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Wie ist Wolfgang Abendroth eigentlich zu jenem strömungsübergreifenden Linken
geworden, als der seit den 60er Jahren verehrt wird? Zwei sich ergänzende Buchpublikationen bieten nun die
Möglichkeit, dieser Frage sehr viel genauer nachzugehen als bisher.
Da ist zuerst die voluminöse Biografie von Andreas
Diers zu nennen, die Abendroths Leben und Werk (allerdings nur!) bis 1948 behandelt. Detailliert wertet Diers die
historischen Quellen und den umfangreichen Nachlass Abendroths aus und verfolgt in akribischer Fleißarbeit
vielleicht zu akribisch dessen Werdegang. Er zeigt auf, dass und wie Abendroth ein Kind der klassischen
Arbeiterbewegung des beginnenden 20.Jahrhunderts gewesen ist. Quer durch die Familie ging der Riss der Strömungen:
Waren die Eltern eher gemäßigte Sozialdemokraten, vertraten die Großeltern, denen sich der junge Wolfgang
besonders nahe fühlte, radikalere Traditionen. Bereits als politisierter Jugendlicher versuchte Abendroth, zwischen
den Strömungen zu vermitteln, neigte jedoch deutlich der kommunistischen Strömung zu und engagierte sich in den
20er Jahren vor allem in der unabhängigen Jugendbewegung. Bereits damals und das ist in dieser Form neu
kritisiert er aufs Schärfste die Stalinisierung der kommunistischen Bewegung und verbindet die politischen
Analysen der linken Opposition um Trotzki und Korsch mit denen der "rechten" Opposition um Brandler/Thalheimer.
Diers zeigt auf, wie intellektuell abgeklärt er den
Aufstieg der faschistischen Barbarei analysiert und bekämpft und wie hart ihn dagegen die Moskauer Schauprozesse
sowie der Hitler-Stalin-Pakt treffen. Und er zeigt den Bruch in Abendroths politisch-theoretischem Werk auf: die Wandlung
vom jugendlichen Linksradikalen, der an der bürgerlichen Demokratie kein gutes Haar lässt, zum marxistischen
Staatsrechtler, der dem späteren westdeutschen Grundgesetz eine transformatorische Qualität zuschreibt und vor
jeglichem Linksradikalismus warnt.
Dass man sich Diers Arbeit kürzer (und damit auch
billiger) gewünscht hätte, hat auch damit zu tun, dass die meisten jener abendrothschen Frühschriften, aus
denen er ausgiebig zitiert, nun auch als solche vorliegen als erster Band der im kleinen Hannoveraner Offizin-
Verlag erscheinenden Gesammelten Schriften. Abendroth gehöre, so die Herausgeber den Inhalt des Bandes auf einen
prononcierten Nenner bringend, zu "den unbeugsamen Inspiratoren und Aktivisten von Gegenbewegungen. Und das seit
seiner frühen Jugend".
Das ästhetisch schlicht, aber ergreifend gemachte
verlegerische Großprojekt ist umso verdienstvoller, als keine Aktualisierung Abendroths denkbar ist, ohne ihn
zuallererst lesen zu können. Und das geht noch immer allenfalls antiquarisch.
Die dritte Veröffentlichung zum Jubiläum, die
CD-ROM von Friedrich-Martin Balzer, bietet immerhin eine der Hauptschriften (Aufstieg und Krise der deutschen
Sozialdemokratie) als PDF-Datei und einige andere kleinere Texte Abendroths sowie eine umfangreiche Werkbibliografie. Neu
hinzugekommen sind bei dieser erweiterten Neuauflage auch andere, allerdings nicht eindeutig Abendroth zuzuordnende
Frühschriften, und diverse Texte über ihn.
Der lückenlosen Aufarbeitung wenigstens "des
frühen Abendroth" steht damit nichts mehr im Wege.
Christoph Jünke
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