SoZ - Sozialistische Zeitung |
von HELMUT BORN
Am 1.6. haben führende Vertreter von LPDS und WASG
einen Aufruf zur Gründung einer neuen Linken vorgestellt. Erfreulicherweise stellt er das
kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage und beschreibt, wesentlich klarer als bisher üblich, der
Zustand der heutigen bürgerlichen Gesellschaft. Doch so manche Aspekte der heutigen Situation und
manchen Antworten werden nicht sehr schlüssig präsentiert.
So schreiben die Autoren, dass "in
Europa am Ende des 20.Jahrhunderts sozialistische und sozialdemokratische Parteien Regierungsverantwortung
übernahmen, diese aber zu schwach waren, sich dem immer ungehemmter agierenden Kapitalismus in den Weg
zu stellen". Welche Illusionen über die Sozialdemokratie wirken hier? Ist die Geschichte der SPD
seit 1914 nicht gepflastert mit solcher Schwäche? Hoffentlich ist damit nicht gemeint, die neue Linke
werde in der Lage sein, die SPD mit einer Politik zu ersetzen, wie sie in der Ära Brandt verfolgt
wurde. Ein solcher Versuch würde kläglich scheitern, ebenso wie die Regierungsbeteiligungen der
"linken" Parteien in Europa kläglich gescheitert sind.
Die Linke, heißt es weiter, darf die
Fehler traditioneller kapitalismuskritischer Organisationen nicht wiederholen und sich nicht in das
globalkapitalistische System einbinden lassen. Ein hehrer Anspruch. In der Konsequenz müssten
eigentlich die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aufgegeben oder ein
Politikwechsel eingeleitet werden.
Das Bekenntnis zum demokratischen
Sozialismus wird locker konterkariert durch die Formulierung, dass "Gesetze und Regeln sicher stellen
müssen, dass die Kapitalverwertung dem Gemeinwohl verpflichtet ist". Zum Glück wird
erwähnt, dass Schlüsselbereiche der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge in öffentliche
Eigentumsformen überführt werden und demokratischer Kontrolle unterliegen müssen.
Der Aufruf stellt fest, dass 500 Konzerne
die Hälfte des Weltsozialprodukts kontrollieren und dass diese Ballung wirtschaftlicher Macht die
Demokratie gefährdet. Deswegen müsse die Kartellgesetzgebung verschärft werden. Anstatt aber
hier Elemente der Selbstverwaltung in die Diskussion zu bringen, sollen Markt und Wettbewerb ihre Wirkung
entfalten und den gesellschaftlichen Wohlstand steigern. Markt und Wettbewerb, schreiben die Autoren,
führen nicht nur zu einer effizienten Wirtschaft, sondern auch zur Dezentralisierung wirtschaftlicher
Entscheidungen und damit zur Einschränkung wirtschaftlicher Macht.
"Die Linke" setzt daher vorrangig
auf die Förderung der 2,9 Millionen Unternehmen, die weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen, und
der über eine Million Kleinbetriebe, die in Deutschland weniger als 10 Beschäftigte haben.
Wie wir mit Markt und Wettbewerb zum
demokratischen Sozialismus kommen wollen, müssen und die AutorInnen einmal genauer erklären. Es
drängt sich der Eindruck auf, dass sich hier die Staatsgläubigen aus der alten Sozialdemokratie
und der alten Staatspartei zu Wort gemeldet haben, die noch immer keine Vorstellung von einer Alternative
zum Kapitalismus, aber auch nicht zum untergegangenen bürokratisch degenerierten
"Sozialismus" der Warschauer-Pakt-Staaten haben. Oder wird der Sozialismus mit 3,9 Millionen
Besitzern von Klein- und Mittelbetrieben aufgebaut? Welche Rolle würde in einer solchen
Krauterwirtschaft wohl für die abhängig Beschäftigten bleiben?
Dass es heutzutage in Lateinamerika
weitergehende Beteiligungsmöglichkeiten für große Teile der Bevölkerung gibt wie
die Beteiligungshaushalte in Brasilien und die Übernahme von Betrieben durch Belegschaften in
Venezuela und Argentinien scheint den Autoren noch nicht bekannt. Erst wenn die Linke in Europa in
der Lage ist, solche Entwicklungen in ihre Konzepte einzubeziehen und daraus Dynamik für eine
Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse zu gewinnen, werden wir ein Programm für einen
Sozialismus des 21.Jahrhunderts entwickeln können.
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