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Die britische Gewerkschaftsbewegung erlebt seit Jahrzehnten einen dramatischen Verlust an Mitgliedern, an
Verhandlungsposition und an politischem Einfluss. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad betrug 2004
28,8%, 1979 waren es noch 55%.
Doch es reicht schon lange nicht mehr aus, den Niedergang nur zu beklagen und ansonsten die Labour
Party wieder an die Regierung zu bringen. Es braucht Strategien, die die Gewerkschaftsbewegung aus ihrer
Dauerkrise herausführen. Das erfordert auch die Benennung der gesellschaftlichen Kräfte, die
solche Strategien durchsetzen können.
Es gibt viel zu viele wohlwollende
Kommentatoren, die gute Ratschläge geben, was die Gewerkschaften tun sollten in Bezug auf die
Sozialpartnerschaft, die Organisierung von Mitgliedern, das Arbeitsrecht, den gewerkschaftlichen
Widerstand, den Klassenkampf oder Wiedergewinnung der Labour Party für die Bewegung. Die
Gewerkschaften sind keine einheitliche Formation, der man befehlen kann, dies oder jenes zu tun. Sie sind
eine Summe aus Mitgliedern, Aktiven und Funktionären, die auf verschiedenen Ebenen und mit
verschiedenen ideologischen Einstellungen agieren.
Den vorgeschlagenen Strategien fehlt es oft
an Glaubwürdigkeit, weil ihre Verfechter nicht über die sozialen Kräfte verfügen, die
fähig wären, Arbeiter, Gewerkschaften, Parteien, Unternehmer, die Regierung, den Staat zu zwingen
so zu handeln, wie sie es wünschen. Im Wesentlichen fordern sie andere zum Handeln auf.
Damit kommen wir zur Frage der Aktiven in
den Gewerkschaften selbst. Vor zwanzig oder dreißig Jahren gab es etwa 500000 Shop Stewards und
Vertrauensleute, die eine aktive Präsenz der Gewerkschaft an den meisten Arbeitsplätzen
garantierten. Bezirkskomitees waren relativ verbreitete und lebendige Einrichtungen. Dadurch konnten
Beschäftigte aus verschiedenen Gewerkschaften miteinander in einen lebendigen Kontakt treten.
Mittlerweile gibt es nur noch 230000 ehrenamtlich Aktive. An vielen Arbeitsplätzen gibt es keine
aktiven Gewerkschaftsvertreter mehr. Die Grundlagen der Gewerkschaftsbewegung sind brüchig geworden.
Oft ist es schwierig, noch von einer lokalen Gewerkschaftsbewegung zu sprechen, wenn die früheren
funktionierenden Netzwerke verkümmert sind.
Dieser Zustand ist nicht nur eine Frage der
Quantität, d.h. der Zahl der Aktiven und ihres Aktivitätsgrads. Es gibt auch noch einen
qualitativen Aspekt. Er betrifft im wesentlichen ihre Motivation und die Ziele, die sie verfolgen. Alle
Gewerkschaftsaktiven werden vom Kampf gegen Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz motiviert, manche auch vom
Bestreben nach sozialer Gerechtigkeit außerhalb des Arbeitsplatzes. Und manche haben eine Weltsicht
von sozialer Demokratie und Sozialismus. Das wirft ein paar wichtige Fragen auf.
Erstens sind nicht alle
Gewerkschaftsmitglieder, die am Arbeitsplatz oder darüber hinaus soziale Gerechtigkeit anstreben, auch
aktiv. Auf der niedrigsten Ebene der ideologischen Selbstmotivierung und Aktivität von
Gewerkschaftsmitgliedern steht die Suche nach Vertretung und Schutz. Die kollektive Versorgung erkaufen sie
sich im Wesentlichen individuell. In der Vergangenheit führte ein stärkeres Kollektiv- und
Solidaritätsbewusstsein unter den Beschäftigten dazu, dass mehr Gewerkschafter kollektiv dachten
und handelten.
Zweitens ist es zunehmend so, dass die
meisten gewerkschaftlich Aktiven eben nur dies sind. Früher waren sie typischerweise auch in der
Labour Party, der KP oder verschiedenen trotzkistischen Gruppen organisiert. Und wer von ihnen nicht
Mitglied einer solchen Organisation war, befand sich zumeist in deren Umfeld. Durch die mittlerweile
geringere ideologische Bindekraft finden gewerkschaftliche Aktivitäten von Nichthauptamtlichen
zunehmend isolierter und auf individuellerer Ebene statt. Darüber hinaus hat sich die Konzentration
der Gewerkschaftsbewegung auf den Arbeitsplatz gerade zu einer Zeit verschärft, als ihre nachlassende
betriebliche Verankerung eine stärkere Orientierung nach außen auf andere soziale Bewegungen
nahegelegt hätte.
Drittens hat auch das linke Milieu (Labour,
KP, Trotzkisten) deutlich abgenommen, was unter den nach wie vor politisch motivierten Gewerkschaftsaktiven
Demoralisierung und Desillusionierung nach sich gezogen hat. Das ist ein Hindernis auch für
diejenigen, die potenziell Zugang zu diesem Milieu finden könnten.
