatsrechtler, der dem späteren westdeutschen Grundgesetz eine transformatorische Qualität zuschreibt und vor jeglichem Linksradikalismus warnt.
Dass man sich Diers Arbeit kürzer (und damit auch billiger) gewünscht hätte, hat auch damit zu tun, dass die meisten jener abendrothschen Frühschriften, aus denen er ausgiebig zitiert, nun auch als solche vorliegen — als erster Band der im kleinen Hannoveraner Offizin- Verlag erscheinenden Gesammelten Schriften. Abendroth gehöre, so die Herausgeber den Inhalt des Bandes auf einen prononcierten Nenner bringend, zu "den unbeugsamen Inspiratoren und Aktivisten von Gegenbewegungen. Und das seit seiner frühen Jugend".
Das ästhetisch schlicht, aber ergreifend gemachte verlegerische Großprojekt ist umso verdienstvoller, als keine Aktualisierung Abendroths denkbar ist, ohne ihn zuallererst lesen zu können. Und das geht noch immer allenfalls antiquarisch.
Die dritte Veröffentlichung zum Jubiläum, die CD-ROM von Friedrich-Martin Balzer, bietet immerhin eine der Hauptschriften (Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie) als PDF-Datei und einige andere kleinere Texte Abendroths sowie eine umfangreiche Werkbibliografie. Neu hinzugekommen sind bei dieser erweiterten Neuauflage auch andere, allerdings nicht eindeutig Abendroth zuzuordnende Frühschriften, und diverse Texte über ihn.
Der lückenlosen Aufarbeitung wenigstens "des frühen Abendroth" steht damit nichts mehr im Wege.

Christoph Jünke



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