SoZ - Sozialistische Zeitung |
von THIES GLEISS
Unser Lieblingswitz geht so: Kommt ein harmloses Männchen in einen
Flaggenladen und sagt: "Ich hätte gerne eine neue Nationalfahne, am liebsten eine
grüne." "Tut mir leid", antwortet der Verkäufer, "wir haben nur Schwarz-Rot-
Gold." "In Ordnung", antwortet das Männchen, "dann nehme ich die rote." Es
ist nicht anzunehmen, dass die vielen harmlosen Männchen der Jetztzeit, ebenso wenig wie die viel zu
vielen Frauen, ihre Entscheidung, ihr Heim und Auto in diesen Tagen mit Schwarz-Rot-Gold zu schmücken,
auch nur einen Augenblick überdacht haben. Eine innere Stimme scheint ihnen befohlen zu haben, dass ab
heute zum Feiern nicht nur Schnaps und andere Drogen, sondern auch ein nationalistisches Winkelement
gehört. Als ob die Stimmung dadurch besser würde. Ja, der alte Arthur Schopenhauer hatte schon
Recht mit seiner Bemerkung: "Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er
stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu.
Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit
Händen und Füßen zu verteidigen."
Natürlich sind die nationalistische
Orgie anlässlich der Fußball-WM und der Rausch der Fans für sich genommen harmlos und eine
in Bangladesh genähte und gefärbte Fahne mit Plastikstängel aus Taiwan ist als Waffe allemal
weniger gefährlich als ein Baseballschläger oder Klappmesser, und der ungleiche Tausch in der
globalisierten kapitalistischen Welt wird dadurch auch nicht ungleicher.
Aber dennoch empfehlen wir allen, lieber
den Spielverderber zu spielen. So wie es Sinn macht, den Alkis und Junkies jederzeit deutlich zu machen und
notfalls zu helfen, es geht auch ohne, so wäre heute in Kneipen und Bürgerzentren, in den Stadien
und den ach wie deutsch Plätzen des Public Viewing die freche Losung angebracht: Nie
wieder Deutschland. Hat sie in den 90er Jahren als intellektueller Rest einer sich aus der Politik
verabschiedenden Fraktion der radikalen Linken niemals für eine neue politische Perspektive
ausgereicht, um einen erfrischenden Farbtupfer in der schwarz-rot-goldenen Massenhysterie zu setzen, ist
sie heute allemal gut.
Aber stattdessen beeilen sich linke
Wortführer, ihren Part bei dem angeblich "gesunden" und "unverkrampften"
Patriotismus-Revival zu spielen, oder schwingen sich, wie der Schreiber vom Deutschland-Magazin Der
Spiegel, Matthias Matussek, zum Chefideologen der neuen, "harmlosen, freudigen und
unverkrampften" Deutschland-Welle auf. Gregor Gysi bekennt sich zum Umdenken und Aufstehen, wenn die
Nationalhymne erklingt. Die neue deutsche Jugend sei aufgeklärt und würde weder Opfer noch
Täter des tumben Nationalismus werden.
Der Plan der scheinbar so surrealen
Kampagne "Du bist Deutschland" scheint in den letzten Wochen ebenso aufgegangen zu sein, wie die
Hoffnung der Schwarz-Roten Koalition, sich wenigstens kurzfristig noch mit Gold zu schmücken. Wenn
schon die Kapitalisten nicht mehr patriotisch sind, so sollen es die Massen umso mehr sein. Das
Millionenspektakel der Fußballföderation, der Terror einer geld- und machtgeilen Altemänner-
Riege über die ganze Republik, hat diese Funktion nicht zufällig, sondern bewusst geplant.
Wie sollen die Millionen Menschen, die mit
dieser Gesellschaft keinen Identität stiftenden Frieden mehr finden, die sich bei Wahlen verweigern
und sich trotz Massenberieselung nicht von ihren Spargroschen zugunsten der Umsätze der Konzerne
trennen wollen, denn anders begeistert werden, als durch scheinbar "harmlose" und
"unverkrampfte" patriotische Spielerei? Sind Loveparade, Karneval, Konsumfeste jeder Art immer
direkte Inszenierungen einzelner, meist ziemlich am materiellen Gewinn orientierter Veranstalter, so ist
die heute ablaufende Massenorgie in Schwarz-Rot-Gold eine Gemeinschaftsproduktion der herrschenden
Kräfte dieser Gesellschaft. Auf dieser Basis lässt sich die Unterstützung, wenn nicht
Begeisterung für den nächste Krieg umso leichter herbei schreiben, wenn nicht befehlen.
Nie wieder Deutschland.
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