Viertens bedeutete der Niedergang politisch
motivierter gewerkschaftlicher Aktivität auch, dass die Verbindungen zwischen verschiedenen
Beschäftigten, Gewerkschaften oder Kampagnen nun deutlich schwächer sind. In manchen Gebieten
gibt es sie gar nicht mehr.
Aus der Sicht der (hauptamtlichen)
Gewerkschaftsführung ist die Rekrutierung von Mitgliedern für die Gewerkschaft ein rationaler,
dennoch notwendigerweise begrenzter und technokratischer Versuch, ein drängendes Problem zu
lösen. Das Problem geht aber in Umfang und Komplexität über die reine Mitgliedergewinnung
hinaus. Die Shop Stewards und die ehrenamtlich Aktiven des vergangenen Goldenen Zeitalters
repräsentierten Kader einer aufsteigenden sozialen Bewegung. Solch eine soziale Bewegung kann nicht
auf bürokratische Weise von oben aufgebaut werden. Woher aber können die neuen
Kräfte kommen?
Könnte eine Wiederbelebung der Sozialdemokratie dem politisch inspirierten Engagement in den
Gewerkschaften neue Kräfte zuführen? Dafür bestehen derzeit keine Aussichten trotz
der anhaltenden Schwäche von New Labour vor und nach den Parlamentswahlen von 2005 und dem
fortgesetzten Niedergang der Sozialdemokratie. Vor einigen Jahren wurde das Labour Representation Committee
(LRC) lanciert, doch nach der Beteiligung an seinen jährlichen Konferenzen und der Anzahl der ihm
angeschlossenen Organisationen und Ortsgruppen zu urteilen, scheint es damit nicht recht voranzugehen. Es
existiert real nur als jährliche Konferenz und als Netzwerk linker Parlamentsabgeordneter und
Gewerkschaftsfunktionäre.
Wären Gewerkschafter in der Lage, sich
die Strukturen der Sozialdemokratie wirksam wieder anzueignen, weil sie begreifen, dass die
Gewerkschaftsbewegung auch eine effiziente politische Kraft werden muss, könnte dies die Anzahl der
politisierten gewerkschaftlich Aktiven erhöhen.
Auf diesem Weg gibt es jedoch so viele Wenn
und Aber und sein Verlauf hängt von so vielen anderen Ereignissen ab, dass er eher unwahrscheinlich
erscheint. Die wenigen Anzeichen eines politischen Wiedererwachens der Sozialdemokratie in den
Gewerkschaften, wie bspw. das LRC, müssen noch durch ein effektives intellektuelles Projekt und ein
soziales Gewicht verstärkt werden. Keiner der neuen Generalsekretäre hat eine politische Vision
um eine alternative ökonomische Strategie entwickelt, um seine progressiven Positionen in
verschiedenen Fragen zu stützen. Die Positionen der TGWU und die Beiträge von Tony Woodley in
Guardian, Morning Star und Tribune sind keine glaubwürdige linke Vision. Diese Aufgabe obliegt Bob
Crowe, Mark Serwotka und Matt Wrack als Linke außerhalb der Labour Party.
Eine potenzielle Quelle sind die Aktiven
der Antiglobalisierungsbewegung, die hoch motiviert und erfahren in neuen Formen kollektiven Handelns sind.
Eine sich damit zum Teil überschneidende weitere Quelle sind die progressiven Bestrebungen, die in
Stadtteilkomitees, Mieterorganisationen usw. zum Ausdruck kommen.
Können solche Aktivisten für die
Gewerkschaftsbewegung rekrutiert werden? Nicht ohne große Schwierigkeit, lautet die einfache Antwort.
Erstens ist es unwahrscheinlich, dass sie für die Gewerkschaften bei deren gegenwärtigem Zustand
rekrutiert werden können. Das Problem ist dabei nicht nur, dass die Gewerkschaften "zu weiß,
zu männlich und verbraucht" sind, sondern dass es einen Mangel an Autonomie der örtlichen
Gewerkschaftsstrukturen gibt, in denen diese neuen Aktivisten agieren würden, und eine Orientierung
der Gewerkschaften auf breitere, kommunale Belange fehlt. Die Gewerkschaften müssten diesen Aktivisten
deshalb auf halbem Wege entgegenkommen.
Bislang haben sich die Gewerkschaften nur
sehr begrenzt auf die neuen sozialen Bewegungen eingelassen. Im Allgemeinen sind Ziele und Schwerpunkte von
Gewerkschaften und neuen Bewegungen verschieden. Letztere verfechten sowohl ehrgeizigere als auch
bescheidenere Ziele als die Gewerkschaften. Aber es gibt eine gewisse Überlappung, wenn die
Gewerkschaftsbewegung es schafft, sich wieder als soziale Befreiungsbewegung neu zu formieren. Die
kollektiven Interessen der Mitglieder als Produzenten, Konsumenten und Bürger würden somit
breiter bestimmt und ihnen mit Gleichheit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Freiheit ein umfassendes
Wertesystem unterlegt.
Gregor Gall
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