SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2006, Seite 04

Die neue Linke

Partei der Kleinunternehmer?

von HELMUT BORN
Am 1.6. haben führende Vertreter von LPDS und WASG einen Aufruf zur Gründung einer neuen Linken vorgestellt. Erfreulicherweise stellt er das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage und beschreibt, wesentlich klarer als bisher üblich, der Zustand der heutigen bürgerlichen Gesellschaft. Doch so manche Aspekte der heutigen Situation und manchen Antworten werden nicht sehr schlüssig präsentiert.
So schreiben die Autoren, dass "in Europa am Ende des 20.Jahrhunderts sozialistische und sozialdemokratische Parteien Regierungsverantwortung übernahmen, diese aber zu schwach waren, sich dem immer ungehemmter agierenden Kapitalismus in den Weg zu stellen". Welche Illusionen über die Sozialdemokratie wirken hier? Ist die Geschichte der SPD seit 1914 nicht gepflastert mit solcher Schwäche? Hoffentlich ist damit nicht gemeint, die neue Linke werde in der Lage sein, die SPD mit einer Politik zu ersetzen, wie sie in der Ära Brandt verfolgt wurde. Ein solcher Versuch würde kläglich scheitern, ebenso wie die Regierungsbeteiligungen der "linken" Parteien in Europa kläglich gescheitert sind.
Die Linke, heißt es weiter, darf die Fehler traditioneller kapitalismuskritischer Organisationen nicht wiederholen und sich nicht in das globalkapitalistische System einbinden lassen. Ein hehrer Anspruch. In der Konsequenz müssten eigentlich die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aufgegeben oder ein Politikwechsel eingeleitet werden.
Das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus wird locker konterkariert durch die Formulierung, dass "Gesetze und Regeln sicher stellen müssen, dass die Kapitalverwertung dem Gemeinwohl verpflichtet ist". Zum Glück wird erwähnt, dass Schlüsselbereiche der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge in öffentliche Eigentumsformen überführt werden und demokratischer Kontrolle unterliegen müssen.
Der Aufruf stellt fest, dass 500 Konzerne die Hälfte des Weltsozialprodukts kontrollieren und dass diese Ballung wirtschaftlicher Macht die Demokratie gefährdet. Deswegen müsse die Kartellgesetzgebung verschärft werden. Anstatt aber hier Elemente der Selbstverwaltung in die Diskussion zu bringen, sollen Markt und Wettbewerb ihre Wirkung entfalten und den gesellschaftlichen Wohlstand steigern. Markt und Wettbewerb, schreiben die Autoren, führen nicht nur zu einer effizienten Wirtschaft, sondern auch zur Dezentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen und damit zur Einschränkung wirtschaftlicher Macht.
"Die Linke" setzt daher vorrangig auf die Förderung der 2,9 Millionen Unternehmen, die weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen, und der über eine Million Kleinbetriebe, die in Deutschland weniger als 10 Beschäftigte haben.
Wie wir mit Markt und Wettbewerb zum demokratischen Sozialismus kommen wollen, müssen und die AutorInnen einmal genauer erklären. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich hier die Staatsgläubigen aus der alten Sozialdemokratie und der alten Staatspartei zu Wort gemeldet haben, die noch immer keine Vorstellung von einer Alternative zum Kapitalismus, aber auch nicht zum untergegangenen bürokratisch degenerierten "Sozialismus" der Warschauer-Pakt-Staaten haben. Oder wird der Sozialismus mit 3,9 Millionen Besitzern von Klein- und Mittelbetrieben aufgebaut? Welche Rolle würde in einer solchen Krauterwirtschaft wohl für die abhängig Beschäftigten bleiben?
Dass es heutzutage in Lateinamerika weitergehende Beteiligungsmöglichkeiten für große Teile der Bevölkerung gibt — wie die Beteiligungshaushalte in Brasilien und die Übernahme von Betrieben durch Belegschaften in Venezuela und Argentinien — scheint den Autoren noch nicht bekannt. Erst wenn die Linke in Europa in der Lage ist, solche Entwicklungen in ihre Konzepte einzubeziehen und daraus Dynamik für eine Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse zu gewinnen, werden wir ein Programm für einen Sozialismus des 21.Jahrhunderts entwickeln können.

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